Inside Nintendo 11: Die Geschichte der EAD (2)

Nintendo Entertainment Analysis & Development, oder kurz EAD, ist die bedeutendste Nintendo-Abteilung. Mit Franchises wie „Super Mario“, „The Legend of Zelda“, „Wii Sports“ und dutzenden weiteren hat das Studio einige der meistverkauften, bestbewerteten, innovativsten und beliebtesten Spiele aller Zeiten erschaffen. Kurz, die EAD hat die Videospielindustrie geprägt wie kein anderes Studio. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die 30-jährige Geschichte der EAD eng mit der des Nintendo-Konzerns und der gesamten Industrie zusammenhängt. In diesem zweiten Teil unserer Reportage zur Geschichte der EAD befassen wir uns mit der SNES- und N64-Ära.

Bild Frühe Designentwürfe für das SNES

Nintendo is what Genesisn't

Die Zeit des NES war für Nintendo ein gewaltiger Erfolg. Nintendo dominierte zu dieser Zeit den Videospielmarkt zu 90%, was nicht zuletzt an den Spielen von R&D4 lag, aber auch an der äußerst strengen Third-Party-Politik durch den damaligen Präsidenten Hiroshi Yamauchi. Nun, Ende der 1980er Jahre, war die Zeit reif für eine neue Konsole – obgleich die Versorgung mit neuen NES-Spielen erst gegen 1995 abzureißen begann. Zu dieser Zeit bekam Nintendo Konkurrenz durch SEGA. Um die Dominanz der Videospielindustrie aufrecht zu erhalten, waren die Erwartungen an die neue Konsole hoch. Da wundert es nicht, dass R&D4 unter der Leitung von Shigeru Miyamoto fleißig an den Launchtiteln arbeitete.

Doch nicht nur das. Der Beginn der SNES-Ära bedeutete auch für das Studio eine Umbenennung. Der absolut sterile Name „Nintendo Research & Development 4“ (also Nintendo Forschung und Entwicklung 4) wurde 1989 in „Nintendo Entertainment Analysis & Development“ geändert. Auch dies scheint auf dem ersten Blick kein sehr kreativer Name – dennoch kann niemand sagen, EAD habe nicht gehalten, was der Name verspreche. Auf Deutsch bedeutet dies nämlich „Nintendo Unterhaltungsanalyse und -Entwicklung“.

Zurück zum SNES. In Japan wurde das System am 21. November 1990 eingeführt und hatte nur zwei Launchspiele – „Super Mario World“ und den ersten Ableger der futuristischen Rennspielserie „F-Zero“. Beide Spiele stammen, wie sollte es anders sein, von der EAD. Bereits kurz darauf folgte mit „Pilotwings“ ein weitere neue IP. 1991 brachte Nintendo eine SNES-Portierung von „SimCity“ heraus, die ebenfalls von der EAD entwickelt wurde. Auch in der nächsten Zeit brach die Versorgung an SNES-Futter aus dem Hause EAD nicht ab: Ursprünglich ein NES-Titel, erschien „Zelda: A Link to the Past“ nach dreijähriger Entwicklungszeit 1991; ein Jahr später folgte „Super Mario Kart“, ein Genre- und Reihenbegründer, und 1993 die Remake-Sammlung „Super Mario All-Stars“.

Handheld-Entwicklung und große Technik

Früher war R&D1 unter der Leitung des legendären Gunpei Yokoi die wichtigste Nintendo-Abteilung. Als der Arcade-Markt zu schrumpfen begann, beschäftigte sich das hochbegabte Team mit der Produktion von Game & Watch. Dadurch wurde Yokois Team von der EAD als bedeutendste Abteilung abgelöst. R&D1 zeichnete in der NES-Ära für Hits wie „Metroid“ und „Kid Icarus“ verantwortlich. Nachdem 1989 der Game Boy erschienen war, befasste sich das Team mit der Handheld-Entwicklung. So etablierte sich EAD als leitendes Nintendo-Studio für Konsolen-Spiele, R&D1 hingegen für Handhelds. Dies änderte sich 1992, als die EAD mit „Wave Race“ ihr erstes Game-Boy-Spiel veröffentlichte. In den nächsten Jahren entwickelte Nintendos Elite-Team einige weitere Handheld-Hits, allen voran „Zelda: Link's Awakening“.

