Inside Nintendo 220: Metroid und mehr – Yoshio Sakamoto im Entwicklerportrait (Teil 2)

„Super Metroid“ war der vorläufige Höhepunkt einer sehr bewegten und vielfältigen Entwicklerbiographie. Sind die meisten vorherigen Werke, an denen Yoshio Sakamoto federführend beteiligt war, heute entweder eine Fußnote in der Nintendo-Geschichte oder fast komplett in Vergessenheit geraten, so ist „Super Metroid“ ein wegweisender und zeitloser Klassiker. Auch wenn in den folgenden Jahrzehnten keines seiner Projekte an den glanzvollen Ruhm dieses 16-Bit-Meilensteins heranreichte, so war Sakamotos Karriere natürlich 1994 noch keineswegs vorbei. Um die folgenden 30 Jahre behandeln zu können, erhöhen wir nun ein wenig das Tempo.

Sakamoto im Ankündigungsvideo zu „Emio – Der lächelnde Mann: Famicom Detective Club“.

Die unbekannten Projekte nach Super Metroid

Das nächste große Projekt innerhalb von R&D1 war der unselige Virtual Boy. Sakamoto fungierte als Projektleiter für einen der Launchtitel, das Boxspiel „Teleroboxer“, das Mitte 1995 in Japan und Nordamerika auf den Markt kam. Danach hat Sakamoto an zwei weiteren „Famicom Detective Club“-Titeln mitgewirkt. Zunächst kam 1997 exklusiv für den Satellaview-Service in Japan ein dritter Teil heraus, der wegen seiner obskuren Plattform und Distributionsform auf legalem Wege heute praktisch unzugänglich ist. Im Jahr darauf folgte dann eine 16-Bit-Neuauflage des zweiten Teils, die exklusiv für das japanische Super Famicom herauskam.

Ebenso unbekannt wie die beiden 16-Bit-Ableger von „Famicom Detective Club“ sind Sakamotos nächste Projekte als Director. Es handelt sich um zwei Titel, die beide anno 2000 exklusiv in Japan für den Game Boy Color erschienen: Das kartenbasierte Rollenspiel „Trade & Battle: Card Hero“ sowie „Tottoko Hamtaro: Tomodachi Daisakusen Dechu“, eine Adaption der japanischen Mangareihe „Hamtaro“. „Tottoko Hamtaro“ ist eine Art Mischung aus Haustier- und Wahrsage-Simulation. So obskur das klingt, hat der Titel doch mehrere Nachfolger erhalten. Außerdem basiert die „Tomodachi Life“-Reihe, die Sakamoto in späteren Jahren mitverantwortete, auf dem Fundament dieses kuriosen Spiels.

Unter dem Radar

Nur die allerhartgesottensten Nintendo-Fans kennen sämtliche Sakamoto-Spiele der 1990er-Jahre. Bei fast allen handelt es sich um Nischentitel, und abgesehen von „Super Metroid“ ist kein einziges davon in allen drei großen Regionen der Spieleindustrie erschienen. Und auch was „Metroid“ betrifft, gilt es zu bedenken, dass die Reihe zwar im Westen auf große Beliebtheit traf, in Japan aber nur wenig erfolgreich war. Somit wird man letztlich sagen können, dass Sakamoto bis dahin keinen einzigen großen internationalen Erfolg vorzuweisen hatte.

Vielleicht erklärt dies, warum Sakamoto im Gegensatz zu vielen anderen Nintendo-Mitarbeitern, die seit den frühen 1980er-Jahren für das Unternehmen tätig sind, in dieser Zeit nicht in übergeordnete Positionen aufgestiegen ist, sondern weiterhin als Director selber die Arbeiten leitete. Außerdem wird in der Obskurität der meisten seiner Spiele abseits von „Super Metroid“ der Grund dafür zu suchen sein, dass er im Vergleich zu Kollegen wie Shigeru Miyamoto oder Gunpei Yokoi erst sehr spät der breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde.

