Inside Nintendo 79: Nintendos Entwicklungsabteilungen im Wandel der Zeit

Die Forschungs- und Entwicklungs-Abteilung ist das Herzstück jedes großen Konzerns. So auch bei Nintendo. Immerhin tüfteln in den R&D-Büros des japanischen Spiele-Riesen hunderte talentierter Angestellter an sämtlichen hauseigenen Konsolen, einem Großteil der Videospiele und vielem mehr, sodass diese nach außen hin steril wirkenden Abteilungen zu einem geradezu magischen Ort werden. Doch über seine interne Struktur verrät Nintendo nicht allzu viel, und erst diesen September traten einige große Änderungen in Kraft. Darum haben wir uns mit diesem Bericht zur Aufgabe gemacht, die Geschichte von Nintendos einzelnen R&D-Abteilungen zu entwirren.

Diese Zeitleiste der Nintendo-R&D-Abteilungen soll die Übersicht und somit das Verständnis dieses Berichts ungemein erleichtern.

Die Ursprünge: Vier konkurrierende Teams

Als Nintendo unter Hiroshi Yamauchis Leitung in den 1960er Jahren vom Spielkarten- zum Spielzeug-Hersteller avancierte, entstand die erste Forschungs- und Entwicklungs-Abteilung des Konzerns, die der geniale Tüftler Gunpei Yokoi leitete. Während der 1970er Jahre, als der Fokus mehr in Richtung elektronische Unterhaltung und schließlich Videospiele driftete, entstanden zusätzlich R&D2, geleitet von Masayuki Uemura, und R&D3 unter Genyo Takedas Aufsicht. 1984 schließlich gründete Nintendo eine vierte R&D-Abteilung um Stardesigner Shigeru Miyamoto.

An dieser Struktur sollte sich viele Jahre lang nichts ändern. Die vier R&D-Abteilungen arbeiteten getrennt von- und konkurrierten untereinander. Die Aufgabe von Yamauchis vier Entwicklungs-Teams war nämlich, die besten und innovativsten Videospielprodukte hervorzubringen.

Miyamotos Team auf der Überholspur

Yokois R&D1 produzierte Nintendos frühe Spielzeuge, die ersten Arcade-Spiele, war für Handheld-Projekte wie Game & Watch und Game Boy zuständig und entwickelte später auch einige Videospiele, etwa „Kid Icarus“, „Metroid“ oder „Super Mario Land“. R&D2 indes war, angefangen mit Color TV Game, für die Heimkonsolen zuständig und portierte einige Arcade-Spiele auf das Famicom. Die dritte R&D-Abteilung war zunächst die kleinste und entwickelte etwa Zusatz-Chips, dank derer NES-Spiele immer leistungsstärker werden konnten, und brachte Titel wie „Punch-Out!!“ oder „StarTropics“ hervor. Und Miyamotos R&D4 konzentrierte sich ausschließlich auf Spiele; hier entstanden unter anderem „Super Mario Bros.“ und „The Legend of Zelda“.

Mit den Jahren wuchs R&D4, zur SNES-Zeit umbenannt in Entertainment Analysis & Development (EAD), immer weiter an und verdrängte bald R&D1 vom Platz der wichtigsten Entwicklungs-Abteilung. Ansonsten änderte sich an den vier Abteilungen und deren jeweiligen Leitern nicht viel. Erst 1996 kam mehr Bewegung ins Spiel.

Als Gunpei Yokoi Nintendo 1996 verließ, bedingte das eine Spaltung seines R&D1-Teams, das er drei Dekaden lang geleitet hatte.

1996: Yokoi geht und weitere Änderungen

Die Aufgabe der Konsolen-Entwicklung übernahm mit dem N64 Takedas R&D3, das zu diesem Anlass 1996 umbenannt wurde in Integrated Research & Development (IRD). Zu dieser Zeit gründeten ehemalige R&D2-Mitarbeiter auch das neue Team Special Planning & Development (SP&D), das periphere Hardware hervorbrachte, doch dazu erst später mehr.

Ebenfalls 1996 verließ Gunpei Yokoi nach über drei Jahrzehnten Nintendo. Dies führte dazu, dass sich seine Abteilung R&D1 aufspaltete. Es entstand das neue Team Research Engineering & Development (RED), geleitet vom Game-Boy-Mitschöpfer Satoru Okada. Das verbleibende R&D1-Team stand nach Yokois Rücktritt unter der Leitung von Takehiro Izushi und entwickelte fortan ausschließlich Spiele. Die Rolle des Handheld-Entwicklers hingegen übernahm RED, das unter anderem Game Boy Color, Game Boy Advance und Nintendo DS schuf.

