Zitat:
Fauler Zauber, echter Betrug
Ein Kristallschädel wie im neuen ,,Indiana Jones»-Film in Paris
,,Sie können den Schädel nicht verpassen», erklärt der PR-Verantwortliche, ,,vor der Vitrine müssten lauter New-Age-Fans stehen.» Weit gefehlt. Nicht nur irrt man an besagter Vitrine zweimal vorbei; als man sie endlich gefunden hat, lümmeln vor ihr statt ekstatischer Esoteriker bloss gelangweilte Schüler. Wetten, dass sich das bald ändern wird? Am Mittwoch läuft in Frankreich ,,Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels» an - Steven Spielbergs angekündigter Blockbuster mag auf das Pariser Musée du Quai Branly einen ähnlichen Effekt haben wie vor wenigen Jahren Dan Browns Bestseller ,,The Da Vinci Code» (deutsch: ,,Sakrileg») auf den Louvre. Hier wie da eine mit Esoterik aufgepeppte Abenteuergeschichte, in deren Mittelpunkt ein reales (Kunst-)Werk steht: im einen Fall die ,,Mona Lisa», eines der Prunkstücke des Louvre, im andern ein Kristallschädel, wie ihn das Pariser Museum für Stammeskunst besitzt. Über den Louvre waren damals Schwärme von Illuminierten hergefallen, die sich auf den Spuren von Jesus und seiner angeblichen Gattin Maria Magdalena wähnten. Ob Ähnliches bald auch dem Musée du Quai Branly blüht?
Mystisches Leuchten
Seit einer Woche ist der sogenannte ,,crâne de Paris» in der Abteilung ,,Amériques» des Museums ausgestellt. Die Installation wirkt ein wenig improvisiert, als habe das Museum die Lancierung des Films nicht antizipiert und husch, husch noch auf den abfahrenden Zug springen wollen. Eine richtige Ausstellung rund um den Schädel wird erst am 20. Oktober eröffnet. Bis dahin bietet sich zumindest die Gelegenheit, das sagenumwobene Objekt näher zu betrachten. Was sogleich auffällt, ist der bösartige, sozusagen teuflische Ausdruck des Schädels, mit seinen riesigen, regelmässigen Zähnen und den kreisrunden, nach hinten sich kegelförmig verengenden Augenlöchern. Die Museographie sorgt noch für zusätzliche Dramatik. Eine unsichtbare Lichtquelle bringt den elf Zentimeter hohen Totenkopf aus durchsichtigem Bergkristall zu mystischem Leuchten.
Immerhin: Singen tut das Objekt einstweilen nicht - entgegen Legenden, die über Kristallschädel kursieren. Und wäre dem so, erklängen wohl eher rheinland-pfälzische Lieder als aztekische Weisen. Denn der Kopf, so Fabienne de Pierrebourg, die Verantwortliche der Abteilung, wurde möglicherweise am Ende des 19. Jahrhunderts in der deutschen Schmuck- und Edelsteinstadt Idar-Oberstein hergestellt. Das Forschungszentrum der französischen Museen unterzieht das Objekt derzeit Analysen, die bald abgeschlossen sein werden. Schon jetzt steht fest, dass der lange Zeit als aztekisch etikettierte Schädel mit modernen Fräsen hergestellt wurde und Spuren von Eisen aufweist - ein Metall, das den präkolumbianischen Völkern unbekannt war. Zudem entspricht er nicht den Konventionen der Repräsentation von Totenköpfen; auch, weil die Azteken die Häupter ihrer Menschenopfer horizontal durchbohrten, während hier ein vertikales Loch zu sehen ist. Das Objekt wurde wohl durch Eugène Boban-Duvergé nach Frankreich gebracht, einen 1908 verstorbenen Antiquar und mutmasslichen Fälscher.
Begehrte Trouvaillen sind Fälschungen
New-Age-Fans lassen sich durch derlei Argumente freilich nicht beirren. 13 magische Schädel wollen die Mitglieder der ,,Crystal Skull Society» und andere Totenkopf-Esoteriker weltweit gezählt haben. Diese sollen fähig sein, miteinander zu kommunizieren, parapsychologische Phänomene auszulösen und, vor dem 21. Dezember 2012 (dem Ende des Maya-Kalenders) zusammengebracht, die Welt vor dem Untergang zu retten. 3 davon befinden sich in öffentlichen Sammlungen (im Smithsonian Museum, im British Museum und im Musée du Quai Branly) - alle 3 sind erwiesene Fälschungen. Der Amerikanist und Archäologe François Gendron hat statt der kanonischen 13 Totenköpfe sogar deren 52 verzeichnet, für die manche ein Vermögen zu bezahlen bereit sind. Kein einziger davon wurde bei archäologischen Grabungen gefunden. Gendrons Fazit? ,,Die Mär von den Kristallschädeln ermöglicht es Betrügern, viel Geld zu machen mit dem legitimen Bedürfnis vieler von uns, zu träumen.»