Yoshio Sakamoto, hier auf einem Foto im japanischen Lösungsbuch zu „Super Metroid“, ist eines der bekanntesten Mitglieder von Nintendo R&D1. Die Abteilung hat sich schon in Nintendos Spielzeugära darauf konzentriert, ungewöhnliche und besondere Dinge zu entwickeln. „Dieses Thema setzt sich bis heute fort“, äußerte Sakamoto 2003 in einem Interview. „Ich denke, was wir bei R&D1 versuchen, ist, etwas wirklich Anderes zu machen.“

Der „Metroid“-Repräsentant

Im Laufe der 2000er-Jahre wurde Sakamoto aber auch nach den finanzorientierten Maßstäben eines börsennotierten Unternehmens ein immer erfolgreicherer Spieldesigner. Los ging es mit dem Game Boy Advance: Beim Jump’n’Run „Wario Land 4“ (2001) fungierte Sakamoto als Supervisor, anschließend übernahm er die Projektleitung von „Metroid Fusion“ (2002). Dieser von der Kritik bis zum heutigen Tage gefeierte Titel orientierte sich im Gameplay eng am Vorbild „Super Metroid“. Die Handlung, für die Sakamoto persönlich zuständig war, nahm diesmal einen größeren Schwerpunkt ein.

Parallel entstand zu dieser Zeit bei den Retro Studios in Texas unter dem Titel „Metroid Prime“ eine 3D-Neuinterpretation der Reihe für den GameCube, die in Nordamerika tatsächlich am gleichen Tag wie „Metroid Fusion“ erschien. An „Metroid Prime“ und den beiden Nachfolgern war Sakamoto nicht direkt beteiligt. Seine Mitwirkung beschränkte sich auf das Absegnen der Ideen aus dem Hause Retro Studios und hat ihm im Abspann je nur eine Erwähnung unter „Special Thanks“ eingebracht. „Jedes Mal, wenn Retro an den ‚Metroid‘-Spielen arbeitet, muss ich natürlich die Arbeit beaufsichtigen“, sagte Sakamoto einmal. „Ich bin die Person, die die Berichte erhält, um herauszufinden, was gerade im Gange ist und wie der Titel vorankommt.“ Für die eigentliche Betreuung der „Metroid Prime“-Unterreihe ist als Produzent aber der seit 1987 bei Nintendo tätige Kensuke Tanabe zuständig.

Für die „Metroid“-Reihe sollte sich ab den frühen 2000er-Jahren somit eine Zweigleisigkeit durchsetzen: Hier die 2D-Titel unter der kreativen Leitung von Sakamoto, dort die 3D-Teile von externen Studios unter der Betreuung von Tanabe. Ganz in dieser Linie brachte Sakamoto 2004, im Erscheinungsjahr von „Metroid Prime 2“, mit „Metroid: Zero Mission“ eine gefeierte Neuauflage des Serienerstlings auf den Game Boy Advance.

Klein aber oho: Sakamoto als Produzent von SPD 1

„Metroid: Zero Mission“ war das letzte Spiel, bei dem Sakamoto als Director fungierte; danach stieg er nach über 20 Jahren bei Nintendo zum Produzenten auf. Dies hing mit einer großen internen Umstrukturierung der Nintendo-Entwicklungsabteilungen zusammen, die der frisch ernannte Unternehmenspräsident Satoru Iwata verantwortete (siehe auch „Inside Nintendo 79“). Im Zuge dieser Maßnahmen wurden viele verdiente Nintendo-Entwickler zu Produzenten befördert, außerdem wurde die R&D1-Abteilung, Sakamotos bisherige Heimat, aufgelöst und ging in der neuen Abteilung Software Planning & Development (SPD) auf. Die Hauptaufgabe von Nintendo SPD bestand fortan in der Zusammenarbeit mit externen Entwicklern. Eine Ausnahme stellte die erste SPD-Unterabteilung dar: Sie entwickelte eigene, kleinere Spiele, und als ihr zuständiger Produzent wurde Sakamoto eingesetzt.

