Inside Nintendo 109: Der Nintendo-DS-Report, Teil 2: Die Enthüllung und die Einführung

Nach dem ersten Bericht, in dem es um die Entstehung des Nintendo DS ging, beleuchten wir im heutigen Teil unserer großen Reportage zum Nintendo DS die Zeit bis zur Enthüllung von Nintendos neuem Handheld, seine Ankündigung auf der E3 2004 und schließlich die Veröffentlichung sowie die ersten Monate auf dem Markt.

Sony bläst zum Angriff

Mit dem GameCube hatte Nintendo nicht wie erhofft Marktanteile gewinnen können, sondern tatsächlich noch mehr verloren. Dafür stand es für den Konzern im Handheld-Markt besser als je zuvor: Mag der Game Boy Advance den Erfolg des 8-Bit-Game-Boy auch nicht ganz erreicht haben, so gab es im Handheld-Sektor keine ernste Konkurrenz. Ein entsprechend großes Beben erschütterte die Industrie als Nintendos härtester Konkurrent im Heimkonsolen-Markt, Sony, auf der E3 2003 seinen Einstieg in die Handheld-Branche ankündigte. Die PlayStation Portable (PSP) sollte das erste Handheldsystem mit Disc-Laufwerk sein und eine traumhafte Leistung bieten.

Die Ankündigung der PSP, die erst Ende 2004 erscheinen sollte, war ein direkter Angriff auf Nintendo und sorgte für einen Abstieg des Aktienkurses des Mario-Konzerns, denn die PSP stellte den ersten ernsthaften Konkurrenten für Nintendos Handhelds seit mehreren Jahren dar. Nintendo stand also mächtig unter Zugzwang. Die Reaktion folgte sodann im August 2003: Nintendo-Chef Satoru Iwata verkündete auf einer Investorenkonferenz, dass der Konzern an etwas völlig Neuem arbeite, mit dem jeder etwas anfangen könne und womit Nintendo eine andere Richtung einschlagen wolle. Das Grundkonzept des Nintendo DS war, wie wir in Teil 1 unserer Reportage gesehen haben, zur Zeit dieser Aussage noch gar nicht lange in Stein gemeißelt.

Der Nintendo DS, Nintendos drittes Standbein

Genauere Details teilte Iwata damals nicht mit. So blieb völlig unklar, ob es sich bei der neuen Konsole um einen Handheld oder eine Heimkonsole handle. Dies sorgte für heftige Spekulationen, die erst Anfang 2004 obsolet gemacht wurden. Denn am 20. Januar kündigte Nintendo offiziell ein neues Handheldsystem unter dem Codenamen „Nintendo DS“ an. Der Konzern versprach ein revolutionäres portables Spielesystem mit zwei Bildschirmen. Der Touchscreen blieb noch unerwähnt. Auf der E3 2004 solle der DS gezeigt werden und dann Ende 2004 herauskommen, also zur gleichen Zeit wie Sonys PSP. Nintendo nahm also die Kampfansage seines Konkurrenten an.

Nintendos neuer Handheld sollte demnach bereits drei Jahre nach der Markteinführung des Game Boy Advance erscheinen. Weil dies für eine Spielekonsole doch ein recht kurzer Lebenszyklus ist, war Nintendo schon im Januar 2004 bemüht, den DS nicht als GBA-Nachfolger oder -Ablöser zu charakterisieren. Auch in den nächsten Monaten wurde immer wieder verdeutlicht, dass der Nintendo DS vielmehr eine dritte Säule, beziehungsweise ein drittes Standbein, neben dem GBA und dem GameCube, sei und neben diesen Systemen bestehen solle.

Von wegen wasserdicht – Nintendo schlägt Leck

Schon im März 2004 sind die Spezifikationen des Nintendo DS unkontrolliert an die Öffentlichkeit gelangt. Dieser Leak enthüllte die innovativen Fähigkeiten des Handhelds, nämlich den Touchscreen, die Drahtlos-Funktion und auch das Mikrofon. Übrigens stand den geleakten Dokumenten zufolge damals noch nicht fest, ob der Nintendo DS auch die Tasten X und Y haben werde.

