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Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging:...

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Inside Nintendo 123: Wie Dr. Kawashima unsere grauen Zellen wieder auf Trab brachte

Lange sah es so aus, als würde dieser Tag nie kommen: „Dr. Kawashimas diabolisches Gehirn-Jogging“ erscheint nächste Woche hier in Europa – exakt fünf Jahre später als in Japan. Das ist für uns Grund genug, einmal auf die Geschichte der „Gehirn-Jogging“-Reihe zurückzublicken. Denn vor zehn Jahren haben die beiden „Dr. Kawashima“-Titel auf dem Nintendo DS für mächtig Furore gesorgt. Die beiden Denkspiel-Softwares verkauften sich zusammen über 35 Millionen Mal. Wie die Spiele entwickelt wurden und wie es zu jenem gewaltigen Erfolg kam, davon möchten wir heute berichten.

Satoru Iwatas Task Force

Der Nintendo DS sollte durch innovative Spielkonzepte neue Zielgruppen ansprechen und so den Videospielmarkt bereichern und erweitern. Die Hardware mit ihren zwei Bildschirmen, dem Touchscreen und dem Mikrofon war zweifelsohne revolutionär, doch ohne dazugehörige Software-Neuheiten wäre Nintendo diese Mission nie gelungen. Daher nahm der damalige Konzernchef Satoru Iwata selbst die Zügel in die Hand: Gegen Mitte 2004, als der Nintendo DS der Weltöffentlichkeit präsentiert wurde, gründete er innerhalb von Nintendo eine Gruppe, die nur eine einzige Aufgabe hatte: Neue, innovative und vor allem erfolgversprechende Spieleideen für den DS hervorbringen. Iwata selbst übernahm die Leitung dieser Task Force, die den Namen „Software Development & Design Department“ (kurz SDD) trug.

Damals waren in Japan Übungen für das Gehirn äußerst populär. Der renommierte Neurowissenschaftler Ryuta Kawashima hatte 2003 zwei entsprechende Bücher veröffentlicht, die sich im Land der aufgehenden Sonne millionenfach verkauften – unter dem Titel „Gehirnjogging – Geistig topfit in 60 Tagen“ erschien 2008 auch eine deutsche Übersetzung. Auch Iwata hatte Kawashimas Übungen ausprobiert und war begeistert: „Ich fand diese wirklich spaßig und wollte daraus gern ein Videospiel machen.“ Bestärkt wurde Iwata durch Nintendos Finanzchef Jinyou Mori, der damals ebenfalls Gehirnübungen machte und die Idee unterstützte; er meinte, das Konzept spreche besonders ältere Leute an, die sonst nicht zur Zielgruppe von Videospielen gehören.

Iwata und Miyamoto: Kollegen und Konkurrenten

Die „Dr. Kawashima“-Spiele, einer von Nintendos größten Erfolgen in diesem Jahrtausend, geht also direkt auf Iwatas Initiative zurück. Nur wenige wissen, dass der einstige „Kirby“-Programmierer auch als Präsident noch wichtige Funktionen in der Spieleentwicklung einnahm. Sein SDD-Team war Teil der neugegründeten Abteilung Nintendo Software Planning & Development (SPD), die unabhängig von Shigeru Miyamoto und seinem EAD-Team operierte. Iwata hatte mit SPD also eine Abteilung geschaffen, die außerhalb von Miyamotos Reichweite stand, sodass nicht sämtliche Nintendo-Spiele vom Mastermind abhängig waren.

Dennoch konsultierte Iwata, bevor er seine Task Force mit dem Projekt betraute, seinen geschätzten Freund und Kollegen Miyamoto. Zufällig arbeiteten dessen Leute damals bereits an einer ganz ähnlichen Idee, die Rede ist dabei vom Mitte 2005 für den DS veröffentlichten „Big Brain Academy“. Iwata war mit seinem Gehirn-Projekt aber etwas schneller – das machte Miyamoto schon ein wenig neidisch.


Kouichi Kawamoto war Director von „Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging“ und leitete auch die Entwicklung des Nachfolgers und der DSi-Spin-offs. Beim 3DS-Teil war er Produzent. Neuerdings verdingte er sich als einer der Verantwortlichen für Nintendo Switch und Produzent des Launch-Titels „1-2-Switch“.