Es waren vor allem drei Spielereihen, die Sakamoto und SPD 1 im Laufe der Jahre entwickelten, allesamt von überschaubarem Produktionsaufwand, aber umso mehr durch unkonventionelle Ideen glänzend: Die abgedrehte Mikrospiel-Reihe „WarioWare“, die Rhythmusspiel-Reihe „Rhythm Paradise“ sowie die alberne Lebenssimulation „Tomodachi Life“. Die beiden letzten Reihen waren ursprünglich Japan-exklusiv und konnten sich erst später auch im Westen durchsetzen. Hinzu kamen weitere Projekte wie „Face Training“ (DS, 2007) oder „Kousoku Card Battle: Card Hero“ (DS, 2007).

Screenshots aus dem GBA-Titel „WarioWare, Inc.: Mega Microgame$!“ von 2003. Sakamoto stand Fortsetzungen schon immer reserviert gegenüber – vielleicht hat auch darum die „Metroid“-Reihe im Vergleich zu anderen Vorzeigemarken des Konzerns so wenige Ableger. „Jetzt, da wir ein Spiel mit dem Namen ‚WarioWare‘ auf den Markt gebracht haben, können wir nicht denselben Weg einschlagen“, so Sakamoto 2003. „Wenn wir zum Beispiel ein ‚WarioWare II‘ machen wollen, muss es sich von ‚WarioWare I‘ deutlich unterscheiden, damit wir den Erwartungen der Leute an uns gerecht werden.“ Ironie des Schicksals: Bis 2009 erschienen nicht weniger als sieben weitere „WarioWare“-Titel.

Das aufgegebene Retro-Revival

Wenn Sakamoto im Laufe seiner langen Karriere an so vielen verschiedenen und oftmals skurrilen Spielen beteiligt war, gab es doch sicherlich auch Projekte, die abgebrochen oder verworfen wurden, oder? Tatsächlich ist uns nur ein Fall bekannt. Wie Sakamoto 2016 in einem Interview preisgab, hatte er Mitte der 2000er-Jahre teils in seiner Freizeit an einem Gerät gearbeitet, das wie ein Famicom aussah, in dem aber die Technik eines Game Boy Advance schlummerte und mit dem sich Famicom-Spiele via GBA-Modul auf dem Fernseher sollten spielen lassen. Daraus hätte eine Art Fortführung der NES-Classics-Reihe werden können, allerdings ist dieses Projekt nie verwirklicht worden. „[D]amals war es wohl einfach nicht realistisch“, meinte Sakamoto.

Das „Other M“-Debakel

An die riesigen Erfolge von Marken wie „Super Mario“ oder „The Legend of Zelda“ konnte SPD 1 nie anknüpfen. Das Team erarbeitete sich dafür als Brutstätte für verrückte, unkonventionelle Eigenkreationen seinen ganz eigenen Ruf. Bei allen SPD-1-Projekten wirkte Sakamoto als Produzent mit. Erst gegen Ende der 2000er-Jahre war er wieder direkter in die kreative Arbeit involviert, und zwar bei dem mit Abstand umstrittensten Spiel seiner gesamten Karriere. Die Rede ist natürlich von „Metroid: Other M“. Im Vorfeld hat diese Gemeinschaftsproduktion von Nintendo und Team Ninja viel Aufmerksamkeit erhalten. Nintendo hat kräftig die Werbetrommel gerührt, und im Zuge dessen wurde Sakamoto erstmals einer breiteren Gruppe an Fans bekannt.

