Was hat Heidi mit Super Mario und Pokémon tun? Was ist der Zusammenhang zwischen Hello Kitty, Mario und Balloon Fight? Die Bindeglieder sind zwei renommierte japanische Anime-Macher der Kultschmiede Toei Animation, die Mitte der 1980er Jahre von Nintendo rekrutiert wurden. Beide agierten zwar im Laufe ihrer Nintendo-Karrieren hinter den Kulissen, trotzdem würde Nintendo ohne sie heute anders aussehen. Wir wetten jedoch, dass keiner unserer Leser beide Personen kennt, denn gerade über den ersten der beiden ehrwürdigen Herrschaften ist so gut wie nichts bekannt.
Um dies zu ändern, haben wir eine kleine Recherchereise unternommen. Dabei sind wir weit herumgekommen in den Weiten des Internets und im Zuge dessen auf neues Wissen wie auch auf kuriose Anekdoten gestoßen. Unsere Ergebnisse wollen wir euch nun vorstellen.
Des Masterminds Manager
Die Geschichte unserer ersten Person hängt mit der Karriere des heutigen Nintendo-Chefproduzenten Shigeru Miyamoto zusammen. Wer es noch nicht weiß: Miyamoto fing 1977 als Industriedesigner bei Nintendo an. Seine erste Eigenkreation, „Donkey Kong“ von 1981, und dessen Nachfolger brachten Nintendo enormen Erfolg ein. Daher entschloss der damalige Nintendo-Präsident Hiroshi Yamauchi (mehr über ihn in einem früheren Bericht), eine eigene Spieleentwicklungsabteilung für Miyamoto zu eröffnen.
Dies geschah 1984. Miyamotos Abteilung Research & Development 4 (R&D4) mauserte sich zum wohl wichtigsten Entwicklerstudio der ganzen Industrie - was sie selbst heute immer noch ist, inzwischen bekannt als Entertainment Analysis & Development (EAD). Heute ist Miyamoto Manager der EAD, doch 1984 war dies nicht so. Damals war Miyamoto noch jung, und außerdem gilt der kreative Mann als schlechter Manager. Daher wurde als erster Manager der neuen Abteilung ein Mann namens Hiroshi Ikeda eingesetzt. Seine erste Mission war es ein Entwicklerteam für Miyamoto zusammenzustellen.
Doch wer ist dieser Hiroshi Ikeda? Obwohl er als Miyamoto-Boss die Fäden der Entwicklung von Titeln wie „Super Mario Bros.“ dirigiert hat, taucht er in keinem einzigen Videospiel-Abspann auf. Wie sich herausstellt, konnte der Japaner bereits zur Zeit seiner Anstellung bei Nintendo auf eine gelungene Karriere zurückblicken!
Vom Anime-Regisseur zum Videospiel-Produzent
1934 kam Hiroshi Ikeda auf die Welt, womit er heute 80 Jahre alt ist. Nach seinem Studium wurde er etwa 1960 bei dem japanischen Anime-Giganten Toei Animation angestellt. 1963 gab er sein Debüt als Regisseur eines Anime-Films. Noch bis 1972 wirkte er bei Toei als Regisseur und Drehbuchautoren mehrerer Filme sowie Einzelepisoden von Animeserien. Während dieser Zeit konnte Ikeda bereits mit später weltbekannten Anime-Größen wie Oscarpreisträger Hayao Miyazaki zusammenarbeiten. Hinzu kamen im Laufe seines Lebens mehrere Posten als Hochschullehrer in Japan.
Schließlich wurde Hiroshi Ikeda für Hiroshi Yamauchi von Hiroshi Imanishi angeheuert. Der dritte Hiroshi im Bunde ist ebenfalls trotz seiner Bedeutung für Nintendo weitestgehend unbekannt. Daher auch über ihn eine kurze Einleitung: Hiroshi Imanishi war jahrzehntelang Yamauchis rechte Hand, baute die Spieleentwicklungsabteilungen in den 1970er Jahren auf und fungierte in seinen späteren Berufsjahren als Konzernsprecher.
Leider konnten wir kein authentisches Foto von Ikeda ausfindig machen. Stattdessen ein Screenshot aus „Flying Phantom Ship“, einem Anime von 1969, bei dem Ikeda Regie geführt hatte. Miyazaki war für die Animationen zuständig.