Vier lebendige Teams und zwei tote Hüllen

Ab 1996 gab es somit sechs R&D-Abteilungen bei Nintendo. Miyamotos EAD-Team war die größte und wichtigste und zeichnete für die Softwareproduktion zuständig; eine andere stellte Handhelds her, wieder eine andere Heimkonsolen und eine weitere sorgte für kleine, innovative Hardwareprojekte. Was die zwei übrigen Teams R&D1 und R&D2 angeht: Diese waren nur noch ein Schatten ihrer selbst. Nach seiner Aufspaltung brachte R&D1 nur noch acht Spiele hervor, darunter „Wario Land“, „WarioWare“ und „Metroid Fusion“. Das war kein Vergleich zur aktiven Vergangenheit des Studios. R&D2 indes hatte die Aufgabe der Konsolen-Produktion abgegeben und war immer weiter geschrumpft; zuletzt programmierte es bloß noch Portierungen wie die „Super Mario Advance“-Reihe.

Im Nintendo Central Office war unter anderem die EAD-Abteilung untergebracht.

Satoru Iwatas erste große Umstrukturierung

Als Satoru Iwata 2002 die Konzernführung von Yamauchi übernahm, ging er bald eine Umstrukturierung des internen R&D-Bereichs an. In deren Rahmen wurden R&D1 und R&D2 2004 nach über 30 Jahren im Geschäft geschlossen; R&D2-Chef Uemura verließ Nintendo dabei. Dafür schuf Iwata die neue Abteilung Software Planning & Development (SPD), in die Mitarbeiter beider aufgelösten Teams übergingen. SPD sollte in erster Linie die Zusammenarbeit mit externen Nintendo-Studios und Drittherstellern koordinieren, entwickelte aber auch eigene, kleinere Spiele. Immerhin gehörten viele talentierte Designer des alten R&D1-Teams nun zu SPD und zeichneten für besondere Spiele wie „WarioWare“ oder „Dr. Kawashima“ verantwortlich.

SPD wurde zunächst von Satoru Iwata selbst geleitet, bis er Shinya Takahashi zum General Manager ernannte. Gegründet wurde SPD mit dem Ziel, EAD zu entlasten. Fortan war Miyamotos Abteilung einzig und allein für interne Spieleprojekte zuständig, während SPD die Kooperation mit allen externen Studios übernahm. Doch auch die Struktur der EAD-Abteilung krempelte Iwata damals um. Die zuvor ziemlich ungeordnete Anhäufung talentierter Spieleentwickler wurde nun in fünf Unterabteilungen gegliedert. Jedes dieser Teams bekam einen eigenen Produzenten zur Seite gestellt, um an eigenen Projekten zu arbeiten, während Miyamoto und sein langjähriger Kollege Takashi Tezuka die Gesamtleitung über sämtliche EAD-Teams inne hatten.

Außerdem wurde 2003 eine zweite EAD-Niederlassung in Tokyo gegründet, die zunächst aus einem, ab 2007 aus zwei und seit 2013 schließlich aus drei Teams bestand. Iwatas EAD-Umstrukturierung von 2005 machte die Abteilung viel dynamischer und flexibler, sodass diese an mehr Spielen gleichzeitig arbeiten konnte. Denn nur die Entwicklungsleiter waren den einzelnen EAD-Abteilungen fest zugeordnet; Programmierer, Grafiker, Komponisten und weitere wurden je nach Bedarf zwischen den vielen Projekten ausgetauscht. Wenn EAD 3 also etwa ein neues „Zelda“ entwickelte, wurden dem Team entsprechend viele Mitarbeiter zugewiesen, während andere Gruppen, die vielleicht gerade nur an Prototypen arbeiteten, ausgedünnt wurden.

Das Team für besondere Angelegenheiten

Nach Iwatas Umstrukturierung von 2005 bestand der R&D-Bereich bei Nintendo aus fünf Abteilungen. RED schuf Nintendo DS lite, DSi und 3DS, IRD zeichnete für Wii und Wii U verantwortlich, EAD entwickelte munter eine Vielzahl von Spielen und SPD hatte bei allen übrigen Nintendo-Spielen seine Finger im Spiel.