Sakamoto war nicht nur Produzent und einer der drei Projektleiter von „Other M“, er zeichnete auch komplett für die Handlung verantwortlich. In einem „Iwata fragt“-Interview sprach der Designer damals offen über seine Arbeit, darunter auch über die großen Unsicherheiten, die für ihn mit dem Schreiben verbunden waren: „Das ganze Material war so weit fertig, aber dann bekam ich Zweifel, ob z. B. bestimmte Teile auch ordnungsgemäß und logisch zusammenhingen oder ob manche Dinge nicht ein wenig seltsam waren, und dann hatte ich das Gefühl, rundum komplett versagt zu haben …“

Nach Veröffentlichung des Spiels haben nicht wenige „Metroid“-Fans Sakamoto genau dies vorgeworfen: Dass er mit „Other M“ „rundum komplett versagt“ habe. Neben eigenwilligen Gameplay-Entscheidungen ist es insbesondere die Handlung und hier zuvorderst die Darstellung von Protagonistin Samus, die Fans auf die Barrikaden brachte. Es ist keine Übertreibung, zu sagen, dass Sakamoto in Videospielforen fortan zu einer regelrechten Hassgestalt wurde. Seine Leistungen in den knapp drei Dekaden vor „Other M“ schienen auf einmal nichts mehr zu zählen.

Sakamoto 2010 in einem Videointerview mit GameSpot zu „Metroid: Other M“. Das Spiel machte Sakamoto einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, allerdings leider nicht gerade zum Guten.

Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen

Nüchtern betrachtet muss man sagen, dass die Kritiken von „Other M“ eigentlich nicht schlecht ausgefallen sind. Die unleugbare Umstrittenheit des Spiels schlug sich aber in schlechten Verkaufszahlen nieder, und als erfolgloser Titel innerhalb einer Reihe, die ohnehin nie in die Ränge von Nintendos meistverkauften Serien aufsteigen konnte, ließ „Other M“ das gesamte „Metroid“-Franchise in eine relativ düstere Phase stürzen.

Doch Sakamoto war im Laufe seiner Karriere ja für so viel mehr als nur „Metroid“ zuständig gewesen, und so widmete er sich nach dem „Other M“-Debakel unbeirrt zahlreichen weiteren Projekten. Seine SPD-1-Abteilung brachte 2011 das gelungene „Beat the Beat: Rhythm Paradise“ für Wii heraus, während das Musik-Partyspiel „Kiki Trick“ (Wii, 2012) nie die Grenzen Japans verließ. „Game & Wario“, das erste Wii-U-Spiel mit Sakamotos Beteiligung und Spin-off der „WarioWare“-Reihe, konnte nur bedingt überzeugen. Dafür sorgte die 2013 in Japan erschienene verrückte Mii-Lebenssimulation „Tomodachi Life“ ein Jahr später auch im Westen auf dem 3DS für Furore und gute Verkaufszahlen. Später spielte Sakamoto eine wichtige Rolle bei der Entstehung von „Miitomo“ (2016), Nintendos erster Smartphone-App. An dem skurrilen 3DS-RPG „Miitopia“, das 2016 de facto in die Fußstapfen von „Tomodachi Life“ trat, war er hingegen nicht beteiligt.

Ruhigere Jahre

Inzwischen hatte sich auch Sakamotos Position innerhalb von Nintendo geändert. Seit 2004 war er Manager und Produzent von Nintendo SPD 1 gewesen, später auch ranghoher Manager der gesamten SPD-Abteilung. 2015 kam es zu einer abermaligen Umstrukturierung der internen Entwicklungsabteilungen: Miyamotos EAD- und die von Sakamoto und weiteren geleitete SPD-Abteilung fusionierten zur neuen Abteilung Nintendo Entertainment Planning & Development (EPD; siehe auch „Inside Nintendo 184–185: Wer ist wer? Ein Blick in Nintendos interne Spieleabteilungen“). Sakamoto erhielt zusammen mit anderen verdienten Veteranen die Position eines Senior Officers. Sein früheres Team SPD 1 ging nun in EPD 7 auf; als Produzent rückte Katsuya Yamano nach, der schon seit den 1990er-Jahren an Projekten von Sakamoto beteiligt gewesen war.

