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Xenoblade Chronicles

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Xenoblade Chronicles: Die Entstehung von Nintendos Rollenspiel-Epos, Teil 1: Eine Welt erschaffen

Diesen Juni mag „Xenoblade Chronicles“ seinen zehnten Geburtstag feiern, doch dass der moderne Rollenspiel-Klassiker aus dem Hause Nintendo derzeit in aller Munde ist, liegt zuvorderst an der Veröffentlichung der überarbeiteten und erweiterten „Definitive Edition“ für Nintendo Switch. Dass das Rollenspiel mit seiner ebenso außergewöhnlichen wie gigantischen offenen Spielwelt und der breiten Handlung heute noch Spieler für hunderte von Stunden in seinen Bann zu ziehen vermag, lässt erahnen, was für einen Meilenstein das Monolith-Soft-Spiel anno 2010 für den Spielekatalog der als Casual-Konsole abgestempelten und obendrein technisch schwachen Wii dargestellt haben muss. Die Geschichte hinter „Xenoblade Chronicles“ erzählen wir euch heute in „Inside Nintendo“.

Einem umfangreichen Videospiel ist eine umfangreiche Hintergrundreportage nur angemessen, und so ist auch dieser Artikel als Dreiteiler konzipiert. In diesem ersten Teil gehen wir vor allem darauf ein, wie die Grundlagen des Projekts festgelegt wurden, wie die Entwicklung begann und ablief und wie der heimliche Protagonist von „Xenoblade“, nämlich die Spielwelt, entstand. Sodann wird im folgenden zweiten Teil die Entstehung der Handlung im Fokus stehen, wobei wir aufzeigen werden, inwiefern „Xenoblade“ eine Art Paradigmenwechsel für das Genre der japanischen Rollenspiele bedeutete. In Teil 3 werfen wir dann einen Blick auf die Musik, den Weg von der Ankündigung bis zum Erfolg im Westen sowie die nunmehr zwei Remakes des Rollenspiel-Epos.

Die Spielwelt hatte bei der Entstehung von „Xenoblade Chronicles“ oberste Priorität. Damit grenzt sich der Titel entschieden von Monolith Softs früheren Rollenspielen ab, knüpft in gewisser Weise aber auch an diese an: Takahashi zufolge wird die gesamte „Xeno“-Reihe durch das übergreifende Thema der Erschaffung der Welt zusammengehalten.

Im Anfang war die Spielwelt

Sei es die für Nintendo-Verhältnisse äußerst umfangreiche, vielschichtige und komplexe Handlung mit ihren zahlreichen Charakteren; das an die Glanzzeiten des Rollenspiel-Genres anknüpfende und doch zeitgemäß wirkende Spielprinzip, das die Grenzen zwischen westlichen und japanischen Rollenspielen durchbrach; oder der facettenreiche und atmosphärische Soundtrack – „Xenoblade Chronicles“ zeichnet sich durch mehrere Aspekte aus. Das größte Novum des Spiels, gleichsam sein stabilstes Fundament stellt aber wohl die Spielwelt dar, die nicht nur gewaltige Ausmaße hat und durch abwechslungsreiche und ausladende Gebiete zum Erkunden einlädt, sondern auch ein einzigartiges Setting bietet, ist sie doch auf den leblos scheinenden Körpern zweier gigantischer Titanen angesiedelt.

„Wir wollten einfach, dass die Spieler diese Welt erkunden“, erzählte „Xenoblade“-Schöpfer Tetsuya Takahashi, der vom vierten bis sechsten Teil an der „Final Fantasy“-Reihe beteiligt war und in Rollenspielkreisen für „Xenogears“ und „Xenosaga“ bekannt ist. „Das bedeutete uns in gewisser Weise alles.“ Angesichts dessen überrascht es nicht, dass die neuartige Spielwelt auch Ausgangspunkt der Entwicklung von „Xenoblade Chronicles“ war. Dies war für beide am Spiel zusammenarbeitenden Unternehmen ein ungewohntes Vorgehen: Nintendo beginnt bei der Entwicklung neuer Spiele üblicherweise mit dem Spielprinzip und denkt noch gar nicht an die Spielwelt, während das Partnerstudio Monolith Soft und sein kreativer Kopf Takahashi zuvor ihr Augenmerk meist erst auf die Handlung gelegt hatten.

