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Super Mario Galaxy 2

Inside Nintendo 68: Wie ein ausgelaugtes Team noch Mehr Super Mario Galaxy entwickelte

Yoshiaki Koizumi und sein etwa 60-köpfiges Team bei Nintendo EAD Tokyo waren ausgelaugt. Sie hatten über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren all ihre Ideen in ihr neuestes Spiel einfließen lassen. So viele Ideen, dass „Super Mario Galaxy“ aufgrund seines enormen Abwechslungsreichtums und seiner grenzenlosen Kreativität mit Bestnoten überhäuft wurde.

Bis dahin war es ein harter, steiniger Weg gewesen. Kein Wunder also, dass Koizumi und seine Mannen erst einmal eine Verschnaufpause brauchten. Immerhin bedurfte es einiger Jahre bis Nintendo aus dem seit 2000 im Raum stehenden Sphären-Konzept die Grundlagen für ein neues „Super Mario“-Spiel erdacht und programmiert hatte – mit der ganzen Geschichte hinter dem Spiel befassten wir uns in einem früheren „Inside Nintendo“-Bericht.

So viel Arbeit bis die Grundlagen endlich feststanden – und dann nur ein Spiel darauf aufbauend entwickeln und das Ganze anschließend wieder ad acta legen? Shigeru Miyamoto hielt das für eine kreative Verschwendung. Eine ähnliche Situation hatte der Nintendo-Chefproduzenten bereits eine Dekade zuvor erlebt: Jahrelang hatte Nintendo an den Grundlagen zu „Zelda: Ocarina of Time“ gearbeitet, und um all die harte Grundlagenarbeit effizienter zu nutzen, ließ Miyamoto anschließend ein zweites Spiel auf Basis der gleichen Technik entwickeln. So entstand „Zelda: Majora's Mask“ (wir berichteten).

Mehr Super Mario Galaxy

Miyamoto verlangte von EAD Tokyo also direkt im Anschluss an „Super Mario Galaxy“ einen Nachfolger, der das Programmiergerüst, die Grafiken und die Musik des Spiels wiederverwenden sollte. Zunächst sah der Plan vor, sogar die Spielwelten zu übernehmen und diese bloß mit neuen Herausforderungen zu versehen – ein bisschen so, wie „The Lost Levels“ anno dazumal quasi ein Erweiterungspack zu „Super Mario Bros.“ war. Weil das kein wirklich eigenständiges Spiel gewesen wäre, erhielt die Fortsetzung zu Marios All-Krawall den Projektnamen „Super Mario Galaxy 1,5“. Ein anderer interner Name, bezeugt durch den Spielcode, lautete „Super Mario Galaxy More“.

Von verworfenen Ideen und erkannten Schwächen

Die Reaktion des EAD Tokyo-Teams fiel verhalten aus. Man hatte immerhin alle Ideen in das erste Spiel eingebaut, wie sollte man da genug Einfälle für ein weiteres Spiel finden? Koizumi versammelte EAD Tokyo zunächst zu einer Sitzung, bei der das kreative Team auf sein jüngstes Werk zurückblicken sollte. Dabei zeigte sich, dass eben doch nicht alle Ideen aufgebraucht waren. Manche Einfälle hatte das Team nicht in „Super Mario Galaxy“ umsetzen können. Beispielsweise stand schon 2005 fest, dass Yoshi in „Super Mario Galaxy“ spielbar sein sollte; aufgrund der Fülle an neuen Ideen wurde der grüne Dinosaurier jedoch verworfen.

„Super Mario Galaxy 1,5“ war DIE Gelegenheit, um nicht realisierte Vorhaben aus dem Vorgängerprojekt endlich umzusetzen. Yoshi ist dabei nur ein Beispiel von Vielen. Auch die Idee, ein Raumschiff in der Form von Marios Kopf zu gestalten, stand bereits für den Vorgänger im Raum. Daraus wurde in „Super Mario Galaxy 1,5“ das als Oberwelt fungierende Raumschiff Mario. Und auch sonst gab es, wie das Entwicklerteam kritisch zugeben musste, durchaus verbesserungswürdige Aspekte an „Super Mario Galaxy“. Der Spielablauf sollte diesmal beispielsweise schneller ablaufen, weshalb sich das Team früh für eine simple Weltkarte entschied. Außerdem sollte es für noch mehr Abwechslung mehr zweidimensionale Levelabschnitte geben.