Sakamoto arbeitete zwar auch als Produzent bei EPD 7, im Vergleich zu früheren Jahren war er aber für weniger Projekte zuständig. An den letzten drei „WarioWare“-Titeln etwa – „Gold“ (3DS, 2018), „Get It Together!“ (Switch, 2021) und „Move It!“ (Switch, 2023) – war er nicht beteiligt; die beliebte Reihe fällt nun in die Zuständigkeit von EPD 6 und dessen Produzent Kensuke Tanabe. Auch das bei Fans absolut unbeliebte „Metroid Prime: Federation Force“ (3DS, 2016) ging nicht auf Sakamotos, sondern auf Tanabes Kappe.

Produzent Sakamoto und Creative Director José Luis Márquez Arroyo stellen „Metroid: Samus Returns“ während des Nintendo-Treehouse-Livestreams zur E3 2017 vor. Das Originalspiel von 1991 war der einzige „Metroid“-Hauptteil, an dessen Entstehung Sakamoto nicht beteiligt war. Das Ende von „Metroid II“ hatte ihn aber maßgeblich für die Handlung von „Super Metroid“ inspiriert, und nicht zuletzt deswegen wollte er ein Remake des Game-Boy-Titels produzieren.

Die dreifache Rückkehr von Samus

Während das unliebsame „Federation Force“ entstand, in dessen Abspann Sakamoto lediglich als Berater erwähnt wird, arbeitete der Designer längst an einem anderen Projekt, das „Metroid“-Fans endlich zufriedenstellen sollte: Ein von Grund auf neu entwickeltes Remake von „Metroid II: Return of Samus“. Die Neuinterpretation des Game-Boy-Klassikers entstand in Zusammenarbeit mit dem spanischen Studio MercurySteam und erschien unter dem Titel „Metroid: Samus Returns“ 2017 für den 3DS (mehr zur Entwicklung in „Inside Nintendo 146“). Für Sakamoto wie für MercurySteam war es ein lange gehegter Herzenswunsch, noch einmal bzw. zum ersten Mal an einem 2D-„Metroid“ zu arbeiten.

„Metroid: Samus Returns“ kam bei den Fans gut an. Auch Sakamoto war zufrieden, denn mit MercurySteam hatte er einen idealen Partner gefunden, um neue „Metroid“-Projekte zu realisieren – die Ressourcen, die ihm innerhalb von EPD 7 zur Verfügung standen, reichten dafür allein nicht aus.

Auf der E3 2017 war neben „Samus Returns“ auch „Metroid Prime 4“ angekündigt worden, das nach einem Projektneustart inklusive Studiowechsel nun 2025 endlich erscheinen soll. Wie bei den vorherigen „Metroid Prime“-Teilen wird Sakamoto hier aber höchstens als Supervisor mitgewirkt haben. Doch nach „Samus Returns“ war er ja noch an einem anderen „Metroid“-Projekt intensiv beteiligt – ein regelrechtes Traumprojekt sowohl für Sakamoto selber wie für die Fangemeinde.

Vom Mythos zur Realität

Die Rede ist natürlich von „Metroid Dread“. Das Spiel war über einen so langen Zeitraum hinweg in Arbeit, dass es bald ins Reich der Legenden verfrachtet wurde und niemand mehr ernsthaft daran glaubte, es jemals zu Gesicht zu bekommen. Erstmals 2005 angedeutet und seitdem alle paar Jahre von Sakamoto in Interviews erwähnt, konnte es erst dank der Arbeit der Jungs und Mädels von MercurySteam Wirklichkeit werden. 2021 kam „Metroid Dread“ für die Switch auf den Markt – als erstes völlig neues 2D-„Metroid“ seit „Metroid Fusion“.