Ebenfalls im März 2004 wurde bekannt, dass der Projektname des neuen Handhelds „Nitro“ laute. Das spiegelt sich noch im Modellnamen der finalen Hardware wider, der mit der Buchstabenfolge „NTR“ beginnt. Damals anno 2004 war offensichtlich, dass „Nitro“ nicht der endgültige Name sein werde. Doch was hatte es nun mit der Bezeichnung „Nintendo DS“ auf sich? Immerhin hatte Reggie Fils-Aimé, damals erst seit wenigen Monaten Executive Vice President of Sales and Marketing bei Nintendo of America, noch im April 2004 erklärt, dass der Name „Nintendo DS“ auch bloß ein Platzhalter für den finalen Namen der Konsole sei.

Trommelwirbel und Vorhang auf für den Nintendo DS!

Schon im Januar 2004 hatte Iwata bezüglich der Enthüllung des Nintendo DS, die auf der E3 2004 stattfinden sollte, folgendes geäußert: „Wir erwarten nicht, dass jeder nach der Ankündigung jubeln wird.“ Er rechnete schon damals damit, dass der DS die Massen nur langsam überzeugen könne: „Es ist in Ordnung, wenn zehn Prozent der Leute das Produkt für interessant halten, und das spricht sich herum, sodass immer mehr Leute es selbst ausprobieren wollen.“ Doch auch aus seiner persönlichen Mission mit dem DS machte der Nintendo-Präsident damals keinen Hehl: „Die Spieleentwicklung ist auf mehrfache Weise in eine Sackgasse geraten. In den letzten 20 Jahren sind die Spiele einer Entwicklungsweise gefolgt, die sie immer komplexer und gutaussehender gemacht hat. Dieses Gesetz von Größe und Erfolg besteht nicht mehr. Offen gesagt: Videospiele verkaufen sich nicht mehr.“ Durch die Innovationen des Nintendo DS wolle der Konzern zudem sein damals vorherrschendes konservatives Image beseitigen.

Nachdem Nintendo durch diese und ähnliche Reden mächtig Vorfreude geschürt hatte, folgte am 11. Mai 2004 auf der E3 endlich die Enthüllung des neuen Handhelds. Neben der Weltpremiere der neuen Hardware mit ihren vielfältigen, innovativen Möglichkeiten wurden auch die ersten Spiele gezeigt. Es waren dies „Metroid Prime: Hunters“, „Super Mario 64x4“, welches später unter dem Titel „Super Mario 64 DS“ als Launchspiel erschien, „WarioWare: Touched!“ sowie die auf dem finalen DS-System vorinstallierte PictoChat-Anwendung. Neben diesen anspielbaren Titeln zeigte Nintendo auf der E3 2004 außerdem eine Reihe von Tech-Demos sowie Videomaterial zu weiteren DS-Spielen, darunter „Nintendogs“ sowie eine sehr frühe Version von „New Super Mario Bros.“ Auch die Dritthersteller präsentierten, was sie für den DS alles in petto hatten.

E3 2004: Enthüllung des Nintendo DS, ab 25:20

Wie heißt er denn nun?

Einen genaueren Releasezeitraum als Ende 2004 für Japan und Amerika – in Europa sollte das Gerät erst Anfang 2005 erscheinen – nannte der Konzern auf der E3 2004 nicht. Das Gerät wurde zwar weiterhin als „Nintendo DS“ bezeichnet, kurz für „Developer's System“, als auch „Double Screen“, doch versicherte Nintendo nach wie vor, dass dies bloß ein Codename sei.

Das nächste große Update zum neuen Handheld folgte Ende Juli. Inzwischen hatte das Gerät eine äußere Überarbeitung erfahren, sodass es etwas weniger klobig aussah als der Prototyp vom Mai 2004. Außerdem kündigte Nintendo an, dass „Nintendo DS“, entgegen der früheren Beteuerungen, der finale Name sein werde. Der Konzern scheint sich also schwer damit getan zu haben, den finalen Namen für das intern als „Nitro“ betitelte Projekt zu finden. Außerdem soll übrigens „City Boy“ als Name für den Handheld im Gespräch gewesen sein – eine Anlehnung an den Game Boy, aber mit einem moderneren Touch. Diesen Namen ließ sich der Konzern damals sogar markenrechtlich schützen, doch letztlich wurde er zugunsten des zweifelsfrei besseren „Nintendo DS“ ad acta gelegt.