Wie alles begann

Doch zurück zu „Dr. Kawashima“. Die Forschungen des gleichnamigen Wissenschaftlers stellten heraus, dass das Lösen bereits einfacher Rechenaufgaben das Gehirn effektiv stimuliert. Entsprechend bestanden seine zwei Bestseller aus simplen Aufgaben, die dem Training des Denkorgans dienen sollten. Es lag nahe, diese Übungen in interaktiver Form auf den DS zu übertragen – doch damit allein wäre Nintendo nicht zufrieden gewesen. Die Entwickler kamen auf die Idee, anhand der Leistung des Spielers quasi das Alter von dessen Gehirn zu berechnen. Dies würde die Spieler dazu motivieren, ihre Ergebnisse mit anderen zu vergleichen und immer bessere Leistungen zu erzielen – das ideale Alleinstellungsmerkmal der Gehirnsoftware!

Damals hatte das für Entwicklungsumgebungen zuständige Nintendo-Team eine Reihe von Tools fertiggestellt, die auf dem DS Spracherkennung mithilfe des Mikrofons möglich machten, und arbeitete außerdem an Handschrifterkennung. Während die Programmierer noch überlegten, wie sie Sprachbefehle und Schrifteingabe sinnvoll in ein Spiel einbauen sollten, ging Iwata und Miyamoto ein Licht auf: Diese beiden Innovationen waren genau das, was das Gehirn-Spiel benötigte.

Für das Projekt stellte Miyamoto einen seiner talentiertesten Programmierer bereit, Kouichi Kawamoto. Er programmierte zunächst einen Prototyp des späteren Rechenminispiels, bei dem der Spieler die Lösungen mithilfe des Touchpens auf dem DS niederschreibt.

Die Reise zum echten Dr. Kawashima

Natürlich sollte der echte Dr. Kawashima von dem auf seinen Forschungen basierenden Spiel erfahren. Da Iwata genauso alt war wie der Gehirnforscher, ließ er es sich nicht nehmen, Kawashima den Prototyp persönlich vorzustellen. Allerdings hatte der vielbeschäftigte Professor bloß am 2. Dezember 2004 einen freien Termin – das war der Tag, als der Nintendo DS in Japan auf den Markt kam und über das Schicksal des Konzerns entschied. Anstelle diesen wichtigen Tag im Nintendo-Hauptquartier oder auf einer Werbeveranstaltung zu verbringen, reiste Iwata zur Universität Tohoku, um sich dort mit Kawashima zu treffen. Im Nachhinein betrachtet, war es gewiss die richtige Entscheidung.

Das Gespräch sollte eigentlich nicht lang dauern – je nach Quelle waren nur eine halbe oder eine ganze Stunde eingeplant gewesen. Daraus wurden aber drei Stunden, denn Kawashima war von der Idee und dem Prototyp begeistert. „Wenn ich ehrlich bin, war ich angesichts Ihres bevorstehenden Besuches etwas verhalten“, blickte Kawashima im Interview mit Iwata zurück. „Ich fragte mich, warum um alles in der Welt der Präsident von Nintendo jemanden wie mich besuchen wollte!“ Er lachte und fügte hinzu: „Aber nachdem wir uns getroffen und uns unterhalten hatten, stellte ich fest, dass wir auf einer Wellenlänge waren – und das war ziemlich frappierend.“


An das wegweisende Treffen mit Dr. Kawashima erinnerte sich Iwata so zurück: „Das war schon ein sehr bedeutsamer Tag!“ Mithilfe eines Geräts, das die Gehirndurchblutung misst, untersuchte der Professor sogar noch vor Ort an einem Nintendo-Entwickler die Wirkung des Prototypen.

Bloß drei Monate Entwicklung

Nach diesem wegweisenden Gespräch konnte das Projekt endlich in die heiße Phase übergehen. Kawashima fungierte dabei als Supervisor, der seine Forschungsergebnisse zur Verfügung stellte und Untersuchungen mit der Software vornahm. Für die Entwicklung stellte Iwata ein neunköpfiges Team zusammen. Da die Grafik sehr simpel gehalten werden sollte und der Produktionsaufwand somit relativ niedrig ausfiel, verlangte Iwata, dass innerhalb von 90 Tagen bereits die erste Version des Spiels fertig sei. Bei diesem straffen Zeitplan könne das Team zumindest nicht viel Zeit damit vergeuden, sich über den straffen Zeitplan zu beschweren, meinte er.

