Es dürfte einer der größten Skandale der Videospielgeschichte sein. Das Spiel, das wir als „Super Mario Bros. 2” kennen, ist nicht das zweite „Super Mario”-Spiel. Tatsächlich ist ein ganz anderes Spiel der Nachfolger des bedeutendsten Videospiels aller Zeiten. Das eigentliche „Super Mario Bros. 2” wurde bei uns aber ursprünglich nicht veröffentlicht, sondern dem japanischen Markt vorbehalten. Stattdessen erhielten wir, nun ja, „Super Mario Bros. 2”. Das hingegen erschien nicht in Japan und ist tief in seinem Innern gar kein „Super Mario”-Spiel.
Verwirrt? Dann erzählen wir die ganze Geschichte um den Nachfolger von „Super Mario Bros.” nun etwas ausführlicher. Dabei haben wir auch für jene noch neue Informationen parat, die sich mit dem Mythos „Super Mario Bros. 2” bereits auszukennen glauben.
Der Messias der Videospielindustrie
Ausgerechnet am Freitag, den 13. September 1985 brachte Nintendo in Japan „Super Mario Bros.” auf den Markt. Das neueste Spiel, das unter der Leitung des aufgehenden Entwicklersterns Shigeru Miyamoto entstand, war anders als der vorherigen Atari-Muff. Erstmals konnte man eine riesige, lebendige Spielwelt voller Geheimnisse und Überraschungen erforschen, die nicht mehr auf einen starren Bildschirmausschnitt passte.
Irgendwann schaffte es „Super Mario Bros.” in den Westen und schlug auch hier wie eine Bombe ein. Um es kurz zu machen: Das Spiel ermöglichte es Nintendo, mithilfe des NES die damals in Nordamerika als Folge des Video Game Crash brachliegende Videospielindustrie aus ihrer Asche auferstehen zu lassen. Eine historisch unglaublich wertvolle Leistung – und mit 40 Millionen Verkäufen ein unglaublicher finanzieller Erfolg für den japanischen Konzern.
Das Geldmacher-Game
Keine Frage für Nintendo: Ein Nachfolger musste so schnell wie möglich her. Allerdings konzentrierte sich Miyamoto nach „Super Mario Bros.” auf die Fertigstellung von „The Legend of Zelda”. 1985 hatten er und sein Team beide Spiele parallel entwickelt. „Zelda” erschien im Februar 1986 und zwar zur Markteinführung des Famicom Disk System, einer Zusatzperipherie für das Famicom. Sie erweitert den Konsolen-Klassiker um Disketten-Kompatibilität.
Zu Beginn wurde zwar wieder Miyamoto als Projektleiter des geplanten „Super Mario Bros.”-Sequels eingesetzt. Er sah sich aber stark unter Druck gesetzt. So übernahm schließlich Takashi Tezuka die Projektleitung. Tezuka war bis dato quasi Miyamotos rechte Hand gewesen und hatte mit ihm „Mario” und „Zelda” erschaffen. Nun führte er das „Super Mario Bros.”-Team an und entwickelte rasch ein Nachfolgeprodukt. Miyamoto hingegen war laut einer eigenen Schätzung zu bloß zehn Prozent in dem Projekt involviert.
So gingen Add-ons in der Steinzeit
„Super Mario Bros. 2” kam in Japan für das Famicom Disk System am 3. Juni 1986 heraus – nur neun Monate nach der Veröffentlichung seines Vorgängers. Das Gameplay ist im Grunde das gleiche. Nur ein paar Details wurden ergänzt, ebenso wie das Team Grafik und Ton ein wenig überarbeitete. Vor allem aber gestalteten Tezuka und Miyamoto die Level komplett neu. Nicht nur bietet das Spiel dadurch nun einen diabolisch hohen Schwierigkeitsgrad, es stehen auch mehr Level als im Vorgänger zur Verfügung.
„Super Mario Bros. 2” richtet sich somit an jene Spieler, die absolute Experten des Vorgängers sind und nach neuen Herausforderungen suchen. Übrigens: Wenn man es ganz genau nimmt, war möglicherweise selbst dieses „Super Mario Bros. 2” nicht der wahre Nachfolger des Kult-Klassikers von 1985. Denn ebenfalls 1986 brachte Hudson das obskure „Super Mario Bros. Special” für japanische Heimcomputer auf den Markt. Eventuell ist es vor dem Tezuka-Nachfolger erschienen. Genau lässt sich dies jedoch nicht mehr ermitteln. Aber das ist das Thema eines anderen Berichtes.
