Als sie den Briefkasten öffnete, fiel Gwen ein merkwürdiger Brief zu Füßen. Ein goldener Umschlag mit ihrem Namen und dem Aufdruck „Sie haben Gewonnen“. Verwirrt runzelte sie die Stirn, sie wüsste doch, wenn sie bei einem Gewinnspiel mitgemacht hätte. Oder hatte sich ihre Firma bei so etwas angemeldet? Eigentlich konnte sie sich das nicht vorstellen.
Kopfschüttelnd nahm sie den Brief zusammen mit den Rechnungen und Werbeprospekten in die Wohnung. Letztere warf sie unachtsam auf den Tisch und öffnete achtlos den Briefumschlag mit einer Schere. Ein Flugticket und ein bedrucktes Papier lugten hervor, sie legte das Flugticket beiseite und schaute sich den Text genauer an.
„Sehr geehrte Frau Bakersfield,
wir freuen uns Ihnen mitteilen zu können, dass sie sich auf eine aufregende Reise begeben können. Das Ziel ist eine wunderschöne Villa im Wald Tschechiens, abgeschieden von der Zivilisation. Dort können Sie sich von ihren Alltagssorgen entspannen und die Abgasfreie Luft kosten. Der umliegende Wald ist perfekt zum Wandern und andere Freizeitaktivitäten.
Das Flugticket liegt diesem Brief bereits bei, er startet am 14. Juli am Düsseldorfer Flughafen. Für ihren maximalen Komfort haben wir Ihnen 1. Klasse Tickets gebucht, um ihre Entspannungsreise passend zu starten. Am tschechischen Flughafen erwartet sie und ihre Begleiter dann ein Reisebus um sie auf angenehme Weise zu ihrer Traumvilla zu bringen. Die geplante Zeitdauer für die Reise sind 2 Wochen.
Wir wünschen ihnen viel Spaß bei ihrer wunderschönen Reise.
Sollten sie ihre Reise nicht antreten wollen, schicken sie das Flugticket bitte zur Verwaltung des Düsseldorfer Flughafens.“
Verwirrt sah Gwen das Geschriebene an. Sie wusste immer noch von wem der Brief war, nirgendwo war ein Absender vermerkt und auch auf dem Flugticket standen keine neuen Informationen. Aber das „1. Klasse“ lockte sie doch sehr. Und ihr Alltag war doch sehr öde, in letzter Zeit waren die Kunden schrecklich ungeduldig und geizig. Geld für eine eigene Rückreise hätte sie auch. Im schlimmsten Fall würde sie also einfach zurückfliegen, falls ihre Mitreisenden oder der Busfahrer ihr zu seltsam vorkämen.
Selbstzufrieden nickte Gwen und machte sich an die Arbeit ihren Koffer zu packen, schließlich würde sie schon in 2 Tagen im Flieger sitzen und müsste solange das Gesicht ihres schmierigen Kollegen Dominik nicht sehen. Noch ein Argument für diese Reise.
Als sie aus dem Flugzeug ausstieg kamen ihr die ersten Zweifel. Ihre Mitreisenden hatten sich als ein ganz schön chaotischer Haufen herausgestellt. Die Busfahrt könnte lustig werden, mit einem asiatischen Fotografen der wie eine Mischung aus einem Stalker und dem typischen chinesischen Touristen wirkte oder dem kleinen Mädchen, das irgendeine Fantasy-Figur darstellte.
Seufzend lies sich Gwen auf einen der hinteren Plätze im Bus sinken, nachdem sie ihr Gepäck dem leicht subtilen Busfahrer überlassen hatte. Als die Mitreisenden sich dieser Tätigkeit anschlossen und ihre Plätze bezogen hatte, fühlte sie sich in ihre Schulzeit versetzt. Wobei ihre Klasse nie so eine verrückte Ansammlung von Menschen gewesen war. Da waren zwar die abendlichen Abstürze die manche über der Toilette verbrachten, aber niemand von ihnen hatte eine Ente bei sich.
Gwen schwor sich, wenn das Mädchen mit dieser Ente auch nur in ihre Nähe kam, würde dieses Tier sein blaues Wunder erleben. Sie sah aus dem Fenster und stellte sich bildhaft vor, wie sie dieses öffnen und die Ente hinauswerfen würde. Die Vorstellung brachte ihr ein Lächeln aufs Gesicht.