Die fünfte Abteilung im Bunde war SP&D, seit 2008 Network Service Development, seit 2011 Network Business & Development und ab 2013 System Development Division (SDD). Dieses fünfte R&D-Team ist nicht zuletzt wegen der vielen Umbenennungen und der sterilen Bezeichnungen schwer zu fassen. Es hat aber wichtige Rollen inne: Es ist zuständig für die Programmierung von Betriebssystemen, Engines und Entwicklungsumgebungen, für Nintendos Online-Infrastruktur, das Nintendo Network und die Server-Wartung. Allein über 100 Netzwerk-Techniker sind hier angestellt. Hinzu kommen besondere Hard- und Software-Projekte wie der Pokémon Mini, der Game Boy Advance eReader, der Pokéwalker, Wii-Shop-Kanal, Nintendo eShop oder Miiverse.

Das Nintendo Kyoto Research Center beherbergte unter anderem die SPD-Abteilung.

Exkurs: Nintendos übrige Studios

Die Armada an zum Nintendo-Konzern gehörenden R&D-Teams und Studios geht natürlich noch etwas weiter; die übrigen Unternehmen seien nun hier der Vollständigkeit halber erwähnt. In Amerika existieren das 1998 gegründete Nintendo Software Technology (NST) („Metroid Prime Hunters“, „Mario vs. Donkey Kong”) sowie Nintendo Technology Development (NTD), das auch bei der Konsolen-Entwicklung mitmischt. Indes gibt es in Frankreich Nintendo European Research & Development (NERD), das Middleware und andere Technologien bereitstellt. Reine Spielestudios indes sind 1-UP Studios, Monolith Soft, Nd Cube und Retro Studios. Alle anderen für Nintendo tätigen Studios, etwa HAL Laboratory oder Intelligent System gehören nicht direkt dem Konzern an.

Die zweite Umstrukturierung: Iwata krempelt Nintendo um

2013 leitete Iwata die zweite große Nintendo-Umstrukturierung seiner Amtszeit ein, die diesmal viel weitreichender war. Am 16. Februar 2013 wurde das Handheld-Team RED mit dem Heimkonsolen-Team IRD fusioniert. Indem nun sämtliche Hardware-Projekte unter dem Namen IRD und Takedas Leitung liefen, sollte die Zusammenarbeit zwischen beiden Teams gestärkt werden. Zugleich heizte dies Spekulationen an, Nintendos nächste Konsole sei ein Handheld-Konsolen-Hybrid.

Außerdem begannen EAD und SPD zu verschmelzen; sie arbeiteten gemeinsam an Projekten und EAD übernahm immer mehr SPD-Mitarbeiter. Ferner stärkte Iwata die für Engines, Betriebssysteme und Online-Angelegenheiten zuständige System Development Division. Als weitere Maßnahme ließ Iwata ein neues R&D-Hauptgebäude errichten, das Mitte 2014 öffnete und seither 1500 Software- und Hardware-Entwicklern eine erstmals gemeinsame Unterkunft bietet. Dies soll die Effizienz weiterhin erhöhen.

Hinzu kommen zwei völlig neue Abteilungen. 2013 gründete Nintendo das Team Development Administration & Support (DAS), welches dafür zuständig ist, die Entwicklung von Hardware und Spielen zu koordinieren und zu unterstützen. Die Kooperation mit externen Studios scheint ebenfalls in das Metier dieses Teams zu fallen. DAS beherbergt auch die neue General Support Group, der Mitarbeiter von Monolith Soft Kyoto, 1-UP Studio, Indies Zero und weiteren Unterstützungs-Studios angehören, die bei Nintendos internen Projekten aushelfen. DAS wird auch von Shinya Takahashi geleitet.

Darüber hinaus rief Iwata im März 2014 die Business Development Division (BDD) ins Leben. Ihre Aufgabe ist es, Nintendos Geschäfte weiter auszubauen und weitere Kooperationen mit den wertvollen Nintendo-Marken einzugehen. Diese Abteilung steckt auch hinter der noch nebulösen Quality-of-Life-Sparte, welche immerhin das dritte Standbein neben Konsolen und Spielen werden soll. Ob die amiibo auch in den Aufgabenbereich von BDD fallen, ist unbekannt. Supervisor von BDD ist ebenfalls Takahashi.