Die Frage nach dem Warum
In Nordamerika und Europa brachte Nintendo „Super Mario Bros. 2” damals nicht heraus. Als Begründung liest man im Videospieljournalismus ständig: Nintendo of America (NoA) stufte den Titel als zu schwierig für den westlichen Markt ein und veröffentlicht ihn daher dort nicht. Allerdings existieren keinerlei Quellen, die diese Behauptung stützen könnten. Generell erscheint sie wenig logisch angesichts des hohen Schwierigkeitsgrades, den NES-Spiele im Allgemeinen aufweisen. Versuchen wir nun, den wahren Grund zu ermitteln!
Chris Kohler schlägt in „Power-Up” vor, dass Nintendo 1986 in Nordamerika noch kein Nachfolgerspiel benötigt habe. Immerhin habe „Super Mario Bros.” dort erst zu dieser Zeit an Popularität gewonnen. Es hätte keinen Sinn ergeben, so früh ein Sequel zu veröffentlichen. Als dann später die Zeit dafür reif war, war die Technik bereits fortgeschritten. Deswegen sei das japanische „Super Mario Bros. 2” zu veraltet gewesen, um es als neues Spiel in den Westen zu bringen.
Die frühere NoA-Legende Howard Phillips, die übrigens später Produzent bei Microsoft wurde, drückte in einem späteren Interview seine damalige Skepsis bezüglich „Super Mario Bros. 2” aus. Es beunruhigte ihn, dass das Spiel für Miyamoto untypische Elemente enthält. Der Giftpilz etwa führe den Spieler in die Irre, während der Wind es ihm erschwere, Sprünge korrekt zu kontrollieren. All diese Elemente hätten das Spiel unangenehm gemacht. Als offizieller NoA-Spieletester war er derjenige, der die Entscheidung traf, „Super Mario Bros. 2“ nicht im Westen zu veröffentlichen.
Das Famicom (oben) mit angeschlossenem Disk System
Die (vermutlich) wahren Gründe
Die Wahrheit wird aber wohl irgendwo zwischen den drei genannten Ansichten liegen. „Super Mario Bros. 2” hätte mit seinem hohen und teilweise unfairen Schwierigkeitsgrad viele potenzielle Käufer abgeschreckt und so dem Image der noch jungen Serie geschadet. 1986 hatte Nintendo im Westen einen Nachfolger noch nicht derart dringend nötig, als dass man ein wenig geeignetes Produkt einführt.
Außerdem war das Spiel ja nur eine Art Levelpack, so wie es sich heute etwa mit „New Super Luigi U” verhält. Die Tatsache, dass im Westen nie ein Äquivalent zum Famicom Disk System auf den Markt gekommen ist, wird ihr Übriges bei der Entscheidung getan haben, „Super Mario Bros. 2” nicht zu lokalisieren.
In diesem Zusammenhang kommt noch eine mutmaßliche Begründung ins Spiel, die bislang kaum beachtet wurde. Der Mario-Historiker William Audureau weist darauf hin, dass „Super Mario Bros. 2“ in Japan wegen seines Disk-Formates zum Spottpreis von nur 500 Yen – weniger als fünf Euro – verkauft werden konnte. Dadurch konnte sich Nintendo so ein Spiel erlauben, denn auch wenn Kunden das Spiel nicht gefiel, hätten sie angesichts des günstigen Preises keinen Grund zur Unzufriedenheit gehabt. Im Westen hingegen hätte das Spiel als Modul zum Vollpreis erscheinen müssen. Da ist die Hemmschwelle für ein minderwertiges Produkt natürlich viel höher.
Hurry up – it's Super Sequel time!