Sie hatte damals immer zu den Beliebten gehört und jetzt fühlte sie sich in die Gruppe der Versager versetzt. Kopfschüttelnd fuhr sie sich durch das dunkelbraune Haar, diese Fahrt konnte ja heiter werden. Wieder lies sie den Blick durch den Bus schweifen und stellte ernüchternd fest, das sich auch beim genaueren Hinsehen die meisten lediglich als Spinner herausstellten.
Da war dieser Typ der sich gerade an eine Frau ranmachte, die nur von sich hinlächelte. Erbärmlich, dachte sich Gwen und empfand Sympathie mit der Frau, die sich gerade gegen einen anderen Verehrer wehrte, den man nur noch als verzweifelt ansehen konnte. Seufzend schloss sie die Augen, konnte sie das Elend doch nicht mehr ertragen. Sie würde sich eine kleine Pause gönnen, bevor sie die nächsten Tage mit diesen Idioten verbringen müsste.
Unsanft wurde sie von der kratzigen Stimme des Busfahrers durchs Mikrofon geweckt. Verwirrt stellte sie fest, dass der Bus stillstand, obwohl sie aus dem Fenster nur auf Bäume blickte. „Hier ist Endstation, folgen sie dem Feldweg Richtung Norden, dann sollten sie in einer halben Stunde an ihrem Ferienhaus angekommen sein“, ertönte die Erklärung. Empört machte Gwen den Mund auf, doch jemand kam ihr zuvor. „Warum fahren sie uns nicht dorthin, die Straße geht doch weiter!“, rief die Frau, die Gwen positiv aufgefallen war. „Ich bin doch nicht lebensmüde. Und jetzt steigen sie schon aus“, drängte der Busfahrer sie mürrisch.
Mit einem wehleidigen Blick auf ihre Schuhe stieg Gwen aus dem Bus und nahm ihren Koffer entnervt entgegen. Nachdem jeder sein Gepäck im Empfang genommen hatte, fuhr der Bus eilig davon und ließ sie in der Einöde sitzen. „Am Ende haben sie uns hier in der Wildnis ausgesetzt, als Futter für die wilden Tiere“, meldete sich ein beleibter Mann zu Wort. „Vermutlich gibt es einfach nur keine Straße zu dem Haus und der Busfahrer wollte uns nur Angst einjagen!“, meinte eine Frau freudig. Gwen band sich die Haare zusammen und schnaubte. Wie konnte man so optimistisch sein?
Bevor sie diese Diskussion fortführen konnte, lief ein drahtiger Bursche voran, mit einem Reiserucksack, der die doppelte Masse von ihm zu haben schien. Um einiges langsamer schloss sich der Rest der Gruppe an und nach einer Stunde Fußmarsch waren sie noch immer unterwegs. Einige machten ihren Gedanken Luft und äußerten die Zweifel an ihrer Entscheidung hier mitzumachen. Außer natürlich der Sonnenschein mit Namen Viktoria, wie Gwen erfahren hatte, dieses optimistische Etwas wurde fortwährend vom Unterwäschemodel mit Rufnahmen Martin angegraben und es schien sie nicht zu stören.
Dann waren da aber auch wieder Menschen wie Mira, dessen Koffer sich drei Mal auf dem Weg hierhin geöffnet hatten. Zum Glück waren ein paar der Jungs hilfsbereit gewesen und haben ihr geholfen, das Ding wieder zu bepacken und zu verschließen. Die Frau tat Gwen leid, schließlich schienen ihre Unterwäsche den Waldboden am liebsten zu mögen.
Irgendwann hatten sie schließlich ihr Ziel erreicht: Eine alte, aber scheinbar noch intakte Villa im Wald. Vor der Tür standen der Flitzebogen und ein älterer Mann, der der Hauswart zu seien schien. Erschöpft bewegte sich die Gruppe auf das Haus zu und dachte an Essen und Sanitäranlagen. Gwen schob sich an den anderen vorbei und wollte den Mann fragen, was es mit diesem Haus auf sich hatte, als sie bemerkte, dass er nur Tschechisch redete. Na super, dachte sich Gwen und stürmte ins Haus. Dieser Ausflug war die schlechteste Idee ihres Lebens.