Die vier Verantwortlichen hinter „Super Mario Galaxy 2“; v.l.n.r.: Design-Director Kenta Motokura, leitender Programmierer Takeshi Hayakawa, Projektleiter Koichi Hayashida und Produzent Yoshiaki Koizumi (Bildquelle)

Ein altes Team mit jungen Leitern

So begannen kurz nach der Fertigstellung von „Super Mario Galaxy“ Ende 2007 die Arbeiten am Nachfolger. Zu diesem Zwecke strukturierte Nintendo auch das Entwicklerteam etwas um. Wir elaborieren das Ganze kurz.

Nach „Super Mario Galaxy“ trennte sich EAD Tokyo in zwei Unterabteilungen auf. Die neue Abteilung EAD Tokyo 2 setzte sich hauptsächlich aus dem „Galaxy“-Team zusammen. Produzent von EAD Tokyo 2 wurde der „Galaxy“-Director Yoshiaki Koizumi, ein wahrer Nintendo-Veteran. Damit zog sich Koizumi von der kreativen Front zurück, um Platz für jüngere Entwickler zu machen. Koizumis Platz nahm Koichi Hayashida ein, der leitende Leveldesigner von „Galaxy“. Kenta Motokura wurde leitender Designer und Takeshi Hayakawa leitender Programmierer des Projektes „Super Mario Galaxy 2“.

Das Kernteam hinter „Super Mario Galaxy 2“ war damit dasselbe wie jenes hinter „Super Mario Sunshine“. Bloß die Strukturen hatten sich geändert, sodass nun den jüngeren Mitarbeitern die Projektleitung oblag. Da die Engine und große Teile Grafik-Elemente bereits vorhanden waren, war das Team diesmal etwas kleiner als das von „Super Mario Galaxy“. Wie bei allen EAD-Spielen wirkte Shigeru Miyamoto als Chefproduzent aus der Distanz überwachend mit.

Die Philosophie des Umschaltens

Yoshi als Spielfigur war die erste große neue Idee für „Super Mario Galaxy 2“, doch das allein reichte nicht für ein ganzes Spiel. Hayashida erklärte: „Wir brauchten so etwas wie eine ganz neue Achse, um die sich das Spiel drehen konnte. Zuerst verfolgten wir dabei das Konzept „Mehr“, doch später konzentrierten wir uns dann auf das Konzept des „Umschaltens“.“ Unter „Umschalten“ verstand Hayashida, die Spielwelten plötzlich auf drastische Weise verändern zu lassen. Etwa wie in „Majora's Mask“, wo das Drei-Tage-System die Spielwelt komplett umänderte.

Doch das abstrakt klingende Konzept des „Umschaltens“ erwies sich als wenig geeignet für die „Super Mario Galaxy“-Fortsetzung. Besondere Bedenken kamen von Koizumi, der immerhin Director von „Majora's Mask“ gewesen war und das Drei-Tage-System erfunden hatte. Er wusste aus Erfahrung, dass man für ein solches neues Grundkonzept einerseits viele bereits bestehende Ideen verwerfen und andererseits vieles komplett neu entwickeln musste. Darum legte Koizumi gegen Hayashidas Leitidee des „Umschaltens“ ein Veto ein und schlug stattdessen vor, sich hauptsächlich auf neue Ideen innerhalb der bestehenden Gameplay-Konzepte zu konzentrieren. Überbleibsel aus dieser Projektphase, in der es ums „Umschalten“ ging, sind etwa der Zeitlupen-Schalter oder die „Tick-Tack-Blöcke“.

Konzeptskizzen zu Wolken-Mario in Nintendos Unternehmensbroschüre 2011

Des Klempners neue Kleider

Yoshi war quasi ein Katalysator für neue Ideen, denn sobald seine Aufnahme in das neue Projekt feststand, sprudelte das Team nur so vor frisch aufgeladener Kreativität. Entgegen der ursprünglichen Prämisse gestalteten die fleißigen Designer völlig neue Level. Auch neue Power-ups erdachte das Entwicklerteam. Aus Miyamotos bereits für den ersten Teil vorgesehenen Idee, Löcher durch Planeten zu bohren, um diese zu durchqueren, entstand nach ein, zwei Monaten des Experimentieren der Wirbelbohrer. Ein anderes Konzept, nämlich Plattformen durch Wirbelbewegungen entstehen zu lassen, resultierte in der Wolken-Mario-Verwandlung. Ein weiteres neues Power-up war Fels-Mario. Auf diese Verwandlung hatte Koizumi besonderes Augenmerk gelegt, immerhin war er derjenige, der Goronen-Link für „Majora's Mask“ entwickelt hatte.