Springen wir zwei Jahre in die Zukunft. Wir schreiben nun das Jahr 1988 und Nintendo hat inzwischen mit dem NES den amerikanischen Heimvideospielmarkt wiederbelebt – und erobert. Die Zeit ist reif für ein neues „Super Mario”-Spiel. Das nunmehr hoffnungslos veraltete japanische „Super Mario Bros. 2” kommt dafür nicht in Frage, das konnte Nintendo dem Markt nicht mehr antun. „Super Mario Bros. 3”, an dem das „Mario”-Team seit über zwei Jahren gewerkelt hatte, wurde zwar in diesem Oktober in Japan herausgebracht. In den Westen schaffte es dieser vielversprechende Titel aber erst 1990 – warum auch immer.
Daher entschied sich Nintendo für die einzige offene Möglichkeit. Man knöpfte sich das bis dato Japan-exklusive Jump'n'Run „Yume Kojo: Doki Doki Panic” vor und veröffentlichte es, leicht überarbeitet, als „Super Mario”-Spiel. Im Oktober 1988 erblickte es in Nordamerika, im April 1989 in Europa das Licht der Welt – getauft auf den Namen „Super Mario Bros. 2”. Dies zeigt an, dass jenes Spiel im Westen die Rolle des offiziellen „Mario”-Sequels einnehmen sollte.
Das westliche „Super Mario Bros. 2” unterscheidet sich stark vom gewohnten Spielprinzip des Vorgängers. Kein Wunder, immerhin war es ja ursprünglich kein „Super Mario”-Spiel. Mit dieser Begründung wird das westliche „Super Mario Bros. 2” gerne zum schwarzen Schaf der Serie degradiert. Doch damit tut man dem Spiel Unrecht. Wenn wir einen Blick auf seine Entwicklung werfen, werden wir den Grund dafür verstehen.
Die lange Reise zur Traumfabrik
Am Anfang war ein grober Prototyp. Das war bei vielen Nintendo-Entwicklungen der Fall. Das war so bei „Super Mario Bros.”, das war so bei „Super Mario Galaxy”, das war so bei „Splatoon”. Auch bei „Yume Kojo: Doki Doki Panic ” war das so. Der Titel des Spiels lässt sich übrigens grob übertragen mit „Traumfabrik: Herzklopf-Panik“. Wie dem auch sei, im Falle dieses Spiels entwickelte den Prototyp das externe Unternehmen Systems Research & Development (SRD), das für die Programmierung der „Mario”- und „Zelda”-Titel zuständig ist (wir berichteten).
Die SRD-Programmierer erarbeiteten ein Konzept, in dem zwei Spieler gegeneinander antreten. Das Ziel war es, Items zu stapeln und so hohe Türme zu erbauen, um diese zu erklimmen. Der Prototyp drehte sich um ein vertikal scrollendes Spiel – im Gegensatz zum horizontal orientierten „Super Mario Bros.”
Der kurz zuvor bei Nintendo angestellte Kensuke Tanabe knöpfte sich gemeinsam mit Miyamoto diesen Prototyp vor. Die beiden befanden allerdings, dass die Idee nicht für ein vollwertiges Spiel ausreiche. Außerdem setzte die NES-Technik der Idee starke Limitierungen.
In meinem Herzen bin ich ein „Mario”-Spiel!
Schließlich wurde die Idee des Prototypen verwertet, wenn auch stark abgewandelt. Man goss es in eine Form, die sich grob am „Super Mario”-Fundament orientierte. Als Baumeister setzte Nintendo Kensuke Tanabe ein, der somit im zarten Alter von 24 Jahren sein Debüt als Videospieldirector gab. 16 Personen umfasste das Entwicklerteam – darunter auch alle fünf Mitwirkende von „Super Mario Bros.” Miyamoto selbst wirkte als Produzent mit. Er schätzte später seine Beteiligung an dem Projekt auf 30 bis 40 Prozent. Zur Erinnerung: Am japanischen „Super Mario Bros. 2” wirkte er nur zu zehn Prozent mit.
Somit ist es kein Wunder, dass „Doki Doki Panic” den Eindruck eines „Super Mario”-Spiels hinterlässt. Tatsächlich meinte das Team bereits während der Entwicklung, dass dem Spiel das „Mario”-Gewand wie angegossen passe. Allerdings sollte das Spiel eine Auftragsarbeit anlässlich einer Veranstaltung des japanischen Fernsehsenders Fuji Television werden. Wenige Monate zuvor hatte Fuji Television bereits eine skurrile, Japan-exklusive Version von „Super Mario Bros.“ veröffentlicht, die auf der Radiosendung „All Night Nippon“ basierte. Wegen der Kooperation mit Fuji Television ist „Yume Kojo: Doki Doki Panic” in einem ganz anderen Universum angesiedelt und hinterlässt besonders durch seine Protagonisten einen arabischen Flair. Es erschien am 10. Juli 1987 für das Famicom Disk System.