Ein Konzept mit Hand und Fuß

Alles begann im Juli 2006, als Takahashi einen spontanen Einfall zu einer neuartigen Spielwelt hatte. „Ich war nach einer Konferenz auf dem Weg zurück in mein Büro“, sagte der ehemalige Mitarbeiter der Rollenspiel-Schmiede Square, „und als ich im Zug saß, kam mir die Idee, dass es sehr interessant wäre, wenn ein ganzes Volk auf den riesigen Körpern einer Art von Göttern leben würde.“ Sogleich stellte Takahashi in den Büros des von ihm mitgegründeten Studios Monolith Soft seine Idee den Kollegen vor. „Sie fanden das alle interessant“, so Takahashi.

Da er seine Idee schwierig in Worte zu fassen fand, bat Takahashi seinen Kollegen Yasuyuki Honne, Chefentwickler der „Baten Kaitos“-Rollenspiele, die ihm vorschwebenden Titanen als Tonfiguren zu gestalten. An diesen konnte Takahashi dann veranschaulichen, was genau er mit einer auf riesigen Körpern angesiedelten Spielwelt meinte. „Wenn zum Beispiel das Bein des Gottes ausgestreckt war, konnte es als Ebene dienen“, erklärte er, „oder der Bereich des Rückens, der von der Sonne beschienen wird, konnte ein Dschungel sein. Im Gegenzug konnte der der Sonne abgewandte Bereich eine Arktis darstellen, und so weiter …“ Darüber hinaus würde die prinzipiell bekannte Struktur Spielern die Orientierung in einer für sie unbekannten Spielwelt erleichtern.

Diese Modelle von Bionis und Mechonis, im Juli 2006 von „Baten Kaitos“-Projektleiter Yasuyuki Honne angefertigt, stellten den Ausgangspunkt der Entstehung von „Xenoblade Chronicles“ dar. Takahashi hat mit ihrer Hilfe seine Vorstellung der Spielwelt veranschaulicht.

Vom Kampf zwischen Mensch und Maschine

„Ich erinnere mich, wie ich kurz Mr. Honne sah, als er die Modelle erstellte, und dachte: ‚Was macht der denn da für eine Schweinerei!?‘“, erzählte Koh Kojima, der später die Projektleitung von „Xenoblade“ übernehmen sollte. „Und ich war nicht der Einzige, der das dachte!“ Für eine ambitionierte neue Idee war damals nicht der richtige Zeitpunkt, denn Monolith Soft steckte mitten in den Arbeiten an „Disaster: Day of Crisis“, dem ersten in enger Zusammenarbeit mit Nintendo entwickelten Spiel. Der Actiontitel sollte eigentlich zum Marktstart der Wii fertiggestellt sein, wurde aber erst mit gut zwei Jahren Verspätung veröffentlicht – was zum Teil am für das Studio ungewohnten Genre lag.

Da Takahashi an „Disaster“ nicht beteiligt war, konnte er seinen Ideen freien Lauf lassen. Von seinem Konzept der Spielwelt war er so überzeugt, dass er es – noch vor allen Überlegungen zur Handlung – zum Fundament seines nächsten Spiels erkor. Unabhängig von der Spielwelt schwebte ihm aber auch bereits eine Idee für eine neue Handlung vor. Seine Geschichten basieren oft auf dem Kampf zwischen zwei verschiedenen Parteien, und so ersann er eine Handlung über zwei Arten von Lebewesen, die die zwei Titanen-Welten Bionis und Mechonis bevölkern. „Ich dachte an eine Geschichte über Menschen und Maschinen“, sagte Takahashi.