Und dem Team von Nintendo SDD gelang es, denn bereits am 19. Mai 2005 erschien das Spiel in Japan unter dem einprägsamen Titel – Luft holen! – „Tohoku University Future Technology Research Center Professor and Supervisor Ryuta Kawashima's Train Your Brain DS Training For Adults“. Seit dem wegweisenden Gespräch mit Dr. Kawashima waren bloß fünfeinhalb Monate vergangen, und darin muss man ja noch die Zeit für Herstellung und Vertrieb der Spielmodule einberechnen. Kouichi Kawamoto war der Director des Projekt gewesen, als Produzent fungierte Abteilungsleiter Shinya Takahashi. Der Sound Director, Masami Yone, war übrigens bei Nintendos „Rhythm Paradise“-Spielen für die Musik zuständig.

Die Erfolgsgeschichte beginnt

Nintendo wusste, dass „Dr. Kawashima“ eines jener Produkte war, die man selbst spielen muss, um ihren Reiz zu verstehen. Darum zwang der Konzern seine Handelspartner regelrecht dazu, eine Demoversion des Spiels zu testen. Zur Markteinführung beorderten japanische Händler etwa 70.000 Exemplare der Software, was zwar nicht sonderlich viel war. Doch die Verkaufszahlen ließen nach der Markteinführung nicht wie sonst üblich nach, sondern blieben konstant. Ihren Höhepunkt erreichten die Wochenabsätze am nationalen Tag der Ehrung der Alten: Zahlreiche Ältere Menschen bekamen von ihren Familien einen Nintendo DS mit „Dr. Kawashima“ geschenkt – Nintendos Plan, die Videospielzielgruppe zu erweitern, ging auf.

„Dr. Kawashima“ sprach sich in Japan herum, und das hatte massive Auswirkungen auf die Verkäufe des Nintendo DS: War dieser bis dahin überwiegend von eingefleischten Spielefans erworben worden, interessierte sich nun eine viel größere Zielgruppe für den Handheld – darunter auch viele Menschen, die bis dahin wenig mit Videospielen anfangen konnten. Die Erfolgsgeschichte des Nintendo DS begann also erst mit „Dr. Kawashima“ so richtig.


Bei den „Dr. Kawashima“-Spielen hält man den DS seitlich, quasi wie ein aufgeschlagenes Buch. Der linke Screenshot zeigt das Menü des Spiels mit dem Kalender, rechts ist die selbsterklärende Rechen-Übung abgebildet.

Iwatas Mission

Aufgrund dieser gewaltigen Erfolge entschloss Nintendo im Herbst 2005, „Dr. Kawashima“ auch in Amerika und Europa herauszubringen. Während Kawashima selbst skeptisch war, ob sich der Erfolg des durchaus skurrilen Titels von und mit seinem Polygon-Alter-Ego auch in Übersee wiederholen ließe, war Iwata davon überzeugt. „Ich hatte das Gefühl, ich hätte eine Mission zu erfüllen, und stellte die Software daher persönlich unseren Handelsvertretern in Amerika und Europa vor, um diese genau zu erklären und eine Marktstrategie aufzubauen!“

Seine Mission führte Iwata auf der Game Developers Conference 2006 fort, wo er einen Vortrag hielt, und dabei das Spiel ausführlich vorstellte. Er schenkte sogar allen anwesenden Journalisten ein Exemplar des Spiels – natürlich aus Werbezwecken, aber die sympathische Geste stieß auf Gefallen. Nur wenige Wochen darauf, im April 2006 erschien das Spiel unter dem Titel „Brain Age: Train Your Brain in Minutes a Day!“ in Nordamerika.

Der Sprung über den großen Teich

Für die Lokalisation mussten einige Übungen gegenüber der japanischen Version angepasst werden. Außerdem zogen die großen sprachlichen Differenzen natürlich viel Arbeit an der Handschrift- und Spracherkennung mit sich. Der lokalisierten Version spendierte Nintendo einen umfangreichen Sudoku-Modus, den es in der japanischen Fassung noch nicht gab. Daran war übrigens offenbar der japanische Verlag Nikoli beteiligt, der die Sudoku-Rätsel marktfähig gemacht hat, denn sein Name taucht in Europa und Amerika, nicht aber in Japan im Menü des Spiels auf.