Als sie durch die Tür schritt, landete sie in einer riesigen Eingangshalle. „Okay, was tun wir jetzt?“, fragte sie die hinterhertrottetende Gruppe. „Wieso wir? Bist du jetzt unsere Anführerin?“, meldete sich jemand anderes zu Wort. „Anführerin? Sind wir im Kindergarten?“, meinte Gwen empört und fuhr fort, „Am besten sehen wir uns um und beziehen die Zimmer. Je nachdem wie viele es gibt müssen wir allein, zu zweit oder zu dritt auf ein Zimmer.“
„Ich zähl die Zimmer, ihr könnt hier warten!“, meinte der Sportler und raste aus der Eingangshalle. „Derweil schau ich in der Küche nach“, meinte ein Mann namens Ben und machte sich auf den Weg. „Essen klingt gut“, meinte das Mädchen im Kostüm und hielt sich den Bauch. „Ja, Abendessen wäre eine wirklich gute Idee!“, flötete Viktoria.
Nach einigen Minuten kamen die Beiden zurück und erstatteten Bericht. „Insgesamt gibt es 10 Schlafzimmer, fünf mit Einzelbetten, zwei mit Doppelbetten und drei mit zwei Einzelbetten.“ „Wir sind 16 Leute und 6 Frauen. Da ihr Kerle ja immer unglaubliche Angst vor Körperkontakt haben, gehen am besten die Frauen auf die Zimmer mit den Doppelbetten“, beschloss Gwen, woraufhin Gelächter folgte.
„Bevor wir uns auf die Zimmer begeben: Die Küche ist in einem super Zustand und der Kühlschrank ist voll. Auch wenn ich den Hauswart nicht verstehe, kann ich uns definitiv was kochen“, erklärte Ben und wie zur Bestätigung knurrten die Mägen einiger Personen. „Dafür hat er sich ein Einzelzimmer verdient!“, tönte es von Konstantin. „Also eigentlich...“, fing Ben an, wurde jedoch vom eiskalten Blick von Claire daran gehindert, weiter zu sprechen, „...Einzelzimmer klingt gut.“
Während die anderen nun weiter über die Zimmerverteilung...diskutierten, begab sich Ben in die Küche und gab sich ganz seinem Element, dem Kochen, hin.
[Zimmerverteilung s. Spoiler oben]
An einer alten Holztafel, die im augenscheinlichen Esszimmer standen, hatten alle Reisenden Platz gefunden und speisten das Mahl, das ihnen Ben, mit Hilfe von Viktoria und Steven, zubereitet hatte. Es mundete allen und während Lars über die Architektur des Gebäudes philosophierte, dachten, bis auf Kevin, nun alle an ihre weichen Federbetten. Sogar Liliths kleine Ente hatte sich auf ihrem Schoß zusammengerollt und war im Land der Träume. Die Gespräche versiegten schnell und nachdem sich wieder Küchengehilfen für den Abwasch gefunden hatten, begaben sich alle auf ihre Zimmer.
[Nächster Tag]
Am Frühstückstisch hatten sich alle zusammen gefunden. Wirklich alle?
Viktoria meldete sich als erstes zu Wort: „Kann ich gerade nicht zählen oder sind wir wirklich nur 15?“ „Unsere Anführerin fehlt“, meinte Martin gehässig. „Sie sah sehr müde aus gestern. Vielleicht schläft sie ja noch“, überlegte Alexander und schrieb wie auch den vergangenen Abend in seinem Notizblock.
„Dann sollte sie mal jemand wecken“, meinte Kevin und war auch schon aufgesprungen. Doch nach nur wenigen Minuten kam er mit bleichen Gesicht und vollkommen außer Atem zurück ins Esszimmer. Schockierte und fragende Augenpaare blickten ihn an, doch er schüttelte nur den Kopf und lief – diesmal um einiges langsamer – wieder in die Richtung der Zimmer.
Zögernd folgten die anderen ihm und der Anblick, der sich ihnen bot, jagte ihnen nicht nur einen Schauer über den Rücken. Gwen war mit einer Kleiderstange aufgespießt und an einem Regal aufgehängt. Die Augen blickten ins Leere und das Zimmer war mit Blut nicht befleckt, viel mehr geflutet.
Vollkommen aus der Fassung blickte die Gruppe auf diese groteske Szenerie und begriff nun, dass dies wirklich kein normaler Ausflug war. War die Warnung vom Busfahrer nun doch kein dummer Scherz?