Das Rätsel der Romantik

Damals stand Nintendo kurz davor, Monolith Soft vom bisherigen Eigentümer Namco abzukaufen, sodass auch Takahashis Projekt in Zusammenarbeit mit Nintendo entstehen würde. Daher wurde Takahashi bei Shinji Hatano vorstellig, dem Leiter der Abteilungen für Marketing und Lizenzierung bei Nintendo, der zudem eine wichtige Rolle bei der Akquisition des Studios spielte. Takahashi zufolge erklärte ihm der 1942 geborene Nintendo-Manager, „dass wir nur Spiele produzieren sollten, die unserem eigenen, einzigartigen Stil entsprechen.“ Im Klartext bedeutete dies, dass Nintendo bereit war, Takahashis Konzept zusammen mit Monolith Soft zu verwirklichen, wenn sich das Partnerstudio dabei auch seiner eigenen Ideale treu blieb.

Doch Hatano machte noch eine weitere Vorgabe: Er sagte, so Takahashi, „dass wir der Romantik immer große Bedeutung beimessen sollten.“ Was damit gemeint war, sollten die Entwickler selbst herausfinden. Der damalige Nintendo-Präsident Satoru Iwata hatte seine ganz eigene Deutung: „Meiner Meinung nach bedeutet dies, dass Sie einen Titel erschaffen sollten, in dem die Handlung und die Welt des Spiels bei vielen Leuten eine Saite zum Klingen bringen und sie inspirieren würde.“ Die gleiche Anweisung hatte Hatano übrigens auch einem ganz ähnlichen Projekt mit auf den Weg gegeben: dem ebenfalls Wii-exklusiven Rollenspiel „The Last Story“, das unter der Ägide des „Final Fantasy“-Schöpfers Hironobu Sakaguchi, eines weiteren Square-Veteranen, entstand.

Tetsuya Takahashi, der kreative Kopf hinter „Xenoblade Chronicles“, und Nintendo-Produzent Hitoshi Yamagami, der darauf insistierte, das Projekt ganz zu Ende zu bringen. „Ich dachte: ‚Da gibt es jetzt keinen Ausweg mehr …‘“, erinnerte sich Projektleiter Koh Kojima an diese Entscheidung zurück. „Ehrlich gesagt, war es schon ganz schön hart, dem bereits erschöpften Entwicklungsteam sagen zu müssen, es müsste nun noch tiefer einsteigen und die Sache bis zu Ende führen.“

Projektpräsentation beim Produzenten

Als nächstes wurde Takahashis Projektentwurf Hitoshi Yamagami vorgestellt, einem Produzenten bei der Nintendo-Abteilung Software Planning & Development (SPD), die damals für die Zusammenarbeit mit externen Spieleentwicklern zuständig war „Der Geschäftsführer von Monolith Soft, Mr. [Hirohide] Sugiura, sagte mir, sie hätten ein neues Projekt in der Pipeline“, erinnerte sich Yamagami, der auch als Produzent von „Disaster“ fungiert hatte, zurück. „Und bevor ich mich versah, wurde mir das Modell gezeigt.“

Yamagami meinte die von Honne erstellten Titanen-Tonfiguren. Diese beeindruckten ihn sehr und er ging davon aus, dass sich Monolith Soft auch bereits Gedanken über die Grundlagen des Spiels gemacht habe. Als jedoch herauskam, dass abseits dieser Modelle de facto noch nichts in Stein gemeißelt war, war Yamagami „zunächst etwas bestürzt“. Nach wie vor aber sah er großes Potenzial, wie Nintendo-Chef Iwata bezeugte: „Natürlich kam Mr. Yamagami sofort danach zur mir und sprach mit einer seltsamen Leidenschaft über dieses Projekt, bei dem doch fast noch gar nichts entschieden war.“

Die Entwicklungsphase beginnt

Dass Takahashi noch nicht viel Handfestes vorweisen konnte, war dem Umstand geschuldet, dass Monolith Soft noch ganz von der Entwicklung von „Disaster“ in Anspruch genommen war. Erst im April 2007 ging die Entstehung des späteren „Xenoblade“ so richtig los – obwohl „Disaster“ da immer noch nicht fertiggestellt war. Zu diesem Zweck stießen zwei Projektleiter hinzu: Koh Kojima von Monolith Soft, der mit „Xenoblade“ sein Debüt als Director gab, und Genki Yokota von Nintendo, der später auch bei mehreren „Fire Emblem“-Spielen Regie führte. Takahashi indes behielt als ausführender Director – eine sehr ungewöhnliche Rollenbezeichnung – die Oberaufsicht.

