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    30 Jahre Die Simpsons: Der Anfang, der fast das Ende geworden wäre

    30 Jahre Die Simpsons: Der Anfang, der fast das Ende geworden wäre

    Vor 30 Jahren begann eine der größten Legenden der modernen Popkultur: Mit der Episode „Es weihnachtet schwer“ flimmerte „Die Simpsons“ am 17. Dezember 1989 auf FOX zum ersten Mal über die Mattscheiben. Was aber nur wenige wissen: „Es weihnachtet schwer“ war gar nicht als erste Folge der gelben Familie geplant. Die wahre erste Folge hat das Projekt einige Monate zuvor in eine schwere Krise geführt. Denn als die Produzenten die Animation der eigentlichen ersten Episode, „Der Babysitter ist los“, erstmals sahen, trauten sie vor Schreck ihren Augen kaum – und standen kurz davor, der vielversprechenden Serie noch vor ihrer Erstausstrahlung den Stecker zu ziehen. Anlässlich des Jubiläums der langlebigsten Zeichentrickserie der Welt erzählen wir die ganze faszinierende Geschichte hinter jenem Anfang, der fast das Ende geworden wäre.

    Simpsons 1.jpg

    Die Geburtsstunde der Simpsons

    Zunächst einmal werfen wir einen Blick zurück auf die Anfänge von „Die Simpsons“. Alles begann mit der Comedy-Show „The Tracey Ullman Show“, die ab 1987 auf dem US-amerikanischen Sender Fox ausgestrahlt wurde. Produzent James L. Brooks (* 1940) war auf der Suche nach kurzen Cartoon-Sketches, um die Show aufzulockern. Dabei stieß er auf Matt Groening (* 1954), dessen schwarzhumorige und sozialkritische „Life in Hell“-Comics sein Interesse weckten. Groening plante zunächst Cartoon-Animationen zu „Life in Hell“, entschloss sich aber sehr kurzfristig dagegen und entwickelte stattdessen für die „Tracey Ullman Show“ ein ganz neues Format.

    Es gibt zwar unterschiedliche Versionen der Geschichte, wie genau Groening die gelbe Familie erschaffen hat und warum sie gerade gelb ist. Sie alle laufen aber darauf hinaus, dass Homer, Marge, Bart, Lisa und Maggie, die Groening mit Ausnahme von Bart nach Mitgliedern seiner eigenen Familie benannt hat, in kürzester Zeit entworfen wurden. Mit der Animation der kurzen „Simpsons“-Clips, die als eine Art Lückenfüller für die „Tracey Ullman Show“ fungieren sollten, wurde das US-amerikanische Studio Klasky Csupo betraut. In der Erwartung, dass dessen Animatoren Groenings Zeichnungen auf Hochglanz bringen würden, hatte dieser nur grobe Skizzen zur Verfügung gestellt, deren Stil dann aber unverändert übernommen wurde.

    Bescheidene aber vielversprechende Anfänge

    Die „Simpsons“-Kurzfilme für die „Tracey Ullman Show“ wurden innerhalb weniger Wochen von nur einer Handvoll Animatoren umgesetzt – zwei davon, Wes Archer und David Silverman, sollten später auch bei der „Simpsons“-Serie als Regisseure fungieren. Die gelbe Familie, die hier noch größtenteils ohne Nebenfiguren auskommt, wurde bereits von jenen Sprechern vertont, die die jeweiligen Rollen bis heute innehaben: Dan Castellaneta für den bierbauchigen Vater Homer, Julie Kavner für Mutter Marge, Nancy Cartwright für Sohn Bart und Yeardly Smith für Tochter Lisa.

    Die für heutige Augen sehr krude wirkenden Clips zeigten eine typische US-amerikanische Familie in skurrilen bis albernen Situationen. Dabei geht es um mehr oder weniger normale Gegebenheiten im Familien-Alltag, etwa wie Homer und Marge ihre Kinder durch schlechte Ratschläge und angsteinflößende Lieder unabsichtlich beim Zubettgehen verschrecken, wie Bart und Lisa sich vor dem Fernseher streiten oder gegeneinander einen Rülpswettbewerb ausfechten – sehr zum Unmut ihrer Mutter.