So viele neue Ideen waren mittlerweile in das Spiel eingegangen, dass es statt einer Erweiterung „Super Mario Galaxy 1,5“ zu einer richtigen Fortsetzung „Super Mario Galaxy 2“ avancierte und entsprechend umbenannt wurde.

Übrigens plante das Team offenbar ursprünglich, aus „Super Mario Galaxy“ zwei weitere Verwandlungen zu übernehmen, nämlich Eis-Mario und den Roten Stern, mit dessen Hilfe Mario kurz fliegen konnte. Zumindest finden sich Überreste dieser Items mit überarbeiteten Melodien innerhalb der Daten von „Super Mario Galaxy 2“. Aus unbekannten Gründen fanden die beiden Items jedoch keinen Eingang in das fertige Spiel.

Neue Ideen braucht das Land

Für „Super Mario Galaxy 2“ schuf Hayashida eine Arbeitsatmosphäre, in der jedes Teammitglied neue Level-Ideen vorschlagen konnte – selbst Programmierer, Grafiker oder Tontechniker, die üblicherweise nichts mit der Planung von Leveln am Hut haben. Hayashida veranstaltete dazu regelmäßige Brainstorming-Sitzungen, in denen das gesamte Team seine Einfälle einbringen durfte. „Bei den Brainstorming-Meetings ging es ziemlich lebhaft zu. Obwohl niemand dazu gezwungen wurde, an den Meetings teilzunehmen. Manchmal hatten wir so viele Ideen gesammelt, doch dann war die Zeit um, und wir mussten uns richtig losreißen“, sagte Hayashida dazu, und Koizumi pflichtete bei: „Alle fuhren irgendwie darauf ab.“

Hayashida stellte sogar ein Tool parat, mit dem jedes Teammitglied seine eigenen Ideen prototypisch umsetzen konnte, ohne sich dabei an einen Programmierer wenden zu müssen. So kam in den Brainstorming-Sitzungen eine ungeheure Anzahl an Konzepten und Ideen zusammen, von denen Hayashida die besten aussuchte, um sie von seinem Planer-Team überarbeiten und in das Spiel einbringen zu lassen. Dieser Prozess lief fast zweieinhalb Jahre lang, denn so lange war „Super Mario Galaxy 2“ ungefähr in der Mache. Weil die Grundlagen bereits existierten, konnte das Team fast seine ganze Aufmerksamkeit und quasi die komplette Entwicklungszeit der Findung neuer Ideen widmen.

Diese offene Arbeitsatmosphäre, in der jeder seine Ideen einbringen kann, war offenkundig sehr konstruktiv. Hayashida schuf sie infolge dessen auch während der Arbeiten an „Super Mario 3D Land“ und „Super Mario 3D World“, deren Director er ebenfalls war. (Zu den Entwicklungsgeschichten beider Spiele haben wir bereits „Inside Nintendo“-Reportagen veröffentlicht: 3D Land, 3D World)

Dieses von Nintendo veröffentlichte Video zeigt, wie das „Mario Galaxy Orchestra“ das Hauptthema des Spiels einspielt.

Mehr Super Mario Galaxy heißt mehr Orchestermusik

In der Frühphase des Projektes, als das Spiel nicht mehr als eine bloße Erweiterung von „Super Mario Galaxy“ werden sollte, war keine neue Musik geplant gewesen. Doch als sich der Projektfokus zum Neuen hin verschob, mussten auch neue Musikstücke her. Die beiden Komponisten des Vorgängers kehrten in gleicher Position zurück – Serienveteran Koji Kondo als Supervisor und Komponist der Musikstücke für Raumschiff Mario, die Bowser jr.-Level und der Sternen-Yoshi-Galaxie, sowie Sounddirector Mahito Yokota, der den Großteil des Soundtracks verfasste. Hinzu stieß der Neuling Ryo Nagamatsu, der unter anderem ausgerechnet das Thema für den finalen Kampf komponierte.

Wie schon beim Vorgänger sind auch für „Super Mario Galaxy 2“ einige Stücke von einem 60-köpfigen Orchester eingespielt worden. Bei einer dieser Orchester-Aufnahmen war direkt das ganze Entwicklerteam quasi als Betriebsausflug live dabei gewesen.

Für die Musik der Sternen-Yoshi-Galaxie arbeitete Nintendo mit einer 10-köpfigen Big Band zusammen und führte damit in die eigenen Produkte den jazzigen Live-Musikstil ein, der aktuell in Titeln wie „Super Mario 3D World“ oder „Mario Kart 8“ dominiert. Insgesamt waren an der Musik von „Super Mario Galaxy 2“ 20 Musiker mehr beteiligt gewesen als beim Vorgänger.

