Das rebellische Glas
Neulich, am Nachmittag, hatte ich unter einem überdurchschnittlich anspruchsvollen, von den meisten Menschen noch nie erlebten, Dilemma zu kämpfen, dass mich mental an den Rand der Verzweiflung und moralisch, ethisch und sogar menschlich in meinen Grundfesten erschütterte.*
Früh am morgen, der frohe Vogel besiegt schließlich Diablo, nahm ich genüsslich und frohlockend mein Frühstück zu mir, nichts davon ahnend, welch Horror mich am frühen Nachmittag weit abseits von Tristram und sonstigen Kreaturen aus der Hölle leibhaftig im echten Leben an mir zehren würde. Nach beendigen des Verzehrs meines mit Schinken garnierten Gaumenschmauses (oh Gott und der Orangensaft erst...), hab ich selbstredend mein Geschirr sofort in die Spülmaschine gepackt und, so brav wie ich nunmal bin, gleich die Zähne geputzt um mich gleich darauf quietschfidel in ein blutiges Intermezzo mit den Übeln der Hölle zu stürzen.*
Einige Stunden später überkam mich der Hunger erneut und diese Bestie, die so manch einer als "Magen" bezeichnet, knurrte mich gnadenlos an. Tausende Höllenwesen hatte ich mit wenigen, kleinen Fingerbewegungen getötet, doch dieses Monstrum zwang mich in die Knie und ich musste seinem Willen nachkommen. So ging ich also runter ins Erdgeschoss und von dort aus in die Küche um mir ein formidables Stück Erdbeerkuchen aus dem Kühlschrank zu nehmen, in der Hoffnung mein Peiniger würde sich für eine Weile damit zufrieden geben. Ich hatte Glück - es hatte geklappt. Auch hier wieder öffnete ich die Spülmaschine um kurz darauf voll blankem Entsetzen festzustellen, dass das Geschirr SAUBER war.*
Schock.*
Tief durchatmen... War in der Zwischenzeit jemand zu Hause? Nope, keine Chance. Die sind alle arbeiten und kommen erst in ein paar Stunden heim. Verdammt. Erstmal Schadensbegrenzung betreiben (Ich verkniff mir das Verlangen eine Sonnenbrille aufzusetzen und somit mit einem leichten Augenzwinkern den Protagonisten einer US-Amerikanischen Krimiserie auf die Schippe zu nehmen). Das mit Butter beschmierte Messer war schnell geortet und, samt dem Geschirr, welches in der Maschine daneben lag und verschmutzt wurde, rasch mit der Hand gespült. Der Teller hatte lediglich ein paar Krümmel abbekommen und war ebenfalls schnell erledigt.*
Das eigentliche Problem war das Glas, in dem sich vorher der aus 100%-Fruchtsaft bestehende Orangensaft befand. Das Geschirr wird nämlich über den Tellern gelagert. Könnte etwa ein kleiner Rest aus dem Glas auf die Teller getropft sein? Ich musterte jeden Teller ganz genau, nur um dann mit einem flauen Gefühl im Bauch festzustellen, dass soweit alles in Ordnung zu sein scheint (warum auch immer ausgerechnet heute scheinbar nichts hinabgetröpfelt ist...hm...). Dolch welches Glas war nun das benutzte?
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich die Lage noch gut im Griff und ich bin sicher die Miami Dade Police wäre stolz auf mich, doch nun schien die Lage zu eskalieren. Krisenmanagement war nicht gerade meine Stärke und auf eine solche war ich nicht vorbereitet. Was soll ich tun?! Ich versuchte mich zu beruhigen und an die Form des Glases zu erinnern, die mir auch spontan wieder einfiel, aber nicht half, da fast alle Gläser in der Maschine besagte Form besaßen. Panik machte sich breit. Ich würde jedes einzelne Glas genauestens betrachten müssen...*
Ein wenig später:
Es war wie verhext! Das Glas war partout nicht zu finden. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn... Würde ich jedes einzelne Glas neu spülen müssen? Könnte ich das moralisch und ethisch verkraften, dass alle Gläser sich einer solchen Tortur unterziehen müssen, nur weil einer von ihnen den Fehler beging zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein? Für den Moment überlegte ich, ob ich nicht einige von ihnen als Geisel nehmen und an ihnen das Spülen beginnen sollte, damit sich der wahre Übeltäter zum Wohle aller stellt, doch dieses gewitzte Glas besaß bereits die Dreistigkeit (!) sauber auszusehen und uns, mich und die anderen Gläser, heimtückisch zu täuschen und zu hintergehen. Ich war enttäuscht erst heute noch liebkoste ich es mit meinen Lippen und jetzt, wenige Stunden später, nutzt es meine Naivität schamlos aus um ungespült davon zu kommen. Was tun? Auf dumm stellen? Angesichts meines angespannten Gesichtsausdrucks ein Unding... Auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren?*
...
Wut... Ich konnte dieses blasphemische Glas doch nicht davon kommen lassen! Rage. Mit mir nicht! Zorn! Mich, Tiago Albrinck, würde kein, aber auch gar kein, Glas in die Knie zwingen. GRAAARGH!! *Es hält mich zum Narren! Das Blut, das aufgrund der vorangegangenen Panik bereits durch die Adern raste, begann zu brodeln. Ein solches Vergehen kann, darf und will nicht toleriert und muss bestraft werden. Ohne Rücksicht auf Verluste! Bei allen großen Einsätzen gibts Kollateralschäden! Bei solch einem Einsatz der nationalen Sicherheit darf nicht gezögert werden. Entschlossen griff ich mir das erste Glas!*Packte den Schwamm! Spülmittel! Ich hatte meine Finger bereits am Wasserhahn, als...
...mein Handy klingelte. Ein Kumpel war dran und sagte, dass er jetzt Diablo spielen werde und fragt ob ich mitspielen möchte. Da brauchte ich nicht lang überlegen! Ich legte das Glas zurück, ging nach oben an den Rechner und spielte Diablo mit besagtem Kumpel. Die Sache mit dem Glas wird schon keiner merken...