Hinter den Kulissen von Mario und Zelda
Als General Manager von R&D4 war es nun Ikedas Aufgabe, ein Entwicklerteam für Miyamoto zusammenzustellen und zu verwalten. So begannen heutige Nintendo-Größen wie Takashi Tezuka oder Koji Kondo eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit Miyamoto. Außerdem gelang es Ikeda einige seiner früheren Kollegen von Toei für R&D4 anzuheuern, etwa Minoru Maeda und Yoichi Kotabe. Über Kotabe werden wir nachher mehr erzählen. Sie halfen der Entwicklungsabteilung durch ihr Know-How im Bereich Animation und Zeichnung.
Die frühe R&D4-Abteilung wurde dadurch stark von Toeis erfahrenen Animatoren beeinflusst. Ikeda blieb als Manager aber stets hinter den Kulissen. Die Spieleentwicklung überließ er allein Miyamoto, der als Produzent und bisweilen auch als Regisseur der R&D4-Spiele wie „Super Mario Bros.“ und „The Legend of Zelda“ auftauchte. Formal war Ikeda somit der Miyamoto übergeordnete Chef-Produzent dieser Titel. Da er an der Spieleentwicklung selbst unbeteiligt war, wird er üblicherweise aber nie mit diesen Spielen in Zusammenhang gebracht.
Mario x „Balloon Kid“ = Hello Kitty
Über Ikedas weiteres Wirken bei R&D4 ist nichts bekannt. Fest steht aber, dass er die Abteilung irgendwann verließ und Miyamoto an seiner Stelle Abteilungsleiter wurde, vermutlich um 1990.
Erst 1991 taucht Ikeda in unserer Reise wieder auf. Und zwar gründete Nintendo im April 1991 zusammen mit dem großen japanischen Werbeunternehmen Dentsu und der Dentsu-Tochter Dentsu Prox ein Joint Venture namens Mario Co. Ltd. Das Kapital von 363.000 US-$ wurde zu 51 % von Nintendo gestellt. Und als Chef des Ganzen wurde – richtig – Ikeda eingesetzt.
Doch was war Mario Co. Ltd.? Es ist sehr schwierig, hier genaue Informationen zu finden. Allerdings gibt es zwei Spiele, an denen das Unternehmen mitwirkte, die man so wahrscheinlich nie Nintendo zugerechnet hätte. Das erste davon ist „Hello Kitty World“ (Famicom, 1992). Dabei handelt es sich um eine NES-Portierung von Nintendos „Balloon Kid“ (Game Boy, 1990), der das Gewand der lächelnden Katze übergestreift wurde.
„Hello Kitty World“ (Famicom, 1992) ist, so schwer es auch zu glauben ist, eine offiziell von Nintendo entwickelte Portierung von „Balloon Kid“.
Das Mysterium von Mario Co. Ltd.
Das zweite Spiel, an dem Ikedas Mario Co. Ltd. mitwirkte, ist „Sanrio Carnival 2“ (Famicom, 1992), ebenfalls Japan-exklusiv und ebenfalls im „Hello Kitty“-Universum angesiedelt. Beide Spiele stellen eine Kooperation mit Sanrio dar, dem Unternehmen hinter „Hello Kitty“. Allerdings scheint Mario Co. Ltd. weniger ein Entwicklerstudio als ein Unternehmen zur Entwicklungskoordination gewesen zu sein. Denn nicht das Joint Venture machte sich mit den eigentlichen Arbeiten an „Hello Kitty World“ die Finger schmutzig, sondern Pax Soft Nica. In Kooperation mit diesem Studio hatte Nintendo bereits ein paar Spiele entwickelt. Mehr konnten wir über Mario Co. Ltd. nicht herausfinden. Offenbar existierte das Joint Venture ausschließlich, um die zwei Kooperationen mit Sanrio zu ermöglichen.
Die Wahrheit über „Mario Party“
So verliert sich die Spur von Hiroshi Ikeda nach 1991 wieder. Das nächste Mal taucht der gute Mann erst 1998 wieder in unseren Quellen auf. In diesem Jahr entstand ein Joint Venture zwischen Nintendo und Hudson namens Monegi. Als Chef wurde wieder Ikeda eingesetzt.
Es gibt verschiedene Angaben bezüglich der Frage, was der Sinn von Monegi war. Einmal heißt es, das Unternehmen solle Entwicklungen gesponsert haben. Dann heißt es, es sei mit Entwicklertools beauftragt gewesen. Auch die Entwicklung von N64- und Game Boy-Spielen wird genannt. Fest steht aber etwas ganz anderes: Monegi war das eigentliche Entwicklerteam hinter den „Mario Party“-Spielen.