Wie dem auch sei: In Europa kam die DS-Software am 9. Juni heraus – im selben Monat wie auch der Nintendo DS Lite und „New Super Mario Bros.“ Zur Vermarktung konnte sich Nintendo die Unterstützung von Promis wie Nicole Kidman und Jörg Pilawa sichern. Die nüchtern-seriöse Aufmachung des Covers, auf dem der Kunde wie auch im eigentlichen Spiel gesiezt wird, ließ erahnen, dass hier ein Produkt für eine ältere Zielgruppe vorliegt – für diese Art von Spielen führte Nintendo sein überaus erfolgreiches Label „Touch! Generations“ ein.


Die Aufmachung der Cover ist nüchtern, wirkt erwachsen und folgt bei beiden Spielen demselben Aufbau.

Mehr Gehirn-Jogging braucht das Land!

Im Westen konnte das Spiel nicht nur an die Erfolge aus seinem Heimatland anknüpfen, es überbot sie sogar noch – dazu gleich mehr. Nintendo lehnte sich damals aber nicht zufrieden zurück, sondern begann ob des großen Erfolgs unmittelbar die Produktion einer Fortsetzung. Bloß ein halbes Jahr später, am 29. Dezember 2005, erschien diese auch schon in Japan. Das Team von Nintendo SDD entwarf eine Reihe an komplett neuen Übungen, hinzu kam ein an „Dr. Mario“ erinnerndes Minispiel namens „Bazillenjagd“, das der Entspannung des Gehirns und der Motivation der Spieler dienen sollte. Ansonsten hat sich an der Grundstruktur des Spiels, der minimalistischen Grafik mit Dr. Kawashimas Polygon-Antlitz und der Musik nicht viel geändert.

Die zeitnahe Veröffentlichung der Fortsetzung war ein genialer Schachzug, denn damals war in Japan der „Dr. Kawashima“-Hype auf dem Höhepunkt. Dementsprechend beorderten japanische Händler zur Markteinführung zwölf Mal so viele Exemplare wie noch beim ersten Spiel. Zeitverzögert mauserte sich „Dr. Kawashima“ dann auch im Westen zu einem gesellschaftlichen Phänomen. Bei uns erschien „Dr. Kawashima: Mehr Gehirn-Jogging“ am 29. Juni 2007 – etwa ein Jahr nach dem Vorgänger.

Das Phänomen in Zahlen

Während der Hochphase des Nintendo DS avancierten die beiden unscheinbaren „Dr. Kawashima“-Spiele zu zwei der erfolgreichsten Titel des Handhelds. Der Erstling verkaufte sich in Japan etwa vier Millionen, der Nachfolger sogar über fünf Millionen Mal. Die westlichen Märkte stehen dem in nichts nach: Das erste „Dr. Kawashima“ wurde in Nordamerika fast fünf Millionen und in Europa sogar über neun Millionen Mal verkauft, das zweite in Amerika um die 3,5 Millionen und in Europa über fünf Millionen Mal.

Die beiden DS-„Kawashimas“ haben sich also zusammen sagenhafte 35 Millionen Mal verkaufen können, wobei die Spiele in Europa am beliebtesten waren und der erste Teil erfolgreicher als der zweite war. Insgesamt konnten sich beide Spiele einen Platz in den Top 10 der meistverkauften DS-Spiele sichern. Zu den millionenfachen Verkäufen kamen zahlreiche durch die Spiele motivierte Hardwareverkäufe hinzu – und all das bei einem Spiel, das in der Entwicklung extrem günstig gewesen war.

„Dr. Kawashima“ war wie schon erwähnt Teil von Nintendos Label „Touch! Generations“, unter dem DS-Spiele für ein gezielt weites Publikum veröffentlicht wurden. Auch Titel wie „42 Spieleklassiker“, „Augen-Training“, „Big Brain Academy“, „English Training: Spielend Englisch lernen“ hat Nintendo unter „Touch! Generations“ herausgebracht. Die Titel dieses Labels waren ein großer Erfolg und prägten die DS-Ära entscheidend mit.