Zu Beginn der SNES-Ära entstand die EAD Technology. Die EAD-Unterabteilung bewerkstelligt noch heute neben dem Unternehmen SRD die Programmierung der EAD-Spiele. EAD Technology entstand aus Mitarbeitern von Nintendos R&D2-Abteilung, die ursprünglich SRD unterstützten.

EAD Technology arbeitete mit dem britischen Entwicklerstudio Argonaut Games 1992 an einem Zusatz-Grafikchip für das SNES. Das Ergebnis, der Super FX, steigerte die grafische Leistung des SNES um das Vielfache und ermöglichte frühe Polygon-Grafik. Argonaut programmierte eine eindrucksvolle Demo der Super-FX-Technik in Shooter-Manier. Diese Demo sagte Miyamoto so zu, dass die EAD in Gemeinschaft mit Argonaut sie in ein Retail-Spiel umentwickelte. „Star Fox“ war geboren. 1994 beziehungsweise 1995 kam die Super-FX-Technik noch in den EAD-Spielen „Stunt Race FX“ und „Super Mario World 2“ zum Einsatz.

Der Argonaut-Programmierer und „Star Fox“-Entwickler Dylan Cuthbert beschrieb erst vor wenigen Tagen in einem Interview die damalige Arbeitsatmosphäre der EAD – und erwähnte, dass diese Anfang der 1990er Jahre gerade einmal 40 Angestellte hatte:

Back then Nintendo was just a small company. When I was in EAD doing Star Fox, there were only at the most 40 people, and some of those were just office staff. Miyamoto’s desk was just like a normal desk amongst the others; it was a little bit larger, but not like a super-desk or an office or anything, so you could just go up to him at any point and talk to him.

EAD Technology verdankte der Zusammenarbeit mit Argonaut viel Erfahrung mit der Programmierung von 3D-Grafiken. Die Polygon-Grafik in „Star Fox“ war für ihre Zeit zwar revolutionär, aber zu dieser Zeit begann Nintendo bereits die Arbeiten an einer völlig neuen, viel stärkeren Polygon-Konsole.

Bild Die durch den Super-FX-Chip ermöglichten Polygon-Grafiken in „Star Fox“ waren ihrerzeit revolutionär!

Going 3D: Das N64

1993 begannen die Arbeiten an einer Videospielkonsole, die speziell für 3D-Grafiken entworfen wurde und so realistische Darstellungen ermöglichen sollte, dass sie ursprünglich „Project Reality“ getauft wurde. Die Konsole kam 1996 als Nintendo 64 auf den Markt. Zwei Launchspiele stammen wieder von der EAD: „Pilotwings 64“ und „Super Mario 64“. Letzteres revolutionierte den Markt und stellte den Durchbruch für 3D-Videospiele dar.

Als die Entwicklung dieser beiden Launchtitel auf Hochtouren lief, begann die EAD weitere N64-Projekte. So brachte Nintendo von 1996 bis 1998 neue 3D-Ableger seiner beliebtesten Marken – „Wave Race“, „Mario Kart“, „Star Fox“, „Yoshi“ und „F-Zero“ – heraus, die größtenteils auf ein unspektakuläres „64“ im Namen hörten.