Anekdote zum Schluss: Handlung oder nicht Handlung, das ist die Frage

Yoshiaki Koizumi ist bei Nintendo wohl so etwas wie ein kleiner Rebell, denn in seiner ganzen Karriere hat er tiefgründige Hintergrundgeschichten in seine Spiele einzubauen versucht. Er verfasste etwa die Handlung von „Link's Awakening“ und war auch für die Storys von „Sunshine“ und „Galaxy“ verantwortlich gewesen. Auch in „Galaxy 2“ wollte er eine etwas ausführlichere Hintergrundgeschichte einbauen, wogegen sich Miyamoto diesmal deutlich aussprach. Als Miyamotos Anweisung nicht so ganz umgesetzt wurde, sprach dieser kurzerhand außerhalb des Unternehmens ausführlich mit dem ihm untergeordneten Produzenten.

„Wir waren wie ein altes Ehepaar, das nach langer Zeit des Schweigens nach dem Auszug der Kinder wieder miteinander über Herzensdinge gesprochen hat“, beschrieb Miyamoto dieses lange Gespräch an einem Samstagnachmittag. Die beiden „Super Mario“-Produzenten tauschten ausführlich ihre Meinungen aus über „die Wichtigkeit einer Handlung, die Funktion von Handlungssträngen und darüber, was für eine Art von Spiel Mario ist“. Als Resultat dieses Gesprächs bietet „Super Mario Galaxy 2“ wieder nur eine rudimentäre Handlung, die nicht über das übliche „Bowser kidnappt Peach“ hinausgeht.

Noch mehr Konzeptzeichnungen zu „Super Mario Galaxy 2“ aus der Nintendo-Broschüre 2011

Das Unmögliche möglich machen

Auf der E3 2009 parallel zu „New Super Mario Bros. Wii“ angekündigt, erschien „Super Mario Galaxy 2“ im Mai 2010 für die Wii. In Europa kam das Spiel am 11. Juni in den Handel. Die Kritiken fielen wieder einmal famos aus. Bei Metacritic befindet sich der Titel direkt hinter seinem Vorgänger auf Platz 3 der bestbewerteten Videospiele aller Zeiten. Das Entwicklerteam konnte also ein Spiel erschaffen, das an die schier grenzenlose Kreativität seines Vorgänger gekonnt anzuknüpfen weiß – und das, obgleich es sich zu Beginn der Arbeiten völlig ausgelaugt wähnte. Nintendo-Magie!

Die Hauptquelle für diesen Bericht war das dreiteilige „Iwata fragt“-Interview zu „Super Mario Galaxy 2“.


In unserer jeden zweiten Sonntag erscheinenden Rubrik „Inside Nintendo“ berichten wir über die Geschichten hinter Spielen, Serien, Konsolen, Studios und Personen rund um Nintendo. Eine Übersicht aller bislang veröffentlichten Ausgaben ist unter diesem Link zu finden.

Weiterführende Links: Forum-Thread

Bisher gibt es vier Kommentare

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  • Avatar von Chrischii
    Chrischii 20.06.2015, 11:31
    Zitat Zitat von Florian98 Beitrag anzeigen
    Miyamoto, sei verflucht! Ich habe die paar Fetzen Story aus dem ersten Teil geliebt, die Atmosphäre war dadurch wundervoll, das Spiel einfach epischer und mitreißender. In dieser Hinsicht konnte der zweite Teil nicht überzeugen.
    Außer Yoshi!
  • Avatar von Florian98
    Florian98 19.06.2015, 20:21
    Miyamoto, sei verflucht! Ich habe die paar Fetzen Story aus dem ersten Teil geliebt, die Atmosphäre war dadurch wundervoll, das Spiel einfach epischer und mitreißender. In dieser Hinsicht konnte der zweite Teil nicht überzeugen.
  • Avatar von Minato
    Minato 14.06.2015, 15:06
    Gut, dass ich beide Spiele nachgeholt hatte, den 2. erst neulich. Wirklich tolle und sehr kreative, vor allem einfach spaßige Spiele.
    Wie immer toll geschrieben und zum 100. Mal danke für die Mühen
  • Avatar von Monado Boy
    Monado Boy 14.06.2015, 11:40
    Nintendo Magie !

    Wie gewohnt, schöner Bericht.

    Ich muss echt nochmal ordentlich die beiden Galaxy Spiele spielen.
    Denn damals in meinen jungen Jahren habe ich sie zwar gespielt, aber nie abgeschloßen. :/