Seit Mitte 2014 arbeiten alle R&D-Abteilungen von Nintendo zusammen im neuen Nintendo Development Center.

Neuer Präsident und weitere Maßnahmen

Die Umsetzung seiner weiteren Pläne erlebte Iwata leider nicht mehr mit, denn unerwartet verstarb er am 11. Juli 2015. Am 16. September 2015 wurde der vorherige Personalchef Tatsumi Kimishima zum Nachfolger auf dem Thron des Nintendo-Präsidenten gewählt. Zugleich traten zum 16. September weitere noch von Iwata geplante Maßnahmen in Kraft.

Schon seit der DS-Ära waren EAD und SPD unmerklich immer näher zusammen gerückt und hatten an vielen Projekten gemeinsam gearbeitet. Nun verschmolzen beide Teams offiziell zur neuen Abteilung Entertainment Planning & Development (EPD). Sie wird vom vorherigen SPD-Boss Takahashi geleitet, der damit nun mit Ausnahme der Hardware-Sparte Nintendos gesamten R&D-Bereich befehligt. IRD indes fusionierte mit SDD, dem Team hinter Betriebssystemen und dem Nintendo Network, zum neuen Platform Technology Department (PTD). Dieses ist fortan zuständig für sämtliche Aspekte der Entwicklung künftiger Nintendo-Hardware; Chef des Ganzen ist Ko Shiota, der Projektleiter von Wii und Wii U.

Die alte Generation zieht sich zurück: Nintendo ist zukunftssicher

Wie damals unter Yamauchis Ägide existieren innerhalb von Nintendo somit wieder vier R&D-Abteilungen – eine für Hardware, eine für Spiele, eine für QoL und ähnliche Projekte und eine für Verwaltungsaufgaben und Entwicklungs-Support. Nun, da die Phase der Umstrukturierung überwunden ist, ist Nintendo wieder sicher für die Zukunft. Das zeigt sich auch daran, dass Shigeru Miyamoto und Genyo Takeda ihre jeweilige Posten als Abteilungsleiter verlassen haben und nun Supervisor und Berater ihrer Sparten sind.

Die alte Generation, die Nintendo groß gemacht hat, ist nun in den Hintergrund gerückt – Yamauchi, Yokoi und Iwata leben bereits nicht mehr, Uemura und Okada sind im Ruhestand, Miyamoto und Takeda beaufsichtigen nur noch. Die jüngste Umstrukturierung hat viele personelle Änderungen mit sich gebracht, sodass die Managerposten nunmehr von jüngeren Entwicklern übernommen werden – jüngere, aber mindestens genauso erfahrene Entwickler wie Shinya Takahashi, Takashi Tezuka, Kensuke Tanabe, Yoshio Sakamoto, Katsuya Eguchi und Yoshiaki Koizumi haben nun die Fäden in der Hand.

Nintendos Wandlungsphase ist damit vorüber – die Zukunft kann kommen, und wir sind sehr gespannt, was sie für den japanischen Traditionskonzern bereithält.


Nintendos neuer Chef Tatsumi Kimishima setzt zunächst die Pläne seines Vorgängers Iwata um, damit Nintendo zukunftssicher wird und bleibt. Neben ihm die langjährigen Angestellten Miyamoto und Takeda, die sich langsam auf ihren Ruhestand vorzubereiten scheinen.

Hauptquelle: Kyoto-Report


In unserer jeden zweiten Sonntag erscheinenden Rubrik „Inside Nintendo“ berichten wir über die Geschichten hinter Spielen, Serien, Konsolen, Studios und Personen rund um Nintendo. Eine Übersicht aller bislang veröffentlichten Ausgaben ist unter diesem Link zu finden.

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Bisher gibt es drei Kommentare

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  • Avatar von Garo
    Garo 16.11.2015, 12:07
    Sehr guter Bericht! Aufgrund des guten Schreibstils und der Grafik weiß man trotz der vielen unterschiedlichen Abteilungen immer, wie es gerade aussieht.
  • Avatar von virus34
    virus34 16.11.2015, 08:52
    Wiedermal Danke für den tollen Bericht, auch wenn es mir wirklich schwer fällt ihm zu folgen :-)
  • Avatar von Minato
    Minato 15.11.2015, 12:50
    Ein toller Überblick über Nintendos Entwicklung, hat sich so einiges geändert. Hoffen wir, dass sich dies positiv auf die Zukunft auswirken wird.