Himmel oder Hölle

In Nordamerika kam die Konsole am 21. November 2004 auf den Markt und war dabei mit einem Preis von 150 US-Dollar sehr erschwinglich. Die Riege der Launchspiele führte das Remake „Super Mario 64 DS“ an, das die 3D-Grafikleistung des Handheld unter Beweis stellte. In seinem Heimatland Japan erschien der Nintendo DS erst wenige Tage später, nämlich am 2. Dezember 2004. Am jenem Tag übrigens ließ sich Satoru Iwata weder auf einer Veranstaltung anlässlich der Markteinführung blicken, noch verfolgte er den DS-Launch vom Nintendo-Hauptquartier aus. Was Iwata stattdessen an jenem für sein Unternehmen so wichtigen Tag tat, darauf werden wir später noch zurückkommen.

Zunächst einmal soll uns hier interessieren, wie sich der DS zu seiner Markteinführung geschlagen hat. Hiroshi Yamauchi selbst hatte bereits sehr gewichtige und häufig zitierte Aussagen bezüglich der enormen Bedeutung des Handhelds für Nintendos Zukunft gemacht. „Die nächsten zwei Jahre werden über Nintendos Schicksal entscheiden“, sagte er, und spitzte seine Aussage in folgendem Bild zu: „Wenn der DS erfolgreich ist, werden wir in den Himmel aufsteigen, aber wenn er scheitert, werden wir zur Hölle hinabsinken.“

Das frühe Design des Nintendo DS von der E3 2004

Wie warme Semmeln – aber nur die Hardware

Glücklicherweise konnte Nintendo mit dem DS-Launch zufrieden sein. Denn innerhalb von vier Tagen gingen in Japan knapp eine halbe Million Exemplare über die Ladentheken, und auch in Amerika, wo der DS als erste Nintendo-Konsole früher als in Japan erschien, verkaufte sich die Klapp-Konsole blendend. Ende Januar 2005 lagen die weltweiten Verkaufszahlen schon bei knapp drei Millionen, wovon etwas weniger als die Hälfte in den Staaten verkauft worden ist. Angesichts dessen korrigierte Nintendo seine Absatzerwartungen sogar noch nach oben.

Während die Hardware wie geschnitten Brot wegging, sah es bei den Spielen anders aus. Bis Ende Januar 2005 waren weltweit fünf Millionen DS-Spiele verkauft worden; Nintendo war aber vom Dreifachen ausgegangen. Dies mag aber auch an den vielfältigen Features des DS gelegen haben, denn frühe DS-Besitzer konnten auch ohne eine große Anzahl an Spielen viel mit ihrem Handheld machen – dank der Downloadspiel-Funktion, der Abwärtskompatibilität zum GBA sowie vorinstallierter Software.

Chatten mit dem DS

Stichwort „vorinstallierte Software“: Der DS war Nintendos erster Handheld mit einem richtigen Menü, das standardmäßig nach dem Einschalten der Konsole geladen wird. Es wartet neben einer netten Sicherheitswarnung unter anderem mit einer praktischen Datums- und Uhrzeitfunktion auf und bietet Zugriff auf die Systemeinstellungen. Und dann war da ja noch der Pictochat, ein vorinstalliertes Programm, mit dessen Hilfe mehrere in der Nähe befindliche DS-Systeme Textnachrichten und Zeichnungen austauschen können. Satoru Iwata sagte 2009: Pictochat „war unser erster Versuch, diese Art von Software direkt in der Konsole zu integrieren, es gab also viele Diskussionen.“

Der Pictochat als erstes vorinstalliertes Spiel auf einer Nintendo-Konsole war also ein großer Schritt in Richtung der komplexen Betriebssysteme der jüngeren Konsolen des japanischen Konzerns – und unabhängig davon eine sehr spaßige Angelegenheit. Doch um in den Genuss des Pictochat und überhaupt der DS-Konsole und ihrer Spiele zu gelangen, musste sich der europäische Kontinent noch bis zum 11. März 2005 gedulden. Hier erschien der Nintendo DS also ein paar Monate später als in Amerika und Japan. Bis Monatsende wanderten schließlich auch hier eine halbe Million DS-Geräte über die Ladentheken.