    Die Zeichnungen sind noch sehr grob und detailarm, die Animationen ziemlich simpel und übertrieben, die Geschichten ohne Tiefgang und auf kurze Lacher angelegt. Und doch finden sich bereits viele Bestandteile, die später die Serie auszeichnen sollten: Nie zuvor war im Zeichentrickformat so schonungslos realitätsnah eine amerikanische Durchschnittsfamilie dargestellt worden. In erster Linie ging es den „Simpsons“-Kurzfilmen von 1987 nur um Klamauk für Zwischendurch, doch die verrückte Familie, die der Gesellschaft kritisch den Spiegel vorhielt, sorgte für viel Aufmerksamkeit.



    Vom Lückenbüßer-Kurzfilm zur Sensations-Serie

    Die „Simpsons“-Kurzfilme erwiesen sich als so beliebt, dass „Tracey Ullman“-Produzent Brooks das Potenzial zu einer eigenständigen animierten Fernsehserie sah. So begannen Groening und Brooks sowie Sam Simon (1955–2015), mit dem Brooks an früheren Projekten zusammengearbeitet hatte, aus Groenings Format als eine Art Spin-off eine umfangreiche Serie zu entwickeln. Fox war zunächst eher skeptisch, doch schließlich einigte sich der Sender mit den „Simpsons“-Vätern auf eine erste Staffel mit 13 Episoden zu je einer halben Stunde Länge. Als Produktionsunternehmen fungierte Brooks' Gracie Films, während die Animation wie schon bei den Kurzfilmen in die Hände von Klasky Csupo übergeben wurde.

    Die Gestaltung der gelben Familie erfuhr starke Überarbeitungen – jetzt wurde das bis heute übliche Design festgelegt. Außerdem kamen zahlreiche Nebenfiguren und Handlungsschauplätze außerhalb des Familiendomizils hinzu. Ein Team von Autoren schrieb umfangreiche Drehbücher, die weit über den Ulk der Kurzfilme hinausgingen, den gesellschaftskritischen Humor aber noch steigerten. Obwohl es sich im Herzen um eine Zeichentrickserie handelte – mit einer umfangreichen Eröffnungssequenz, um Animationskosten für die Einzelepisoden zu sparen –, wurde die Serie in der echten Welt angesiedelt. Die Simpsons sollten sogar die Kirche besuchen – das war, wie unzählige weitere Elemente, für Zeichentrickserien bis dahin undenkbar gewesen.

    Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

    Die erste „Simpsons“-Staffel ist auch heute noch äußerst sehenswert und für Serienfans ein faszinierendes Erlebnis. Hier sieht man ein Serienuniversum, das noch nicht gleichsam dogmatisch festgelegt, sondern gerade im Entstehen begriffen ist. Selbst die Charakterzüge der Protagonisten stehen noch nicht endgültig fest, erscheint Lisa doch häufig als genauso albern und ungezogen wie ihr Bruder, wohingegen Homer oft deutlich vernünftiger wirkt, als ihn spätere Staffeln zeichnen. Der Humor schafft es, sich sowohl an Kinder wie auch an Erwachsene zu richten, was seither ein weiteres Markenzeichen der Serie ist.

    Die Storys aus der ersten Staffel nehmen sich noch wesentlich ernster als in späteren Jahren, ohne aber auf tiefsinnigen Humor zu verzichten. Selbst im Vergleich zu den nachfolgenden frühen Staffeln, die unter „Simpsons“-Fans deutlich mehr geschätzt werden als die Staffeln der vergangenen zehn bis 15 Jahre, fällt die Erzählweise recht langatmig und die Animation sehr lebendig und organisch aus – gerade das macht den einzigartigen Charme dieser ersten 13 Episoden aus. Erzählt werden dabei Geschichten, die sich im Wesentlichen auf den Familienkreis beschränken – es geht etwa darum, wie Homer das Weihnachtsfest in den Sand zu setzen droht, Bart bei einem Intelligenztest schummelt und auf einer Hochbegabtenschule landet oder Lisa ihre Traurigkeit mit dem Saxophonspiel überwindet.