Was das Spielkonzept anbelangte, entschied sich Monolith Soft dafür, eher konventionelle Pfade zu beschreiten. „Unser Ansatz war in dieser Hinsicht schlicht und schuf eine etwas orthodoxe Erfahrung“, formulierte Takahashi. So verzichtet „Xenoblade“, obwohl von Grund auf für die innovative Wii-Konsole entwickelt, gänzlich auf Bewegungssteuerung. Hinsichtlich des Spielkonzepts versuchte das Studio, Elemente aus japanischen und westlichen Rollenspielen zu kombinieren. „‚Xenoblade Chronicles‘ vereint liebevoll Elemente aus beiden“, so Takahashi – was genau dies bedeutet, darauf werden wir in Teil 2 näher eingehen.

Koh Kojima von Monolith Soft und Genki Yokota von Nintendo teilten sich den Posten des Projektleiters. Yokota ist laut seinem Chef Yamagami ein „richtiger RPG-Experte“ und bezeichnete sich selbst als Fan von „Xenogears“ und „Xenosaga“: „Also dachte ich: ‚Endlich begegne ich mal Mr. Takahashi!‘ […] Ich fand es unglaublich aufregend, dabei sein zu dürfen, als besprochen wurde, wie es weitergehen sollte.“

Wie Handlung und Spielwelt das Kampfsystem formen

Schon früh stand fest, dass Shulk, der Held des Spiels, Visionen über zukünftige Ereignisse der Handlung empfangen sollte. Diese Idee sollte dann, um ludonarrative Dissonanzen zu vermeiden, auch im Spielprinzip Niederschlag finden. Da es wenig interessant geworden wäre, wenn der Protagonist in Kämpfen alle Ereignisse einfach vorhersehen könnte, mussten Takahashi und sein Team viel abwägen und ausprobieren. Vor allem schien ein rundenbasiertes Kampfsystem, wie es in Rollenspielen klassischer Machart Usus ist, wenig gangbar. Er habe damit experimentiert, ein solches Kampfsystem mit der Visionsgabe der Spielfigur zu vereinen, äußerte Takahashi: „Es hat aber nicht sehr gut geklappt.“

Für das Echtzeitkampfsystem optierten die Entwickler also zugunsten der Visionsfähigkeit von Protagonist Shulk. Außerdem sollten die Kämpfe nahtlos in den Spielablauf eingebunden sein und übergangslos in der regulären Spielwelt stattfinden, sodass sich der Spieler besser vertiefen kann. Die enge Symbiose zwischen Spielwelt und Kampfsystem kommt auch darin zum Ausdruck, dass die meisten tierischen Gegner in „Xenoblade“ Bewohner und damit natürlicher Bestandteil der Spielwelt sind. Manche Gegner fristen sogar friedlich ihr Dasein und greifen die Spielfiguren nicht von sich aus an – eine erfrischende Abwechslung etwa im Vergleich zu den Zufallskämpfen der „Pokémon“-Reihe.

Ein Prototyp als Fundament

Dass sich die Entwicklungsphilosophien von Nintendo und Monolith Soft in einigen Punkten diametral gegenüberstehen, war für die Zusammenarbeit an „Xenoblade Chronicles“ sowohl gewinnbringend wie auch herausfordernd. Wie schon eingangs erwähnt, beginnt Nintendo seine eigenen Projekte meist mit groben Prototypen der zentralen Spielmechanik. Dadurch kann der Konzern besser abschätzen, wie lange der Entwicklungsprozess andauern und wie ungefähr das Endergebnis aussehen wird. „Also bat ich Monolith Soft darum, etwas in ungefähr der gleichen Qualität herzustellen wie das Endprodukt, auch wenn es nur ein einziges Kapitel war“, sagte Produzent Yamagami.