Die 16-jährige Geschichte hinter „Metroid Dread“ haben wir ausführlich in „Inside Nintendo 191“ aufgearbeitet. Ursprünglich hatte Sakamoto das Konzept für den DS geplant; etwa 2008 entstand intern bei Nintendo ein Prototyp, der aus unbekannten Gründen aber nie fertiggestellt wurde. Als Sakamoto sich dann Jahre später erstmals mit MercurySteam traf, hatte er den Hintergedanken, mit den „Metroid“-begeisterten Spanierinnen und Spaniern irgendwann einmal die Pläne für „Dread“ zu verwirklichen. So kam es dann auch. Formal wirkte Sakamoto an „Metroid Dread“ als Produzent mit, er war aber auch intensiv an der kreativen Seite beteiligt.

So direkt wie 1982 an „Donkey Kong Jr.“ hat Sakamoto (hier 2016 in einem Nintendo-Interview über seinen Klassiker „Balloon Fight“) nie wieder mit Shigeru Miyamoto zusammengearbeitet, gehörten beide doch unterschiedlichen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen an (Sakamoto R&D1, Miyamoto R&D4/EAD). „Ich denke, meine Mission ist es, immer etwas ganz anderes zu entwickeln als das, was Herr Miyamoto wahrscheinlich tun wird“, gab Sakamoto in einem Interview von 2003 zu Protokoll.

Eine weitere Rückkehr

Während Sakamoto in den letzten Jahren deutlich mehr an „Metroid“ gearbeitet hat, haben „Tomodachi Life“ und „Rhythm Paradise“ keine neuen Ableger mehr erhalten. Dafür konnte sich Sakamoto auf seine alten Jahre bei Nintendo neben „Metroid Dread“ noch einen weiteren langgehegten Traum verwirklichen: Die Rückkehr von „Famicom Detective Club“, seinen Japan-exklusiven Visual Novels aus den späten 1980er-Jahren.

2021 machte ein aufwändig entwickeltes Remake der ersten beiden Teile für Nintendo Switch die Reihe erstmals offiziell einem westlichen Publikum zugänglich. Der Anstoß zu diesem Projekt war nicht von Sakamoto ausgegangen, sondern vom japanischen Entwicklerstudio und Musiklabel MAGES, bekannt unter anderem durch die Visual-Novel-Reihe „Steins;Gate“. MAGES hatte Nintendo immer wieder Interesse an einer entsprechenden Neuauflage signalisiert. Der ursprüngliche Plan sah vor, dass Sakamoto nur als Supervisor beteiligt sein sollte; letztlich aber konnte er viel direkter am Projekt mitwirken. Im September 2019 angekündigt, sollte das Remake ursprünglich 2020 erscheinen, kam nach einer Verschiebung aber schließlich erst im Mai 2021 auf den Markt.

Fortsetzung nach 35 Jahren

Wir erinnern uns: Die Arbeit am Remake „Metroid: Samus Returns“ mit MercurySteam war der Ausgangspunkt für die Entwicklung eines brandneuen „Metroid“-Teils gewesen. Ähnlich sollte nun die Arbeit am Remake von „Famicom Detective Club“ mit MAGES dazu führen, dass auch diese Reihe einen völlig neuen Ableger erhielt. Für Sakamoto war klar, dass MAGES und seine Nintendo-Kollegin Kaori Miyachi, die eine zentrale Rolle bei der Entstehung des Remakes bekleidet hatte, das ideale Team abgeben würden, sollte es jemals einen neuen Teil geben.

Konkret geplant war ein neues „Famicom Detective Club“-Spiel eigentlich nicht. Allerdings hatte Sakamoto tatsächlich schon seit längerer Zeit eine Idee für einen neuen Teil der Reihe im Hinterkopf. Unter anderem Miyachi ermutigte ihn, diese Idee auszubauen. So begann der Nintendo-Veteran schließlich, die Handlung für das neue Spiel zu schreiben. „Ich persönlich arbeite gern sehr praxisnah“, erklärte Sakamoto, „also habe ich mit Frau Miyachi für diesen Titel in jedem Bereich zusammengearbeitet, vom Entwickeln der Handlung bis zum Verfassen des Skripts, der Sichtung und Auswahl von Hintergrundmusik, um die Komponisten zu unterstützen, sowie bei Filmsequenzen und Regie.“