    Aber auch Themen, die für das Zeichentrickfernsehen der 1980er-Jahre unerhört waren, fanden Aufnahme: Wie etwa Marge in die Versuchung des Ehebruchs gerät, wie Homer ein Verhältnis zu einer Bauchtänzerin nachgesagt wird und sogar, wie der Familienvater seinen Suizid plant. Hier zeigt sich: Die Produzenten hatten sich die ehrgeizige Aufgabe gesetzt, eine Zeichentrickserie zu erschaffen, die auch Erwachsene anspricht und bei den Zuschauern echte Emotionen auszulösen vermag. Dass uns dies in der post-simpsons'schen Zeichentrickära nicht sonderlich bemerkenswert scheint, darf nicht darüber hinweg täuschen, was für große und wegweisende Ambitionen dies für das Medium der Zeichentrickfilme darstellte.

    Simpsons 2.jpg
    V.l.n.r.: Matt Groening, James L. Brooks und Sam Simon

    Die schlechteste Episode aller Zeiten

    Doch beinahe wäre all dies nie Wirklichkeit geworden – und Schuld waren weder das mutige Format, die provokanten Drehbücher noch der skeptische Sender, sondern die Animation. „Der Babysitter ist los“, dessen Drehbuch Groening selbst mit Sam Simon verfasst hatte, sollte die Mitglieder der gelben Familie zum ersten Mal vorstellen. Da die Folge gleichsam als Einführung in die Serie und somit als Staffelauftakt geplant war, ging sie auch als erste der Staffel in die Animation.

    Als sechs Monate später die animierten Szenen für „Der Babysitter ist los“ ankamen, war in den Büros des Produktionsunternehmens Gracie Films die Spannung groß. Doch das gezeigte Material schlug ein wie eine Bombe – und zwar im negativen Sinne. „Es war schmerzhaft, wirklich schmerzhaft“, so Groening, und James Brooks erinnerte sich zurück: „Es war die schlechteste Version von ‚The Simpsons‘. Man kann sich nicht vorstellen, wie schlecht sie war. Es war grauenhaft.“
    Geändert von Tobias (16.12.2019 um 19:57 Uhr)

  2. #2
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    Geplatzter Traum?

    „Am Ende der Folge saßen wir im Dunkeln. Sehr schnell verließen die Leute den Raum. Nur ein paar Verantwortliche blieben zurück“, beschrieb Groening. „An einen Satz erinnere ich mich und ich werde ihn nie vergessen. Im Dunkeln sagte Jim [Brooks]: ‚Das ist scheiße‘. Ein Schweigen trat ein.“ Da Brooks' unmittelbare und unverblümte Reaktion nur das aussprach, was wohl alle Anwesenden dachten, schien das Ende der „Simpsons“ noch vor dem Beginn besiegelt zu sein. Jahre später sollten die Produzenten dies als den schrecklichsten Augenblick ihrer Karrieren bezeichnen.

    Die Animation der Pilotfolge entsprach zum einen absolut nicht den Erwartungen und Vorgaben und steckte zum anderen voller Fehler – so konnten und wollten Brooks und Co. „Die Simpsons“ nicht auf die Öffentlichkeit loslassen. Noch war aber völlig unklar, wie tief die Probleme saßen. Die Crew musste eine Woche abwarten, bis die Animation für die zweite Folge ankam, „Bart wird ein Genie“. „Es war eine abscheuliche Woche“, erzählte Groening. „Ich konnte nicht schlafen, zweifelte an allem, dachte, meine Karriere sei zu Ende.“ Doch die bangen Tage wurden zumindest von einem Teil-Happy-End begleitet: „Es war eine Genugtuung, die Animation der Folge ‚Bart wird ein Genie‘ zu sehen, denn wir sahen sofort, dass wir die Sache zurechtbiegen konnten.“

    Anhang 23596
    Links: Das Cover des Drehbuchs zur Episode, datiert auf April 1989; rechts: Ein Animations-Cel aus der Folge mit Hintergrund als Bleistift-Zeichnung

    Hinter den Lachern

    Doch was genau ist bei „Der Babysitter ist los“ schiefgelaufen? Um das zu verstehen, müssen wir einen weiteren Blick auf den Entstehungsprozess der Episoden der ersten Staffel werfen. Nachdem die Arbeit an den Drehbüchern abgeschlossen und ein Storyboard erstellt war, vertonten die Synchronsprecher die Dialoge. Erst darauf basierend entstand die Animation – der entscheidende Punkt aber ist, dass dies extern erfolgte. Die Mitglieder der „Simpsons“-Crew entwarfen vor Ort nur Schlüsseldesigns für Charaktere, Hintergründe und besondere Sequenzen, die eigentliche Animation oblag dann Klasky Csupo.