1998 erschienen zwei N64-Spiele, die für die EAD wahre Mammutprojekte und für Nintendo eine große Einnahmequelle waren. Die Rede ist von „The Legend of Zelda: Ocarina of Time“ und „Pokémon Stadium“. Letzteres wurde von mehreren Nintendo-Studios produziert. 3D-Modelle für alle 150 Pokémon anzufertigen, war eine Aufgabe, die viele Ressourcen verschlang. Die EAD hat hier aber nur unterstützt. „Ocarina of Time“ hingegen wurde allein von der EAD entwickelt, und das will etwas heißen, immerhin war es die größte Videospielproduktion der damaligen Zeit. „Ocarina of Time“ wurde von 1995 bis Ende 1998 entwickelt, mit vierzig bis fünfzig direkt Beteiligten verschlang es einen Großteil der damaligen EAD-Belegschaft. Doch es hat sich gelohnt. „Ocarina of Time“ wurde mit 7,6 Millionen verkauften Einheiten ein großer kommerzieller Erfolg, beeinflusste die Videospielindustrie nachhaltig und ist in den Augen vieler noch heute das beste Videospiel aller Zeiten.

Innovationen braucht das Land

Die N64-Ära hatte Nintendo so starke Probleme bereitet, wie sie der Konzern nur noch von seinen steinigen Anfängen in der Branche kannte. Nachdem man mit dem NES und dem SNES quasi ein Monopol besaß, schmolz das Eis mit dem N64. Die Konsole nämlich verwendete Cartridges, die viel weniger Speicherplatz als CD-ROMs boten. Viele Third-Party-Entwickler wandten sich daher der Konkurrenz zu, der Sony PlayStation, die Anfang der 1990er Jahre als Gemeinschaftsprojekt zwischen Sony und Nintendo (!) geboren wurde. Der Versuch, das N64 durch eine Diskettenperipherie zu retten, scheiterte kläglich. Als die EAD-Megaprojekte „Ocarina of Time“ und „Pokémon Stadium“ fertig waren, dachten die Nintendo-Manager darüber nach und kamen zu dem Schluss, dass die traditionelle Spieleentwicklung auf kurz oder lang aufgrund immer steigender Budgets die Fahrt in einen Abgrund bedeuten würde.

Die Lösung: Innovative, unkonventionelle Spielideen sollten neue Zielgruppen erschließen. Diese Philosophie, die manchen ehemals heißblütigen Nintendo-Fans heute guten Anlass zur Kritik bietet, stammt in der Tat aus der späten N64-Ära. Ihre Auswirkungen zeigten sich trotzdem erst später.

Für die EAD hieß dies konkret: Neues erfinden, experimentieren, Innovationen bieten. Einige EAD-Spiele aus dieser Ära erblickten tragischerweise nie das Licht der Welt, wozu das Scheitern des N64 Disc Drive wohl auch beitrug: „Pilotwings 64 II“, „1080 Snowboarding II“ und „Mario 64 II“ befanden sich in der Produktion, sind aber nicht herausgekommen. Das „Zelda“-Team teilte sich auf: Die eine Hälfte arbeitete an „Zelda: Gaiden“, aus dem „Majora's Mask“ wurde, während die andere Gruppe eine Erweiterung namens „Ura Zelda“ entwickelte, die jedoch nie herauskam.

Offenbar waren dies nicht die gewünschten innovativen Projekte. Diese komplett neuen Reihen sollten von den EAD-Managern Miyamoto und Tezuka höchstpersönlich kommen, während frische Director Fortsetzungen älterer Spielereihen produzieren sollten. Dieser Schritt sollte frische Luft in die EAD-Produktionen bringen. Unter Miyamotos Leitung entstand in Kooperation mit externen Unternehmen die fünfteilige „Mario Artist“-Reihe. Es handelt sich dabei um Programme für Kreative, die ausschließlich in Japan auf dem N64 Disc Drive erschienen. Vielen von euch sagt dies sicherlich herzlich wenig; die Reihe war nur mäßig erfolgreich. Tezuka entwarf eine Lebenssimulation namens „Animal Forest“ für das N64, die 2002 im Westen für den GameCube erschien und auf „Animal Crossing“ hört. Dieses Projekt war ein gewaltiger Erfolg und gründete ein noch heute bestehendes Franchise.

