Im August 2012 brachte Nintendo das höchst erfolgreiche „New Super Mario Bros. 2“ für den 3DS in den Handel. Es handelt sich dabei, man kann es sich ja denken, um das dritte „NSMB“-Spiel. Die hohe Qualität des Spiels, die zugängliche und einfache Steuerung sowie das spaßige Leveldesign wird niemand leugnen können, wohl aber erntete das Spiel für seine Präsentation und den Mangel an Neuerungen heftige Kritik. Sicher, es versteht sich selber als Nachfolger von „New Super Mario Bros.“ – in den Augen der Kritiker rechtfertigt dies aber nicht, das Spielprinzip, die Grafik und selbst die Musik fast vollständig zu übernehmen. Noch prekärer wurde diese Situation durch „New Super Mario Bros. U“, das Nintendo keine drei Monate später herausbrachte. Trotzdem wurde „New Super Mario Bros. 2“ auf eine überraschend interessante Art und Weise entwickelt. So befassen wir uns heute mit der Entwicklungsgeschichte des Spiels und beantworten dabei gleichzeitig die Frage, wie Nintendo gleichzeitig an zwei, inhaltlich nicht deckungsgleichen „New Super Mario Bros.“-Spielen arbeiten konnte.
Die Mario-Paukschule
Takashi Tezuka und Toshihiko Nakago, zwei Kernentwickler der „Super
Mario“-Reihe, gründeten einst die sogenannte Mario-Paukschule, in der
sie das Wissen um gutes Leveldesign für „Mario“-Spiele innerhalb des
Nintendo-Unternehmens verbreiten wollten. Die Studenten dieser
Paukschule waren Mitarbeiter der Nintendo-Abteilungen Entertainment
Analysis & Development (EAD) sowie Software Planning &
Development (SPD), die bislang nichts oder nur wenig mit den
„Mario“-Spielen am Hut hatten.
Einer der Studenten der Mario-Paukschule war Yusuke Amano, der als einer
der Planer von „New Super Mario Bros. Wii“ bereits etwas Erfahrung in
der Entwicklung eines 2D-„Mario“-Spiels aufweisen konnte. Zu dieser Zeit
war er aber hauptsächlich als Koordinator für „Star Fox 64 3D“
beschäftigt. Die von dem ungewohnt großen Leveldesign-Team der
Paukschule entworfenen „Mario“-Level hielt Amano für gut gestaltet. Er
sah sich selbst in einer überwachenden Position – bis ihm Tezuka eines
Tages anbot, Director eines neuen 2D-„Super Mario“-Spiels für Nintendo
3DS zu werden. Es war das erste Projekt, für das Amano als Director
verantwortlich war.
Zu Beginn der Arbeiten war Amano quasi der einzige wirklich am Projekt
beteiligte Entwickler. Tezuka und Nakago, beide über 20 Jahre älter als
der junge Amano, beteiligten sich als Supervisor und Berater. Die
eigentliche Arbeit erledigten sie, ihren Positionen innerhalb des
Studios entsprechend, aber nicht.
Ein Entwicklerteam wird aufgebaut
Erst in der zweiten Hälfte 2011 stieß dem Projekt mit dem Grafikdiretor
Masaaki Ishikawa, der zuvor mit den Arbeiten an „Mario Kart 7“
ausgelastet war, ein Grafiker hinzu. Nach und nach wurden dem Team
weitere Grafiker zugeordnet, die vorher an „Mario Kart 7“ oder „Super
Mario 3D Land“ mitgewirkt hatten. In Kombination mit den Studenten der
Mario-Paukschule bestand das Entwicklerteam für „New Super Mario Bros.
2“ im Wesentlichen also aus jungen Leuten, die zwar schon erfahren im
Umgang mit dem 3DS waren, in puncto Leveldesign aber Neulinge waren.
Ishikawa und Amano waren die einzigen aktiven Teammitglieder, die an
früheren Serienablegern mitgewirkt hatten.
Komplettiert wurde das Entwicklerteam durch die fleißigen Programmierer
von Systems Research & Development (SRD), ein paar
Tontechnikern sowie Animatoren des Unternehmens Mox. Hinter „New Super
Mario Bros. 2“ stecken also einerseits junge, dynamische, motivierte
Entwickler voller frischer Ideen – andererseits kollaborierten
unerwartet viele Unternehmen und Abteilungen für das Spiel, dessen
Produktionswert von den Kritikern eher gering eingeschätzt wird. Amano
äußerte dazu:
Vor allem aber ermöglichte dieses neu zusammengestellte Team eine Sensation: Zwei „New Super Mario Bros.“-Spiele gleichzeitig, aber unabhängig voneinander entstehen lassen. Sowohl „2“ als auch „U“ wurden vom EAD Software Development Department 4 unter der Leitung des Produzenten Hiroyuki Kimura entwickelt. An „U“ waren hauptsächlich die erfahreneren Entwickler beteiligt. Im Übrigen arbeiteten EAD 4 und Kimura damals noch an einem dritten Spiel, nämlich „Pikmin 3“ für die Wii U.