    Da Klasky Csupo zuvor nur kleine Projekte wie eben die „Simpsons“-Kurzfilme animiert hatte und gar nicht die Kapazitäten für eine vollständige Zeichentrickserie besaß, lagerte das Unternehmen die Animation für die ersten „Simpsons“-Folgen wiederum an das südkoreanische Studio AKOM aus. Die Produzenten hatten damit nur begrenzten Einfluss auf die Animation und mussten warten, bis der fertige Film zurückkam. Erst dann konnten Schnitt, Bearbeitung, Soundeffekte und weitere Produktionsschritte vorgenommen werden.

    Man muss sich außerdem bewusst machen, dass die Produktion von Zeichentrickfilmen in dieser Zeit analog erfolgte. Anstatt Animation am Computer zu erstellen und so relativ unproblematisch ändern zu können, musste jedes Standbild einzeln gezeichnet werden. Es entstanden, grob vereinfacht beschrieben, separate Folienschichten für Charaktere und Hintergründe, die dann für jedes Einzelbild neu arrangiert und von einer Kamera abgelichtet wurden. Dadurch war die Produktion sehr aufwändig und unflexibel. War die Animation einer Szene fehlerhaft, musste die diese gänzlich neu entworfen werden.

    Wechsel im Regiestuhl

    In einem Interview von 2016 äußerte sich „Simpsons“-Showrunner Al Jean zu der Frage, wen genau die Schuld für die misslungene Pilotfolge treffe. Er widersprach der Ansicht, dass die Verantwortung allein bei den Animatoren in Korea zu suchen sei. Vielmehr habe es an dem Regisseur der Folge gelegen, der den Animatoren entsprechende Anweisungen gegeben habe. „Das Problem lag bei dieser einen Person, der ironischerweise die allererste Folge gegeben wurde“, so Jean.

    Dieser Regisseur der ursprünglichen Fassung von „Der Babysitter ist los“, den Jean namentlich nicht nennen wollte, war Kent Butterworth. Er ist unter anderem als Schöpfer von „The Adventures of Sonic the Hedgehog“ bekannt und hat neben „Der Babysitter ist los“ nur noch für die erste-Staffel-Episode „Eine ganz normale Familie“ im „Simpsons“-Regiestuhl sitzen dürfen. Um Butterworth' Fehler auszubügeln, wurde die Regie an Silverman übergeben, der die Folge fast komplett neu animieren ließ. Da Silverman, der bis heute einer der wichtigsten „Simpsons“-Köpfe ist und unter anderem auch die Leitung des Kinofilms von 2007 inne hatte, bereits an den „Simpsons“-Kurzfilmen mitgewirkt hatte, konnte er die Episode mit seiner Expertise noch retten.

    Anhang 23597
    In dieser Szene wurde die Animation der ursprünglichen Fassung unverändert übernommen, der Hintergrund aber neu gestaltet. Man beachte in der Pilotfassung das Tischchen rechts, dem jede Perspektive fehlt. Die Tür fällt hier zu wie Gummi und weist zudem noch das Kussherz auf, das in der finalen Folge gar keinen Sinn mehr ergibt. Warum die Animation nicht auch an dieser Stelle überarbeitet wurde, bleibt ein Rätsel.

    Aus Alt mach Neu

    Unter Silvermans Leitung wurde „Der Babysitter ist los“ zu etwa 70 Prozent neu erstellt, wie die Macher der Serie im offiziellen Audiokommentar zur Folge schätzten. Besonders der Beginn der Folge wurde stark gestrafft und komplett neu gestaltet. Einige Szenen aus der Pilotfolge sind ganz oder in Teilen für die überarbeitete Fassung übernommen worden, etwa Marges Anruf bei Dr. Monroe. Übernommenes Material aus dem ersten Entwurf lässt sich noch in der fertigen Episode anhand des für die ersten „Simpsons“-Animationen typischen Farbverlaufs der Wandfarbe sowie der Schlichtheit der Hintergründe identifizieren.

