Oliver Kahn kommt später als die Kollegen aus der Kabine, starr die Miene. Oliver Kahn macht beim fünf gegen zwei mit den Ersatzspielern mit. Oliver Kahn stellt sich nicht ins Tor, als Jens Lehmann das Aufwärmen beendet, die Torschüsse fliegen dem dritten Keeper Timo Hildebrand um die Ohren und meist ins Netz.

Oliver Kahn verabschiedet sich in die Kabine und wirft zuvor seine Torwarthandschuhe auf die Ränge. Oliver Kahn kehrt zurück vor dem Anpfiff und begibt sich zur Ersatzbank, die Miene genauso starr wie vorher. Oliver Kahn platziert sich am äußersten Ende der Bank, so weit weg wie möglich vom Bundestrainer Jürgen Klinsmann.

Oliver Kahn schaut beim Spiel zu. Oliver Kahn erhebt sich auch beim Tor und jubelt, irgendwie.

Oliver Kahn geht während der Pause auf dem Rasengrün spazieren. Oliver Kahn hat beide Fäuste in den Hosentaschen seiner schwarzen Trainingshose und stiert ins Publikum, als suchte er einen Bekannten. Oliver Kahn unterhält sich mit dem Greenkeeper, den er kennt, man spielt ja in München.

Oliver Kahn setzt sich wieder hin zur zweiten Halbzeit. Oliver Kahn erscheint groß auf der Videowand, starr die Miene, das Kinn auf Zeigefinger und Daumen gestützt.

Oliver Kahn erhebt sich, einen Ball unter dem rechten, sein Torwarttrikot, das er keine Sekunde übergezogen hat, unter dem linken Arm. Oliver Kahn geht ein paar Schritte auf den Platz, schaut orientierungslos. Oliver Kahn tauscht mit dem schwedischen Ersatztorwart das Trikot, als John Alvbage ihn anspricht. Oliver Kahn nimmt dessen rotes Trikot mit der Nummer12 und gibt sein hellblaues mit der Nummer12. Oliver Kahn ist längst in der Kabine, als Jens Lehmann und die anderen Spieler auf ihrer Jubeltour unterwegs sind, verehrt von entfesselten Fans, die fröhlich singen, was aus den Lautsprechern dröhnt, unter anderem die Mär von den wahren Freunden und zum Abschied: "So ein Tag, so wunderschön wie heute."

Für Oliver Kahn (37) ist es wieder ein Tag so schrecklich schlimm wie nahezu alle bei dieser WM, ganz besonders, wenn die Spiele laufen.

Oliver Kahn schleicht aus der Kabine, die Hände umklammern hinterm Rücken einen braunen Kulturbeutel. Oliver Kahn sagt: "Ich bin eher ein nüchterner Typ. Das heißt aber nicht, dass ich mich nicht freue für die Mannschaft. Ich leide auch nicht unter meiner Rolle. Das war eher in den ersten Spielen der Fall, mit der Zeit findet man sich immer besser damit ab."
Will die jungen Helden auf dem Boden halten: Oliver Kahn mit Lukas Podolski.
Will die jungen Helden auf dem Boden halten: Oliver Kahn mit Lukas Podolski.

Oliver Kahn sagt, seine Aufgabe als Führungsspieler sehe er "vor allem darin, das jetzt zu vermitteln: Wir dürfen nicht denken, wir hätten schon was erreicht", vor allem die jungen Spieler müssten auf dem Boden gehalten werden, "wie jetzt Lukas, wenn er gerade zwei Tore geschossen hat".

Oliver Kahn sagt aber auch im Spiegel, dass er "nie nachvollziehen und verstehen werde, warum ich nicht die Nummer eins bin". Oliver Kahn hatte "eine Erklärung" erhofft, er erhielt einzig "die Aussage, wir machen das mal mit Jens Lehmann", weil der "einen Tick besser sein soll". Oliver Kahn sagt: "Es gab eigentlich keinen Grund, die Nummer eins abzusetzen." Oliver Kahn gibt zu, dass die jetzige Rolle für ihn "nicht angenehm" sei, "der Weg zur Bank war jedes Mal ein schwerer Gang". Oliver Kahn möchte "nicht griesgrämig" in seinem Zimmer verschwinden, sondern er will, "dass die Mitspieler von meiner Rolle profitieren".

Oliver Kahn müht sich, Oliver Kahn kämpft gegen diese Enttäuschung, gegen diese Traurigkeit, gegen diese Ohnmacht. Oliver Kahn wollte das Finale 2002 korrigieren, Oliver Kahn wollte den letzten großen Auftrag seiner großen Karriere ausführen. Oliver Kahn wollte Weltmeister 2006 werden.

Oliver Kahn leidet. Oliver Kahn verdient dafür Verständnis.

Es gibt auch Schattenseiten der WM. ( Auch wenn es ein Einzelschicksal ist)