Durch die nach ihm benannten Spiele rückten Kawashima und seine Forschung in die öffentliche Aufmerksamkeit. Manch einer hielt Dr. Kawashima dabei bloß für eine virtuelle Figur und wäre überrascht zu erfahren, dass dieser in Wirklichkeit existiert. Der Forscher erzählte: „So besuchte mich zum Beispiel ein Universitätsprofessor aus Deutschland, der den ganzen langen Weg auf sich genommen hatte. Als ich ihn nach seinen Beweggründen fragte, sagte er mir, er und sein Sohn spielten Gehirn-Jogging. Offenbar hatte man in seiner Familie darüber diskutiert, ob es sich bei ‚Dr. Kawashima’ um eine reale Person handelte!“

Kawashima verzichtet auf seine Millionen

Kawashima profitierte natürlich ebenfalls, er und seine Forschung wurden einem gigantischen Publikum weltweit bekannt. Außerdem generierten die bis Januar 2008 verkauften 17 Millionen Exemplare etwa 22 Millionen US-Dollar an Tantiemen für Kawashima – und seitdem sind ja noch 18 Millionen weitere Exemplare über die Ladentheken gegangen. Dank der Spiele wäre er also zum Millionär geworden. Wir haben diesen Satz aber im Konjunktiv Irrealis geschrieben, denn der arbeitswütige Professor hat auf seine Lizenzgebühren verzichtet und sie stattdessen für den Bau neuer Laboratorien gespendet. „Kein einziger Yen ist in meine Taschen gewandert“, äußerte er einmal. „Jeder in meiner Familie ist böse auf mich, aber ich sage ihnen, wenn sie Geld haben wollen, dann sollen sie gehen und es sich verdienen.“ Er wolle sich ganz und gar seiner Forschung widmen, sie sei sein Hobby, sodass er privat mit dem Geld nichts anzufangen wisse.

Darüber hinaus beäugt Kawashima das Medium Videospiel äußerst kritisch. Seinen eigenen Kindern hat er den Konsum stark eingeschränkt, und selbst spielt er auch nicht.

Das ist (nicht?) sehr effektiv!

Wie dem auch sei, bei all diesem Erfolg stellt sich natürlich die Frage: Lässt sich wissenschaftlich-empirisch nachweisen, dass die „Dr. Kawashima“-Spiele tatsächlich die „geistige Fitness“, wie es auf dem Cover verheißen wird, trainieren können? Kawashima selbst betont natürlich, dass er in ausführlichen Tests an der Universität Tohoku besonders für ältere Leute tatsächlich eine Steigerung der Gehirnleistung habe nachweisen können. Bei vergleichbarer Software, die nicht von Nintendo stammt, habe er selbstredend keine derartigen Ergebnisse beobachten können.

Dass man durch wiederholtes Trainieren in den Übungen des Spiels immer besser abschneidet, das steht außer Frage. Doch geht damit wirklich eine Steigerung des Gehirnvermögens in alltäglichen Situationen einher oder beschränken sich die Verbesserungen einzig und allein auf das Spiel? Diese Frage überschreitet natürlich die „Dr. Kawashima“-Spiele und gilt für sämtliche Gehirntraining-Angebote. Es lässt sich generell sagen, dass deren Wirksamkeit in der Forschung sehr umstritten ist – manche Studien legen tatsächlich eine leistungssteigernde Wirkung nahe, während andere das Gegenteil auszusagen scheinen. Für eine gute Kostprobe bezüglich des Forschungsstandes lese man in der englischen Wikipedia nach.


Verrückt: Zu „Dr. Kawashima“ gibt es sogar Cosplayer!

Dr. Kawashima geht fremd

Dass der tatsächliche Nutzen der „Dr. Kawashima“-Spiele in der Wissenschaft sehr umstritten ist, das tat ihrem Erfolg aber keinen Abbruch. Letztlich muss man ja auch attestieren, dass die Spiele bei alledem auch Spaß machen. Davon zeugt nicht zuletzt die Metacritic-Durchschnittswertung der DS-Spiele, die für beide bei exakt 77 Punkten liegt.

Der große Erfolg rief natürlich Nachahmer auf den Plan: Dritthersteller brachten diverse Gehirnjogging-Spiele für die unterschiedlichsten Plattformen heraus. Und selbst Dr. Kawashima ist nicht Nintendo-exklusiv – es gibt Mobil- und PC-Titel wie „Brain Exercise with Dr. Kawashima” oder „Train your Brain with Dr. Kawashima” und seit 2011 ist der Professor auch auf der Xbox 360 heimisch.

Natürlich hat Nintendo auch nachgelegt und Spin-offs für DSi sowie einen dritten Teil für den 3DS, der jetzt auch endlich in Europa erscheint, hervorgebracht. Damit werden wir uns ausführlich in zwei Wochen in der nächsten Ausgabe von „Inside Nintendo“ beschäftigen!