    In manchen Szenen sind alte Animationen auch beibehalten worden, nur die Hintergründe wurden stark überarbeitet. So sieht man noch mehrfach in der finalen Folge, wie Türen beim Zuschlagen wirken, als wären sie aus Gummi – genau solche Dinge hatten am frühen Material aber gestört. De facto sind in der veröffentlichten Version der Folge die ersten und letzten entstandenen Aufnahmen aus der Produktion der ersten Staffel völlig miteinander vermischt, sodass die Qualität der Folge sehr uneinheitlich ist.

    Die versch(r)obene erste Folge

    Doch dass Silverman die Folge überhaupt hatte retten können – und die „Simpsons“ doch nicht eingestampft wurden –, lag wie erwähnt nur daran, dass die Animationen für „Bart wird ein Genie“, bei dem auch Silverman Regisseur gewesen war, weniger katastrophal ausfielen und nur solche Fehler aufwiesen, die sich recht einfach verbessern ließen. Der Serienstart verzögerte sich aber infolge des knapp abgewendeten Debakels um mehrere Wochen. Statt wie geplant im September 1989 mit „Der Babysitter ist los“ an den Start zu gehen, wurde stattdessen erst am 17. Dezember 1989 „Es weihnachtet schwer“ als erste Folge ausgestrahlt. Die stark überarbeitete Fassung von „Der Babysitter ist los“ war erst als letzte Folge der ersten Staffel am 13. Mai 1990 im TV zu sehen.

    Wie schon erwähnt, sollte „Der Babysitter ist los“ – im Englischen „Some Enchanted Evening“ – eigentlich die Protagonisten der Serie erstmals vorstellen. Die Folge handelt von Marge, die sich von ihrer Familie, vor allem aber ihrem Mann missverstanden und ignoriert fühlt. Als Homer Wind davon bekommt, dass es um seine Ehe nicht zum Besten bestellt ist, arrangiert er einen romantischen Abend mit seiner Frau. Die Babysitterin, die Homer und Marge für ihre Kinder angeheuert haben, erweist sich jedoch als die berüchtigte Babysitter-Gangsterin. Im Hause der Simpsons beginnt sie ihr Unwesen zu treiben – bis es Bart, Lisa und Maggie gelingt, sich zu befreien und die Gaunerin zu überführen.



    Ay Caramba, eine Simpsons-Beta!

    Da „Der Babysitter ist los“ zu einem Großteil völlig neu gemacht wurde, kann man mit Fug und Recht von zwei Versionen sprechen: Der unausgestrahlten Pilot-Folge und der überarbeiteten, veröffentlichten Fassung. Und Erstere, die fast das vorzeitige Ende der „Simpsons“ bedeutet hätte, ist zumindest in Auszügen 2001 als Bonusmaterial für die offizielle DVD zur ersten Staffel veröffentlicht worden. Es ist ein faszinierender Einblick in ein spannendes Stück Zeichentrickgeschichte und lässt uns genau nachvollziehen, was damals alles im Argen lag.

    Wenn die erste Staffel gegenüber späteren Staffeln ins Sachen Bildqualität insgesamt recht grob und ungleichmäßig ist, so muss doch jedem, der „Die Simpsons“ auch nur einmal gesehen hat, diese Pilotfolge katastrophal vorkommen. Es existiert ein Audiokommentar, in dem die „Simpsons“-Verantwortlichen das Material zum ersten Mal seit über zehn Jahren wieder sehen, oder genauer gesagt: ertragen müssen. James Brooks verlässt während des Kommentars wortlos den Raum, so unerträglich muss für ihn der Anblick sein.

    Auch wenn man nicht wie Groening, Brooks und Co. jahrelang an der Serie mitgearbeitet hat, fällt einem sofort ins Auge, wie schlecht Animationen und Hintergründe sind. Die Bewegungen der Figuren, insbesondere jene Homers, sind total verfremdet und verzerrt, die Hintergründe detailarm und grotesk, die Proportionen und Perspektiven häufig unstimmig. Man beachte bereits, wie in den ersten Sekunden die Perspektive des vor der Garage parkenden Autos völlig misslungen ist. „Die Figuren waren wie aus Gummi und hässlich“, so Groening. „Es gab Gags, die wir nicht geschrieben hatten.“

  3. #3
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    Die Simpsons trifft auf Warner Bros.