Der Titelbildschirm von „Super Mario Bros. 2“ aus der Prototyp-Phase. Wer kann den zentralen Unterschied zur finalen Version benennen? ;-)
Wie aus Arabern Italiener wurden
„Doki Doki Panic“ war der „Super Mario“-Reihe also gar nicht so fern, wie es immer wieder behauptet wird. Damit war es für Nintendo alles andere als abwegig, eine auf die Zielgruppe abgestimmte Fassung des Spiels im Westen zu veröffentlichen. Immerhin handelte es sich ja um kein schlechtes Spiel. Im Gegenteil: Das Spielkonzept war neuartig und spaßig.
Nintendo verwandelte die Protagonisten des Spiels in vier Charaktere aus dem Pilzkönigreich – Mario, Luigi, Peach und Toad. Man passte die Handlung an, änderte das Spielkonzept ein wenig und überarbeitete die Grafik und den Ton. Jahre später tauchte der Prototyp eines fast vollständig konvertierten „Super Mario Bros. 2“ auf, der einen genaueren Einblick in diese Umwandlung ermöglicht. Die vielen Detailunterschiede zwischen dem Prototyp und dem finalen Spiel haben unsere Kollegen von tcrf.net erarbeitet.
Gleiches Recht für alle
So kam das westliche „Super Mario Bros. 2“ zustande. Es pflegte sich sehr gut in die „Super Mario“-Reihe ein und ergänzte deren Universum durch Gegner wie die Shy Guys. Abgesehen davon verkaufte es sich auch noch sehr gut. Das westliche „Super Mario Bros. 2“ war ein solcher Erfolg für Nintendo, dass der Konzern diese Fassung auch nochmal ins Land der aufgehenden Sonne brachte. Dort trägt es den Titel „Super Mario USA“ und kam am 14. September 1992 heraus – fast genau sieben Jahre nach „Super Mario Bros.“
Quasi im Gegenzug erhielten wir Europäer und Nordamerikaner schließlich auch das japanische „Super Mario Bros. 2“. Und zwar 1993 als Teil der SNES-Remake-Sammlung „Super Mario All-Stars“. Hier betitelte Nintendo das Spiel zur eindeutigen Unterscheidung treffenderweise als „Super Mario Bros.: The Lost Levels“. Unter diesem Titel ist das Spiel bei uns bis heute bekannt. Inzwischen durften wir auch in den Genuss der originalen 8-Bit-Fassung kommen, die im Rahmen von Nintendos Virtual Console-Angeboten erhältlich ist.
Das war sie nun, die Geschichte hinter dem Nachfolger von „Super Mario Bros.“ Nach all der Verwirrung haben dann doch alle drei großen Videospielmärkte beide „Super Mario Bros. 2“ erhalten. Trotzdem ist dies eine einmalige Anekdote der Videospielgeschichte. Und dies zeigt einmal mehr, wie groß die Grenze zwischen der westlichen und der östlichen Videospielindustrie anno dazumal war.
Welches der beiden „Super Mario Bros. 2“ haltet ihr für das bessere Spiel? Und welches seht ihr als wahren Nachfolger an?
„Super Mario Bros. 2“ und „Doki Doki Panic“ im Direktvergleich
Bisher gibt es elf Kommentare
Super Mario Bros USA (2) ist sehr anders und da musste man sich an dieser Spielweise irgendwie gewöhnen, fands lustig, aber irgendwie nicht so packend.
Jedenfalls wieder ein toller Report. Auch wenn ich das Thema nun doch für relativ bekannt halte und es eigentlich nicht mehr viel zu sagen gibt, habe ich doch noch das ein oder andere Detail erfahren. Klasse!
und sehr schöner artikel,wie immer^^
Bei Pokémon gibts bestimmt viel: Wie kam es zum Erfolg der Reihe, wie Pokémon dem GB ein neues Leben geschenkt hat, ...