Bild Miyamoto und Tezuka (rechts) auf einer Konferenz zu „Ocarina of Time“ am 27. Mai 1998

Eine ungewisse Zukunft

Tezukas „Animal Crossing“ war das eine Produkt der neuen EAD-Philosophie zu Ende der N64-Ära. Doch Miyamotos „Mario Artist“-Reihe zahlte sich auch aus. Im Rahmen dieses Franchises arbeitete die EAD an einem Prototypen, der auf ein Konzept basiert, das in die NES-Ära zurückreicht. Nach jahrelanger Entwicklung hinter verschlossenen Türen wurde es auf der E³ 2003 als „Stage Debut“ für den GameCube angekündigt, doch erschien niemals. Nach weiteren Jahren der Entwicklung wurde hieraus das Mii-Konzept, das wesentlich zum Erfolg der Wii beitrug. Dies ist typisch Nintendo: Eine Idee, die man in den 1980er Jahren nicht hatte realisieren können, wurde fünfzehn Jahre später wiederbelebt, Jahre darauf enthüllt, wieder in die Versenkung geschickt und wie aus dem Nichts zu einem gigantischen Erfolg veröffentlicht. Ganz recht, die Geschichte der Miis lässt sich im Geheimen 25 Jahre zurückverfolgen.

Doch um in unserer Chronologie zu bleiben: 2000 erschien mit „The Legend of Zelda: Majora's Mask“ das letzte bedeutende N64-Spiel der EAD. Die N64-Ära war vorbei und stellte für Nintendo den notgedrungenen Beginn einer Revolution dar. Längst arbeitete der Konzern an seiner neuen Konsole, dem GameCube. Und mit der Geschichte der EAD während des Zeitalters von GameCube, Game Boy Advance, Wii und DS werden wir uns im nächsten „Inside Nintendo“ auseinandersetzen!

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Bisher gibt es fünf Kommentare

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  • Avatar von Garo
    Garo 08.04.2013, 14:19
    Wuhu! Großartiger Artikel! Ich bin begeistert. Danke für den Einblick!

    @ArtesActes: D?butsu no Mori (Animal Forest) erschien nicht für das N64DD, sondern auf Cartridge. Nicht mal ein Jahr später erschien dann die Gamecube-Version D?butsu no Mori+ in Japoan, die Gebrauch von der Uhr im Gamecube machte (die N64-Version nutzte eine Uhr im Cartridge, wodurch die Zeit nur beim Spielen verging). Als diese dann übersetzt und lokalisiert wurde, wurden auch einige neue Feiertage und Items ins Spiel übernommen. Daraus resultierte Animal Crossing. Da Nintendo die Version so toll fand, wurde es zurück ins japanische übersetzt und erschien dort mit noch mehr Extras (Stadt-Verschönerungs-Items, neuen Fischen, Insel auch ohne GBA) als D?butsu no Mori e+.
  • Avatar von Tobias
    Tobias 07.04.2013, 12:51
    @ArtesActes: In den Nintendo-Archiven gibt's sicher noch hunderte unveröffentlichte Prototypen, die sehr interessant sein könnten. Aber normalerweise kommt Nintendo auf jene Konzepte, aus denen sich wirklich was machen lässt, irgendwann zurück. So auch im Fall 3D-Grafik
  • Avatar von Rayray
    Rayray 07.04.2013, 01:51
    Ich bin sprachlos... im positiven sinne. Genau meine zeit
  • Avatar von Sepo
    Sepo 06.04.2013, 17:49
    Die frühen Designentwürfe für das SNES sehen wirklich interessant aus, v. a. der untere.

    Der Bericht war auf jeden Fall sehr interessant. Ich freue mich schon auf den dritten Teil.
  • Avatar von ArtesActes
    ArtesActes 06.04.2013, 17:42
    Wieder einmal sehr informativ! Ich hätte echt nicht gedacht, dass AnimalCrossing vorher in Japan schon für's N64 DD erschienen ist (Zugegeben: Ich war nie ein großer Fan der Reihe). Ich denke, Nintendo sollte - genauso wie mit den Mario-Artist Ideen und den Mii's - das Konzept zu "Ura Zelda" irgendwie erweitern und veröffentlichen Ich wäre echt gespannt, was daraus werden könnte!