    Das Bildmaterial ist symptomatisch für die Anfänge einer Zeichentrickserie, die erst ihren eigenen Stil zu finden im Begriff ist. Am Ende des offiziellen Episoden-Audiokommentars schilderte Groening ausführlich das Problem: „Bei einem Trickfilm schafft man eine eigene Welt mit eigenen Regeln. In jeder Zeichentrickwelt gibt es andere Regeln. Disney hat eigene Regeln. Warner Bros. auch. Und wir schaffen die Regeln für ‚The Simpsons‘. Das Problem bei diesen Folgen war, dass die Regeln noch nicht deutlich waren.“

    Die wohl wichtigste dieser Regeln waren realistische Animationen, die eben nicht wie in Cartoons wirken sollten. Doch im Pilotmaterial sehen wir eine Variante der „Simpsons“, die stark von typischen Cartoon-Animationen beeinflusst ist. „Ich habe das Gefühl, dass bei Disney-Cartoons die gesamte Welt auf Sprungfedern ruht. Alles federt irgendwie“, fuhr Groening fort. „Bei Cartoons von Warner Bros. ist alles wie aus Gummi. Es gibt extreme Posen.“ Und genau so sollte es bei seiner Serie nicht sein: „Bei ‚The Simpsons‘ sind die Figuren mittleren Alters, ziemlich steif und unbeholfen […]. Sie laufen nicht durch die Lüfte, wie das bei Warner Bros. der Fall ist. Die Anatomie ist konsequent und es gibt realistische Toneffekte.“

    Simpsons bla.jpg
    Hier sehen wir eine Szene, die unverändert aus der Pilotfassung übernommen worden ist. Besonders die Detailarmut sowie der Farbverlauf im Hintergrund sind charakteristisch für frühes Material.

    Finde die Fehler!

    Mit dieser Erklärung im Hinterkopf wird deutlich, warum das erste „Simpsons“-Videomaterial für die Macher ein solches No-Go war. Einflüsse gewöhnlicher Zeichentrick-Stile schimmern etwa in verzerrten Gesichtern, gummiartig zuschlagenden Türen oder der Fred-Feuerstein-artigen Gestaltung und Animation von Homer durch. Über diese Grundlagen der Animation kam es damals zu einer Auseinandersetzung zwischen Brooks und Klasky-Csupo-Chef Gabor Csupo, der behauptete, dass nicht die Qualität der Animation, sondern des Drehbuchs das wahre Problem sei.

    Doch es sind nicht einmal allein die Animationen, die in der unausgestrahlten Fassung von „Der Babysitter ist los“ nicht passen. Auch die Hintergründe sind detailarm und inkonsistent gezeichnet und hinzu kommen noch zahlreiche Fehler und Unstimmigkeiten. Wer sich auf die Suche machen möchte, kann im obigen YouTube-Video einmal die Wiedergabegeschwindigkeit auf die Hälfte oder ein Viertel reduzieren. Auch ein Vergleich zwischen Szenen aus der ursprünglichen und der überarbeiteten Fassung der Folge ist sehr aufschlussreich – ein solches Video ist aktuell auf YouTube leider nicht verfügbar. Für „Simpsons“-Fans ist ein (manueller) Vergleich zwischen beiden Versionen aber überaus interessant. Und wer weiß, vielleicht tauchen irgendwann weitere Szenen aus der unveröffentlichten Fassung auf?

    Die bestanimierte Simpsons-Szene aller Zeiten

    Am Ende dieser Reportage möchten wir auf eine besondere Sequenz aus „Der Babysitter ist los“ zu sprechen kommen. Wie schon gesagt, ist die finale Episode ja ein Resultat der Zusammenstellung aus altem und neuem Material, weshalb die Qualität sehr ungleichmäßig ist. So finden sich auch einige Szenen, die zwar offensichtlich aus dem Pilotentwurf stammen, in dem 2001 veröffentlichten Zusammenschnitt aber nicht zu sehen waren. Eine davon ist jene Szene, in der die Babysitterin Mr. Botz Bart bedroht.

    Schaut man sich diese Szene Bild für Bild an, so fällt auf, dass jedes Einzelbild von Mr. Botz' Animation völlig neu gezeichnet worden ist. Dies ist nicht nur innerhalb der Folge, sondern in diesem Ausmaß wohl innerhalb der gesamten Serie absolut einmalig. Die Bewegung ist ungemein organisch und flüssig und reicht fast an alte „Disney“-Klassiker heran. Diese Animation stammt von einem erfahrenen Animator namens Dan Haskett, der an vielen bekannten Projekten mitgewirkt hat, unter anderem auch bei Disney.