Quellen: Satoru Iwatas GDC-Vortrag „Disrupting Development“ vom 23. März 2006 (relevanter Teil etwa von 10:00 bis 30:00); Miwa Suzuki: 'Brain training' Dr Kawashima has no time for games, The Sydney Morning Herald, 31. Januar 2008; Osamu Inoue: Nintendo Magic, New York 2010, S. 16–19, 80; Iwata fragt: Dr. Kawashimas diabolisches Gehirn-Jogging (2013).

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Bisher gibt es fünf Kommentare

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  • Avatar von Tobias
    Tobias 24.07.2017, 15:24
    Zitat Zitat von smario66 Beitrag anzeigen
    Dann wurde ja mit jedem verkauften Exemplar nur etwas mehr als 1 Dollar Umsatz gemacht. Wie kann das sein?
    Danke, du hast natürlich recht. Da geht's gar nicht um Gewinn oder Umsatz, sondern um Kawashimas Tantiemen. Habe den Artikel dahingehend überarbeitet.

    In den letzten Wochen habe ich die Dr. Kawashima-Spiele immer mal wieder eingelegt. Damals, vor zehn Jahren, hatte ich sie recht intensiv gespielt. Noch heute haben sie mir echt Spaß gemacht, und ich bin begeistert, wie gut Handschrift- und auch Spracherkennung funktionieren (da hatte ich noch nie irgendwelche Probleme mit!). Zugleich hab ich gemerkt, dass ich an meine Leistungen von vor zehn Jahren nicht annähernd anknüpfen konnte, aber damals war ich auch halb so alt wie heute Ob die Software langfristig wirklich was bringt, mag ich nicht zu beurteilen, aber mir macht's so oder so Spaß!
  • Avatar von Starkirby
    Starkirby 24.07.2017, 00:01
    Zitat Zitat von smario66 Beitrag anzeigen
    Ich weiß noch, dass das Spiel gerne mal eine richtige Zahl erkannt hat, wenn man sehr undeutlich geschrieben hat. Ich muss zugeben, dass ich das häufiger mal genutzt hatte und wenn ich nicht mehr hinterherkam einfach gekritzelt habe. Oft wurde dann einfach automatisch die Lösung erkannt xD
    Bekenne mich ebenfalls schuldig. Aber ich sehe das eher als Ausgleich für die richtigen Zahlen, die nicht erkannt wurden =P
  • Avatar von smario66
    smario66 23.07.2017, 21:34
    Allein die bis Januar 2008 verkauften 17 Millionen Exemplare hatten etwa 22 Millionen US-Dollar Umsatz generiert
    Dann wurde ja mit jedem verkauften Exemplar nur etwas mehr als 1 Dollar Umsatz gemacht. Wie kann das sein?
    Zitat Zitat von Starkirby Beitrag anzeigen
    Was man - finde ich - auch noch erwähnen sollte: So ausgeklügelt war das Schrift-Erkennungs-Sytem gar nicht. Bei fast jedem in meiner Familie wurden Zahlen und Buchstaben mehr als oft nicht oder falsch erkannt.
    Ich weiß noch, dass das Spiel gerne mal eine richtige Zahl erkannt hat, wenn man sehr undeutlich geschrieben hat. Ich muss zugeben, dass ich das häufiger mal genutzt hatte und wenn ich nicht mehr hinterherkam einfach gekritzelt habe. Oft wurde dann einfach automatisch die Lösung erkannt xD
  • Avatar von Starkirby
    Starkirby 23.07.2017, 14:01
    Was man - finde ich - auch noch erwähnen sollte: So ausgeklügelt war das Schrift-Erkennungs-Sytem gar nicht. Bei fast jedem in meiner Familie wurden Zahlen und Buchstaben mehr als oft nicht oder falsch erkannt. Und das, obwohl sie eine recht schöne Handschrift hatten. Das kann dann schon frustrierend sein, da das Gesamtergebnis verfälscht wird.

    Finde es übrigens lustig, dass Dr. Kawashima selbst Videospielen so ablehnend gegnüber steht. Jetzt finde ich diesen Polygon-Kopf gar nicht mehr so sympathisch.
  • Avatar von virus34
    virus34 23.07.2017, 09:36
    Super Bericht, vielen Dank dafür.
    Ich selbst hab den Erstling auch sehr gerne "gespielt" und viele Stunden damit verbracht. War schon eine super Idee.