Ein Blick auf das schlichte und stilvolle Menü des Nintendo DS und auf das beliebte vorinstallierte Programm Pictochat.

Dr. Kawashima bringt den DS auf Trab

Der Nintendo DS feierte also ein erfolgreiches Marktdebüt. Die Möglichkeit, dass das neue Gerät sich als Flop erweisen würde, war aus der Welt geräumt. Aber sein gesamtes Verkaufspotenzial entfaltete der DS noch nicht, denn zunächst erwarben ihn hauptsächlich jene Spielefans, die sich ohnehin jede neue Konsole sofort zulegen. Das ist bei einer neuen Spielekonsole zwar nichts überraschendes, allerdings war der Nintendo DS ja erschaffen worden, um eine weitaus größere Zielgruppe anzusprechen und den Markt zu erweitern. So war der riesige Erfolg, der später kommen sollte, damals noch nicht absehbar. Dies spiegelte sich schon im Umstand wider, dass der japanische Launch hinter dem des GBA zurückblieb. Der große Hype begann in Japan schließlich im Sommer 2005 und hing mit der Veröffentlichung eines besonderen Spiels zusammen, für dessen Entwicklung sich Iwata höchstpersönlich am japanischen Launchtermin des DS mit dem japanischen Neurowissenschaftler Ryuta Kawashima getroffen hatte. Die Rede ist natürlich von „Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging“.

Dieses innovative Spiel, das auf wissenschaftlichem Fundament eine Besserung der Gehirnleistung versprach, richtete sich gezielt an Menschen älteren Semesters und konnte tatsächlich viele davon zum Erwerb eines Nintendo DS überzeugen. Was nützt schließlich eine innovative Hardware ohne entsprechende Software, welche die Funktionen konkret erschließt? Es schlossen sich weitere Spieleveröffentlichungen an, die aufgrund der neuartigen Funktionen des DS eine viel breitere Masse ansprechen konnten, etwa „Nintendogs“ und „Big Brain Academy“, welches Miyamotos Spieleabteilung übrigens völlig unabhängig von „Dr. Kawashima“ entwickelt hatte. Hinzu gesellten sich DS-Ableger von Nintendos Evergreen-Serien, etwa „Mario Kart DS“ und „Animal Crossing: Wild World“ Ende 2005, die die Verkäufe weiter anfachten.

Alles in allem zeichnete sich ab, dass Nintendos Strategie der Erweiterung der Spielelandschaft Früchte zu tragen schien. Ende 2005, ein Jahr nach dem Launch, lagen die weltweiten Verkaufszahlen immerhin schon bei 14,5 Millionen. Jedoch stellt dies nicht einmal zehn Prozent der Gesamtverkäufe des erfolgreichsten Handhelds aller Zeiten dar. Dadurch wird evident, dass sich der DS erst einige Zeit nach seinem Marktstart zu dem großen Phänomen entwickelte, das Nintendo die bis dahin größten Erfolge seiner Firmengeschichte bescherte. Wesentlich trug dazu die Veröffentlichung der Revisionen Nintendo DS lite (2006) und Nintendo DSi (2008/2009) bei. Mit diesen wird es im dritten Teil unserer DS-Reportage weitergehen.

Die Informationen zu diesem Teil der Reportage stammen aus diversen Einzelquellen, die im Text an der jeweiligen Stelle verlinkt sind. Zusätzlich diente als Quelle: Osamu Inoue: Nintendo Magic, New York 2010, S. 12–20, 34–37.


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Bisher gibt es zwei Kommentare

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  • Avatar von virus34
    virus34 08.01.2017, 20:07
    Danke wieder für den tollen Bericht.
    Interessant ist die Präsentation des damaligen DS im Hinblick darauf, dass die 3rds damals auch "voll begeistert" von den technischen Möglichkeiten des DS waren. Aber nur crap drauf veröffentlicht haben, wie z.b. thq
  • Avatar von Minato
    Minato 08.01.2017, 15:16
    Klasse Bericht, vielen Dank für die tolle Arbeit! Das waren noch Zeiten mit meinem DS lite. Das Teil war unglaublich gehyped und das wirklich zurecht, tolle Spiele und Funktionen, die man damals als Normalverbraucher nicht hatte (vor allem der Touchscreen zu der Zeit...).