    Gesprochen hat Mr. Botz in der englischen Version die amerikanische Schauspielerin Penny Marshall, die somit formal der erste „Simpsons“-Gaststar war und genau am 29. Geburtstag der Serie, am 17. Dezember 2018, verstarb. Für die „Simpsons“-Pilotfolge hat Dan Haskett nun Marshalls Vertonung, die er übrigens für sehr flach und misslungen hielt, in der Animation enorm viel Ausdruck verliehen. Neben dieser Szene war Haskett auch für die ursprüngliche Fassung des Tanzes von Homer und Marge zuständig. Dieser schaffte es aber nicht in die finale Version, da er nicht den Vorstellungen der „Simpsons“-Chefs entsprach, denen ein steifer und ungeschickter Tanz vorschwebte.



    Wir könnten noch viele Worte über die faszinierende frühe Fassung von „Der Babysitter ist los“ verlieren. Es ist eine sehr interessante Episode der Zeichentrickgeschichte, die, obgleich „Die Simpsons“ weltberühmt sind, verhältnismäßig wenig bekannt ist. Viele Hintergründe sind noch nicht hinreichend beleuchtet. Was für eine große Marke mit großem gesellschaftlichen Einfluss daraus werden sollte, hätte 1989 sicher niemand gedacht. Und noch 30 Jahre später sind „Die Simpsons“ lebendig und beliebt – auch wenn es immer wieder Gerüchte um die Einstellung der Serie gibt und viele alte Fans seit Jahren eine stetige Abnahme in der Serienqualität kritisieren. Nichtsdestotrotz sind „Die Simpsons“ eine lebende Legende – und vielleicht tut es anlässlich des Jubiläums einmal gut, sich die allerersten Folgen (wieder) zu Gemüte zu führen.

    Zur Geschichte hinter der ersten „Simpsons“-Folge gibt es nicht viele Quellen. Die nach wie vor wichtigste ist der Audiokommentar zu „Der Babysitter ist los“, veröffentlicht auf der offiziellen DVD zur ersten Serienstaffel. Der Kommentar war die Hauptquelle dieses Artikels.



    Zum Abschluss dieser Reportage stellen wir noch einige besonders „interessante“ Frames aus der unausgestrahlten Pilot-Episode vor:

    Spoiler
    Anhang 23599
    Wir wussten ja schon immer, dass die Simpsons eine etwas verschrobene Familie sind, aber die Küche steckt ja voller Perspektivenfehler!

    Anhang 23600
    Off-Model-Animation verleiht dem Zeichentrick oft erst die nötige Ausdrucksstärke (und ist das, was den „Simpsons“-Folgen der letzten Jahre völlig abhanden gekommen ist), die Pilotfolge hat damit aber eindeutig übertrieben.

    Anhang 23601
    Dieses Standbild mag ganz in Ordnung aussehen, in der überarbeiteten Fassung ist es aber ebenfalls ein Unterschied wie Tag und Nacht.

    Anhang 23602
    Dieser visuelle Gag mag zu alten Zeichentrickfilmen passen – aber eindeutig nicht zum Stil von „Die Simpsons“!


    Geändert von Tobias (16.12.2019 um 19:55 Uhr)
    וַיַּעֲבֹ֨ר יְהוָ֥ה׀ עַל־פָּנָיו֮ וַיִּקְרָא֒ יְהוָ֣ה׀ יְהוָ֔ה אֵ֥ל רַח֖וּם וְחַנּ֑וּן אֶ֥רֶךְ אַפַּ֖יִם וְרַב־חֶ֥סֶד וֶאֱמֶֽת׃
    נֹצֵ֥ר חֶ֨סֶד֙ לָאֲלָפִ֔ים נֹשֵׂ֥א עָוֹ֛ן וָפֶ֖שַׁע וְחַטָּאָ֑ה

    „Der HERR ging vor seinem Angesicht vorüber und rief: Der HERR ist der HERR, ein barmherziger und gnädiger Gott, langsam zum Zorn und reich an Huld und Treue. Er bewahrt tausend Generationen Huld, nimmt Schuld, Frevel und Sünde weg“ (Ex 34,6–7a)

  4. #4
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    Und als Bonus noch ein paar Standbilder:

    Spoiler

    8.jpg
    Der erste Auftritt des Atomkraftwerks, der jeglicher Perspektive und Ästhetik entbehrt.