Links: Masaaki Ishikawa, Grafik-Director;
rechts: Yusuke Amano, Spiel-Director
Vordergrund/rechts: Satoru Iwata, Ausführender Produzent
(Foto: Nintendo)
Münzen!
Eifrige Leser dieser Rubrik wissen bereits: Am Anfang der Entwicklung
eines typischen EAD-Spiels steht nicht selten eine lange Phase, in der
über das Spielkonzept nachgedacht wird und Experimente unternommen
werden. Bei „New Super Mario Bros. 2“ scheint das jedoch nicht der Fall
gewesen zu sein. Was war da los?
Tatsächlich entstanden die Level für „NSMB2“, bevor das eigentliche
Spielprinzip festgelegt wurde! Gerade für Nintendo ist dies ein sehr
ungewöhnliches Vorgehen und zeigt nur einmal mehr, wie besonders die
Entwicklung des Spiels war. Erst zur Zeit, als „Super Mario 3D Land“
fertiggestellt wurde – also Ende 2011 – kam die Idee auf, sich in diesem
Spiel auf Münzen zu konzentrieren. Ausschlaggebend dafür war der
Münzen-Block aus „3D Land“, der auf Marios Kopf stecken bleibt, sodass
Mario Münzen erhält, je schneller er rennt. Dieses Element wurde in
„NSMB2“ übernommen und gefiel den Entwicklern so gut, dass sie ihren
Fokus gänzlich auf Münzen richteten.
In den Levels versteckten die Designer daher ungewohnt viele Münzen, um
euch Neulinge zu motivieren, alles genau zu erforschen; sie dachten sich
Items wie den Goldpilz oder die Goldblume aus. Schließlich kam Tezuka
die Idee, dass der Spieler eine Million Münzen sammeln solle. Dies wurde
fortan zum Sekundärziel des Spiels erklärt. Das Leitmotiv das Spiels
waren Münzen und Gold – alles war goldfarben, weshalb als Titel des
Spiels ursprünglich sogar „New Super Mario Bros. Gold“ vorgeschlagen
wurde.
Kurioserweise entstand der Münzrausch-Modus bereits, bevor das Münzmotiv
überhaupt entschieden wurde. Der Münzrausch-Modus nämlich entstammte
Amanos Zielsetzung, den Spieler langfristig an das Spiel zu binden.
Ursprünglich mussten in diesem Modus lediglich drei Level hintereinander
ohne Fehler durchquert werden, allerdings war das Team mit dieser Idee
nicht sehr zufrieden. Erst, nachdem Münzen zum Hauptmerkmal des Spiels
erhoben wurden und in diesem Modus berücksichtigt wurden, sorgte er in
den Augen der Entwickler für Spaß.
Ein zukunftsweisendes Spiel
„New Super Mario Bros. 2“ mag zwar ein sehr konservatives Spielerlebnis
sein, im Metakontext jedoch erwies es sich für Nintendo als
zukunftsweisend. So leitete es Nintendos eigene „Internet-Revolution“
ein, denn es war das erste sowohl regulär im Handel als auch zum
Download im eShop herausgebrachte Nintendo-Spiel sowie eines der ersten
von Nintendo vertriebenen Spiele mit DLC.
In Puncto DLC hatte es bei Nintendo schon zuvor mehrmals interne
Gespräche gegeben. Man entschied sich dazu, nach der Veröffentlichung
des Spiels unter anderem auf Basis von Kundenfeedbacks zusätzliche
Inhalte zu entwickeln und diese dann aufgrund der zusätzlichen kreativen
Arbeit gegen Geld anzubieten. Dass dies zuerst für „New Super Mario
Bros. 2“ im großen Stil umgesetzt wurde, liegt daran, dass Amano bereits
neun Jahre zuvor „Quasi-DLC“ entwickelt hatte. Die Rede ist von der
GBA-Neuauflage „Super Mario Advance 4: Super Mario Bros. 3“, zu der
zusätzliche Level in Form von Karten für den e-Reader veröffentlicht
wurden. Amano war einer der an diesen erwerbbaren Bonus-Leveln
Beteiligten. Er konnte also als einer der wenigen internen
Nintendo-Entwickler bereits Erfahrung mit DLC aufzeigen. Aufgrund der
Mario-Paukschule gab es diesmal auch genug verfügbare Level-Designer für
die insgesamt zehn von Oktober bis Dezember 2012 veröffentlichten
DLC-Packs.
Die ersten Screenshots zum Spiel
Wie lange war das Spiel in der Entwicklung?