Normalerweise werden die „Mario Party“-Spiele nur Hudson zugeschrieben. Kein Wunder, denn der Name Monegi fällt in den meisten Credits der Spiele gar nicht. Nur in „Mario Golf“ für das N64 wird Monegi als Co-Entwickler aufgeführt. Übrigens taucht auch Ikeda in keinem Abspann der Spiele auf, obwohl Videospielabspänne inzwischen auch Studiochefs nannten und Ikeda ja genau dies war. Kurios.
In seiner späteren Laufbahn war Ikeda Chef von Monegi, dem wahren Team hinter der „Mario Party“-Reihe.
Die Überreste von Hudson
Monegi war ursprünglich eine Nintendo-Tochter, da Nintendo 60 % des Kapitals von 10 Mio. US-$ stellte. Im März 2000 übernahm Hudson aber 20 % von Nintendo, sodass das Studio fortan ein Hudson-Tochterunternehmen war. Offenbar hat es bis „Mario Party 8“ Spiele entwickelt, mehr oder weniger „unentdeckt“. Danach haben offenbar viele Mitarbeiter Monegi den Rücken gekehrt und als Folge dessen verfiel die Partyspielreihe in einen Winterschlaf.
Inzwischen ist die „Mario Party“-Reihe wieder fit auf den Beinen und nächstes Jahr erscheint ihr zehnter Teil für die Wii U. Hudson aber ist inzwischen von Konami aufgekauft worden und Monegi existiert folglich nicht mehr. Formal zumindest. Denn der Großteil des ursprünglichen „Mario Party“-Teams von Monegi arbeitet inzwischen beim Nintendo-Studio Nd Cube. Dieses entstand 2000 als Kooperation zwischen Nintendo und Dentsu und ist seit 2010 ein First Party-Studio. Nd Cube, das heutige Studio der „Mario Party“-Reihe, ist somit quasi das Nachfolgestudio zu Monegi, dem ursprünglichen Studio der Reihe.
Jetzt haben wir zwar die Spur von Monegi verfolgt, dafür aber jene des Hiroshi Ikeda wieder verloren. Mist. Da der gute Mann heute 80 Jahre alt ist, ist er beruflich ganz sicher nicht mehr aktiv. Wann er ausstieg und was er zuletzt machte, weiß man nicht. Fest steht aber: Er kann auf eine sehr interessante Karriere zurückblicken und war auch für Nintendo von großer Bedeutung. Und er war für einige Jahre der Chef von Shigeru Miyamoto.
Ein weiterer bemerkenswerter Anime-Macher
Die zweite Person, mit der wir uns heute beschäftigen möchten, ist Yoichi Kotabe. Ihn haben wir bereits kurz erwähnt. Der am 15. September 1936 geborene Japaner startete ebenfalls nach seinem Studium Ende der 1950er Jahre bei Toei Animation eine Karriere. Nach drei Jahren Arbeit hatte er dort als Animator die genügende Erfahrung gesammelt, um die für eine Animation zentralen Keyframes zeichnen zu dürfen. Später stieg Kotabe bei Toei zum Chef-Animator und Charakterdesigner auf.
Kotabe hat nie Regie geführt. Sein Aufgabenfeld umfasste einzig und allein die Animation. Dabei arbeitete er unter anderem mit Hiroshi Ikeda und auch mit den Anime-Größen Hayao Miyazaki und Isao Takahata zusammen.
Nach zwölf Jahren bei Toei verließ Kotabe das Unternehmen, da er sich in seiner Kreativität eingeschränkt fühlte. Nach einigem Hin und Her schließlich heuerte Zuiyo Enterprise das Dreamteam-Trio Kotabe, Miyazaki und Takahata für ein ganz besonderes Projekt an. Das Resultat: Die Kultserie „Heidi“ von 1974, die sich an den gleichnamigen Romanen von Johanna Spyri orientiert. Hier wirkte Kotabe als Animationsleiter und Charakterdesigner mit und trug so entscheidend zu der Serie bei. Außerdem partizipierte er an der Animation des preisgekrönten „Nausicaä aus dem Tal der Winde“ von 1984, einem der ersten Werke des von Miyazaki und Takahata gegründeten Studio Ghibli.
Yoichi Kotabe in einem Iwata fragt-Interview
Vom Chef-Animator zum Videospiel-Illustrator
Kotabe hat es als Animator sehr weit gebracht. Mit großen Persönlichkeiten der Branche durfte er zusammenarbeiten. Und das war erst der erste Teil seiner Karriere., denn während einer beschäftigungslosen Phase wurde er von seinem ehemaligen Kollegen Ikeda gefragt, ob er nicht bei Nintendo anfangen wolle. So stieß Kotabe Ikedas R&D4-Abteilung als Illustrator bei. Zu dieser Zeit hatte Nintendo angefangen vermehrt mit externen Experten an Artwork zusammenzuarbeiten. Kotabe war in dieser Hinsicht also eine willkommene Ergänzung des internen Personals.