    9.jpg
    Der Telefonhörer ist zu groß – auch dieses Detail wurde für die Neuproduktion korrigiert.

    10.jpg
    Dies ist ein weiteres Beispiel für eine Szene, bei der im Rahmen der Neuproduktion nur der Hintergrund neugestaltet wurde. Die Animation der Figuren wurde beibehalten – obwohl die Reflexion im Spiegel gar keinen Sinn ergibt.

    12.jpg
    Was ist bloß mit Homer los?

    13.jpg
    Dieses Bild scheint die Reaktion der Produzenten auf das erste „Simpsons“-Animationsmaterial zu antizipieren. Selbst die Schreianimation sieht in der neuen Fassung um Welten besser und „Simpsons“-typischer aus.
    וַיַּעֲבֹ֨ר יְהוָ֥ה׀ עַל־פָּנָיו֮ וַיִּקְרָא֒ יְהוָ֣ה׀ יְהוָ֔ה אֵ֥ל רַח֖וּם וְחַנּ֑וּן אֶ֥רֶךְ אַפַּ֖יִם וְרַב־חֶ֥סֶד וֶאֱמֶֽת׃
    נֹצֵ֥ר חֶ֨סֶד֙ לָאֲלָפִ֔ים נֹשֵׂ֥א עָוֹ֛ן וָפֶ֖שַׁע וְחַטָּאָ֑ה

    „Der HERR ging vor seinem Angesicht vorüber und rief: Der HERR ist der HERR, ein barmherziger und gnädiger Gott, langsam zum Zorn und reich an Huld und Treue. Er bewahrt tausend Generationen Huld, nimmt Schuld, Frevel und Sünde weg“ (Ex 34,6–7a)

  5. #5

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    Ähm.. selbst geschrieben ? Wenn Ja, großen Respekt, aber durchlesen würde ich mir das nicht

  6. #6
    Avatar von Tobias
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    Vielen Dank für deinen äußerst konstruktiven Beitrag. Da fehlen einem (wie so oft hier im Forum) echt die Worte.
    וַיַּעֲבֹ֨ר יְהוָ֥ה׀ עַל־פָּנָיו֮ וַיִּקְרָא֒ יְהוָ֣ה׀ יְהוָ֔ה אֵ֥ל רַח֖וּם וְחַנּ֑וּן אֶ֥רֶךְ אַפַּ֖יִם וְרַב־חֶ֥סֶד וֶאֱמֶֽת׃
    נֹצֵ֥ר חֶ֨סֶד֙ לָאֲלָפִ֔ים נֹשֵׂ֥א עָוֹ֛ן וָפֶ֖שַׁע וְחַטָּאָ֑ה

    „Der HERR ging vor seinem Angesicht vorüber und rief: Der HERR ist der HERR, ein barmherziger und gnädiger Gott, langsam zum Zorn und reich an Huld und Treue. Er bewahrt tausend Generationen Huld, nimmt Schuld, Frevel und Sünde weg“ (Ex 34,6–7a)

  7. #7
    Avatar von SasukeTheRipper
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    Als Fan der Simpsons, der immer mal wieder einschaltet, interessiert mich der Text und ich werde ihn mir nachher mal in Ruhe durchlesen

  8. #8
    Avatar von Daniel
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    Hab früher (bis so Staffel 11-12) alle Folgen gesehen. Aber dass die Serie ganz anders anfangen sollte, ist mir jetzt neu!

  9. #9

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    Zitat Zitat von Tobias Beitrag anzeigen
    Vielen Dank für deinen äußerst konstruktiven Beitrag. Da fehlen einem (wie so oft hier im Forum) echt die Worte.
    Und meine Frage hast du trotzdem nicht beantwortet.

  10. #10
    Avatar von Shiek
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    Zitat Zitat von xzarrus Beitrag anzeigen
    Und meine Frage hast du trotzdem nicht beantwortet.
    Und du den Text nicht gelesen. Die Reaktion von Tobias ist da nicht verwunderlich.

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