Sakamoto sorgt erneut für Aufsehen

Im Abspann von „Emio – Der lächelnde Mann: Famicom Detective Club“ – so der Titel des im August 2024 für Switch erschienenen Spiels – wird Sakamoto lediglich als Produzent aufgelistet. Dies verschleiert seine intensive Mitwirkung am Projekt ein wenig. Die Handlungsidee geht vollständig, die Ausarbeitung großteils auf ihn zurück. Seine Kollegin Miyachi hat ebenfalls wichtige Teile zur Handlung beigetragen und sie im Ganzen begutachtet.

In der Nintendo-Welt sorgte die Ankündigung von „Emio“ für viel Aufmerksamkeit, denn völlig unerwartet und ohne weitere Informationen veröffentlichte der Konzern ein kurzes Video, das ein waschechtes Horrorspiel erwarten ließ. Der Teaser war in dieser Hinsicht zwar recht irreführend, doch als sich wenig später herausstellte, dass es sich bei „Emio“ um eine brandneue Visual Novel aus der Feder des „Metroid“-Entwicklers Sakamoto handelte, blieb bei vielen Fans Interesse bestehen. Für weiteres Aufsehen sorgte der Umstand, dass „Emio“ eines der ganz wenigen First-Party-Spiele aus dem Hause Nintendo mit einer Ab-18-Altersfreigabe darstellt – auch wenn dies ebenfalls falsche Erwartungen hinsichtlich des Spielinhalts wecken kann.

Ein bemerkenswerter Nintendo-Entwickler

Yoshio Sakamoto ist in mehrfacher Hinsicht ein wahrlich bemerkenswerter Nintendo-Entwickler. Sein Œuvre ist unvergleichlich mannigfaltig, deckt es doch klassische Arcade-Titel wie „Balloon Fight“, Visual Novels wie „Famicom Detective Club“, 2D-Action-Adventures wie „Metroid“, Minispielsammlungen wie „WarioWare“, Rhythmusspiele wie „Rhythm Paradise“ und noch viel mehr ab. Entsprechend hatte auch Nintendo-Präsident Satoru Iwata 2010 festgehalten: „Jeder der sieht, dass dieselbe Person, die ‚Metroid: Other M‘ gemacht hat, auch für ‚Tomodachi Collection‘ und die ‚WarioWare‘-Series verantwortlich war (gar nicht zu reden von ‚Famicom Tantei Club‘ […]) muss doch völlig verblüfft über Ihre dynamisch-kreative Bandbreite sein!“

Außerdem hat Sakamoto wie kaum ein anderer Nintendo-Entwickler im Laufe seiner Karriere Wert auf Handlungen in seinen Spielen gelegt, auch wenn er damit im Falle von „Metroid: Other M“ eine gewaltige Bruchlandung hingelegt hat. Und schließlich ist er noch auf seine späten Jahre so direkt in Spieleprojekte involviert wie kein anderes der bekannten Gesichter des Konzerns. Wo ein Shigeru Miyamoto schon seit vielen Jahren nicht mehr die kreative Leitung innehatte, hat Sakamoto bei „Emio“ den Großteil des Skripts und mehr verantwortet.

Yoshio Sakamoto auf der Game Developers Conference 2010 (Bild: Wikimedia Commons). Nach eigenen Angaben war es das erste Mal, dass der Industrieveteran auf einer Branchenkonferenz referierte. In seinem Vortrag, der von Nintendo auch in deutscher Übersetzung zur Verfügung gestellt wurde, sprach Sakamoto über seine Designphilosophie.

„Ein Typ, der nur Nischenspiele macht“

Wodurch sich Sakamoto ebenfalls von Nintendo-Legenden wie Miyamoto unterscheidet: Keinem seiner Spiele war ein solcher Erfolg vergönnt, dass es auch für Nintendo-Verhältnisse als Verkaufshit gelten könnte. Man könnte Sakamoto womöglich sogar als den erfolgreichsten Nischenentwickler des Konzerns bezeichnen.