Es ist unbekannt, wann die Entwicklung von „New Super Mario Bros. 2“
begonnen hat. Die Arbeiten an „New Super Mario Bros. U“ etwa begannen
bereits 2009, direkt nach der Vollendung des Wii-Vorgängers; in den
ersten Jahren tat sich am Projekt jedoch nichts Großartiges. So war es
wohl auch bei „New Super Mario Bros. 2“. Pläne zu diesem Spiel hatte
Nintendo nämlich nachweislich spätestens seit November 2010.
Im Februar 2011 ließ Miyamoto im Rahmen eines Iwata-fragt-Interviews
verlauten, derzeit ein neues „Super Mario Bros.“-Spiel für den 3DS zu
erarbeiten, das schon bald angekündigt werden solle. „Bald“ war jedoch
relativ: Erst im Januar 2012 wurde das Spiel von offizieller Seite
wieder erwähnt; damals versprach Iwata den Investoren, das Spiel im
Finanzjahr 2012/2013 zu veröffentlichen. Die offizielle Enthüllung des
Spiels fand im April 2012 im Rahmen einer Nintendo Direct-Ausgabe statt,
anderthalb Jahre nach der ersten Bestätigung.
Demnach begannen die Überlegungen zu „New Super Mario Bros. 2“
irgendwann 2010, worauf die Mario-Paukschule gegründet wurde. Da Amano
damals an „Star Fox 64 3D“ arbeitete, das Mitte 2011 erschien, er als
Director die Entwicklung von „NSMB2“ zu leiten hatte und erst zu dieser
Zeit Grafiker hinzukamen, kann das Spiel erst ab Mitte 2011 wirklich
Gestalt angenommen haben. Der Münzfokus kam erst Ende 2011, zur Zeit der
Vollendung von „3D Land“ auf – eine so große Änderung im Spielkonzept
so spät im Entwicklungszyklus ist äußerst ungewöhnlich.
Daraus schließen wir, dass die gesamte Entwicklungsphase des Spiels etwa
zwei Jahre andauerte; das erste Jahr war geprägt von Planung,
Vorproduktion und der Mario-Paukschule und erst im zweiten Jahr ging es
richtig zu Sache. Zu dieser Zeit hatte die EAD aufgrund von
Komplikationen mit der Entwicklung von HD-Spielen jedoch große Engpässe,
was verfügbare Mitarbeiter betraf. Dies könnte erklären, warum „NSMB2“
in Puncto Grafik und Ton so viele Inhalte von seinen Vorgängern kopiert
hat.
Für Nintendo hat sich das Spiel trotz allem gelohnt: Die Kritiken fielen
überwiegend positiv aus, die Verkaufszahlen belaufen sich derzeit auf
knapp acht Millionen weltweit. Damit bleibt das Spiel bislang
kommerziell zwar deutlich hinter seinen Vorgängern zurück, kann aber
dennoch auf unglaublich gute Verkäufe zurückblicken und ließ bei
Nintendo die Kassen mächtig klingeln. Bei acht Millionen Verkäufen zu je
etwa 40 € hat Nintendo mit dem Spiel bislang um die 320 Mio. €
umgesetzt – und dabei haben wir Einnahmen durch DLC- und Bundleverkäufe
noch nicht mal einbezogen.
Fazit
„New Super Mario Bros.“ wurde für Nintendo zu einer derart großen
Goldgrube, dass man für die neuen Konsolen 3DS und Wii U so schnell wie
möglich zwei neue Ableger herausbringen wollte – möglich wurde dies nur
durch parallele Entwicklung. „New Super Mario Bros. 2“ wurde dabei von
einem Team neu ausgebildeter Leveldesigner in Verbindung mit
erfahreneren Programmierern und Grafikern entwickelt. Als erstes Projekt
für den jungen Spieledirector Yusuke Amano kann das Spiel durchaus
frische Ideen aufweisen, recycelt aber sehr viele Inhalte von den
Vorgängern. Bei der Entwicklung fand das Gestalten der Level immerhin
vor allem anderen statt. Zugleich betrat Nintendo mit diesem Spiel in
Sachen DLC und Vollpreisdownload auch Neuland.
Die Hauptquelle für diesen Bericht war das
Iwata fragt zu „New Super Mario Bros. 2“.
Es bietet noch weitaus mehr Informationen zur Entwicklung des Spiels
und kann zur weiteren Lektüre daher nicht genug empfohlen werden.
Wie ist eure Meinung zu „New Super Mario Bros. 2“ und der Entwicklungsart, die Nintendo für das Spiel gewählt hat?
Bisher gibt es neun Kommentare
Jedenfalls eine sehr interessante Entwicklung. Hoffentlich können sie aber bei NSMB3 ein wenig mehr Innovationen einbringen... Ich bin nach wie vor für das sammeln von 1 Mio. Extraleben!
ich mache mir nämlich auch deutsche Gedanken!
Daher kann ich auch Deutsch lesen.
In Zukunft lese ich mehr aus den USA: "Please speak slowly, i only speak a little english"