Kotabes erste Beteiligung an einem Videospiel war „Super Mario Bros. 2“, bei dem er einige Animationen erstellte. Von da an wirkte er bei vielen Spielen als Animator und Illustrator mit. Der heutige „Super Mario“-Produzent Yoshiaki Koizumi (wir berichteten über ihn) war sogar einer seiner „Jünger“. Doch Kotabes wahre Bedeutung für Nintendo ist noch eine ganz andere.
Der wahre Vater des heutigen Mario
Super Mario, Luigi, Peach, Toad und Bowser werden allgemeinhin als Schöpfungen Shigeru Miyamotos angesehen. Es stimmt zwar, dass Miyamoto Mario erfunden hat. Viele der Lorbeeren, die ihm zugesteckt werden, sollten aber eigentlich anderen Leuten gelten. So etwa hat nicht er, sondern Takashi Tezuka darauf bestanden, Mario als Protagonist von „Super Mario Bros.“ zu befördern. Tezuka verantwortet auch Marios ikonische 8-Bit-Sprites.
Da die Zeit zu knapp war, um einen Illustrator anzuheuern, zeichnete Miyamoto das offizielle Cover-Artwork zu „Super Mario Bros.“ selber. Doch das Charakterdesign unterscheidet sich sehr von dem unsrigen. Seit seinem Erstauftritt in „Donkey Kong“ hatte Mario bereits viele Videospielauftritte und war damit verbunden oft in Artworks vertreten. Doch in fast jeder Illustration sah Mario anders aus und erinnert kaum an den pummeligen italienischen Klempner, den wir heute kennen.
Erst Yoichi Kotabe, dem aufgetragen wurde Miyamotos Skizzen zu überarbeiten, legte das Design der „Super Mario“-Helden und -Bösewichte nach „Super Mario Bros.“ so fest wie wir es heute kennen.
Kotabe zeichnet Mario in „Flipnote Studio“.
Die späte Karriere des Meister-Zeichners
Ursprünglich wollte Kotabe nur zwei Jahre lang bei Nintendo arbeiten. Daraus wurden schließlich 21 Jahre. Zuletzt war er besonders am „Pokémon“-Franchise beteiligt als Animations-Supervisor an vielen der zahlreichen Kinofilme mit.
Inzwischen verbringt Kotabe seinen wohlverdienten Ruhestand. Sein Einfluss auf Nintendo ist aber immer noch spürbar und dies wird auch so lange bleiben, wie es Mario gibt. Ihm verdanken wir immerhin das heutige Design von Mario und Konsorten! 2011 kehrte Kotabe übrigens zurück, um Peachs Briefe in „Super Mario 3D Land“ zu zeichnen. Schaut sie euch doch mal an!
Fazit
Hiroshi Ikeda und Yoichi Kotabe haben beide sehr interessante Doppelkarrieren erlebt, während derer sie mit den ganz Großen der Anime- wie auch der Videospielindustrie zusammenarbeiten durften: Mit Shigeru Miyamoto, dem Steven Spielberg der Videospiele, und Hayao Miyazaki, dem Miyamoto der Anime-Branche. Ikeda und Kotabe waren bedeutende Personen für Nintendo. Ikeda als Manager und Miyamoto-Boss, Kotabe als Illustrator und „Mario“-Zeichner , werden aber dennoch oft übersehen. Hoffentlich konnten wir euch die Lebensläufe und die Bedeutung beider Personen nun etwas näher bringen.
Unseren Dank möchten wir „Kyoto Ninja “ von http://kyoto-report.wikidot.com aussprechen. Weitere Informationen zu Kotabe findet ihr in einem sehr lesenswerten „Iwata fragt“-Interview mit und über den Zeichner.
Bisher gibt es acht Kommentare
Sowas könnt ihr mal öfter machen
ich bin nie davon ausgegangen, dass er alles allein vollbracht hat, dass hat ja meines wissens niemand... bill gates nicht... mark zuckerberg nicht... stan lee nicht... shigeru miyamoto nicht... niemand schafft alles allein^^
aber du hast sicher recht man könnte denken, dass dem so wäre
laut text hatte sich, aber dennoch Miyamoto um die spiele gekümmert o0
wo hat Miyamoto also weniger vollbracht als vorher bekannt war?^^"
Also ist an Marios Schöpfung nicht nur Miyamoto beteiligt gewesen, wie gedacht.
Achja die Heidi, hab ich das als Kind gerne geschaut!