Wie Sakamoto in einem Vortrag auf der Game Developers Conference 2010 erklärte, ist er sich dessen durchaus bewusst. „Viele der anderen Spiele, an denen ich gearbeitet habe, waren einzigartiger, subtiler oder skurriler … Und deshalb schaffen sie es nicht so oft aus Japan heraus. Bitte interpretieren Sie das nicht so, als wären die Spiele langweilig … In Japan gelten ‚Metroid‘-Spiele auch als Nischentitel, so dass ich dort als ‚ein Typ, der nur Nischenspiele macht‘, angesehen werden könnte. Mit anderen Worten: Anstatt Spiele mit globaler Anziehungskraft zu entwickeln, könnte meine wahre Identität darin bestehen, ein Spieldesigner zu sein, der eine ‚starke Tendenz zu Nischenspielen‘ hat. Ich glaube, das könnte das Unternehmen verärgern, aber ich bin wirklich gerne in der Position, in der ich jetzt bin.“

65 Jahre und kein bisschen leise

Wie wird es weitergehen für Sakamoto? „WarioWare“ fällt seit einiger Zeit nicht mehr in seine Zuständigkeit; „Tomodachi Life“ und „Rhythm Paradise“ haben seit Jahren keine Fortsetzung mehr erhalten. Aktiv ist neben „Famicom Detective Club“ aktuell nur noch die „Metroid“-Reihe. Da „Metroid Dread“ mit über drei Millionen Verkäufen der bislang erfolgreichste Teil der Reihe überhaupt ist – und zugleich eines der meistverkauften Sakamoto-Spiele –, dürfte ein Nachfolger nur eine Frage der Zeit sein.

Bereits zur Veröffentlichung von „Metroid Dread“ hatte Sakamoto vage Andeutungen über die mögliche Zukunft der 2D-Hauptreihe gemacht. „Dread“ sollte zwar die übergreifende Handlung zu einem Abschluss bringen, dennoch gab er zu Protokoll, dass die Reihe noch nicht zu Ende sei. Sakamotos Aussagen von 2021 wirken gar, als sei damals schon etwas Konkretes in Arbeit oder wenigstens geplant gewesen. Drei Jahre später hat es zwar immer noch keine Ankündigung gegeben. Doch das nächste 2D-„Metroid“ von Sakamoto und MercurySteam wird bestimmt nicht erst knapp 20 Jahre nach seinem Vorgänger erscheinen.

Mehr als nur „Metroid“, zugleich aber „ein Typ, der nur Nischenspiele macht“: Wir dürfen gespannt sein, mit welchen Ideen und Projekten Sakamoto in Zukunft aufwarten wird!


Quellen: Japanisches Interview mit Yoshio Sakamoto von 2000, übersetzt von shmuplations.com; „Exclusive: Metroid designer Yoshio Sakamoto speaks!“, ComputerAndVideoGames, 1. September 2003, archivierte Version vom 21. Juni 2011 im Internet-Archiv; Chris Kohler: „Q&A: Metroid Creator’s Early 8-Bit Days at Nintendo“, Wired, 7. April 2010, archivierte Version vom 25. April 2010 im Internet-Archiv; „Iwata fragt: Metroid: Other M“, Teil 3: Interview mit Yoshio Sakamoto und Hironobu Sakaguchi, Nintendo, 2010; „Interview zu Nintendo Classic Mini: NES – Teil 2: Balloon Fight“, Nintendo, 11. November 2016; „Interview zu Nintendo Classic Mini: NES – Teil 5: Metroid“, Nintendo, 5. Dezember 2016; „Frag die Entwickler, Teil 12: Emio – Der lächelnde Mann: Famicom Detective Club“, Nintendo, 5. September 2024.

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