Mit anderen Worten sollte Monolith Soft also nun, da die Grundlagen des Projekts feststanden, eine Art Demoversion des Spiels anfertigen. Was zunächst für das Studio ein ungewöhnliches Vorgehen war, sollte sich letztlich doch auszahlen, da dieser erste Prototyp sicherstellte, dass Monolith Soft und Nintendo eine gemeinsame Vorstellung des Spiels als Basis und Vision für die weiteren Arbeiten erhielten. Das Team hatte nun ein konkretes Ziel vor Augen, auf das es die Entwicklung des gesamten Spiels hinführen sollte.

Dieses Artwork von Mechonis stammt aus dem offiziellen Artbook zum Spiel.

Nintendo pocht auf Projektverschiebung

Nachdem so im Anschluss an die ersten Planungen im April 2007 die Entwicklung von „Xenoblade Chronicles“ voll durchgestartet war, kam das Spiel Mitte 2010 in Japan auf den Markt – nach etwa drei Jahren Entwicklung. „Ursprünglich hatten wir geplant, die Arbeiten zu ‚Xenoblade Chronicles‘ viel früher abzuschließen“, erzählte Takahashi. „Aber als wir erst einmal angefangen hatten, stießen wir auf viele Schwierigkeiten und bekamen Probleme mit der Entwicklung.“ Er befürchtete, den intern angepeilten Termin nicht einhalten zu können, wenn alle geplanten Inhalte tatsächlich umgesetzt werden sollten.

„Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich an einer Vielzahl von Spielen mitgearbeitet, und es gab Zeiten, zu denen ich auch alles hinschmeißen wollte“, fuhr Takahashi fort. Dabei mag er vor allem an seine „Xenosaga“-Reihe gedacht haben, die, als breite sechsteilige Rollenspiel-Saga geplant, auf bloß drei Veröffentlichungen gekürzt werden musste. „Daher konnte ich dieses Mal für mich akzeptieren, dass ich nicht alles erreichen würde, was ich mir vorgenommen hatte.“ Takahashi stellte sich also innerlich bereits darauf ein, Teile seiner Vision von „Xenoblade“ aufgeben zu müssen, und wandte sich damit an seinen Nintendo-Produzenten Yamagami.

Yamagami aber entgegnete Takahashi, dass dieser das Problem mit den Fristen und Terminen einfach ihm überlassen solle. „‚Sehen Sie mal, jetzt sind Sie schon so weit gekommen‘“, zitierte Takahashi den Nintendo-Produzenten. „‚Jetzt sollten Sie das Projekt auch zu Ende führen. Ich werde die anderen Leute in der Firma schon überzeugen.‘“ Dass Nintendo Monolith Soft ermutigte, das Spiel zu verschieben, um es wie vorgesehen fertigstellen zu können, machte großen Eindruck auf Takahashi. Wie genau „Xenoblade“ ohne diese Entscheidung aussehen würde, können wir zwar nicht sagen – es wäre aber definitiv nicht dasselbe Spiel geworden.

Vom Schicksal einer Schulter

Dass Nintendo seinem neuen Partnerstudio zusätzliche Zeit zur Fertigstellung gewährt hat, bedeutet jedoch nicht, dass dieses gar keine geplanten Inhalte hätte verwerfen müssen. Denn bekanntlich hat es das mit Abstand größte Gebiet, das Monolith Soft für die Welt von „Xenoblade Chronicles“ entwarf, gar nicht in das fertige Produkt geschafft. Die Rede ist von der linken Schulter des Bionis, die nur kurz in zwei Filmszenen gegen Spielende zu sehen ist, aber nicht vom Spieler betreten werden kann. Offenbar sollte sie zwischen dem Makna-Wald und dem Eryth-Meer angesiedelt sein, was den etwas abrupten Übergang zwischen diesen Gebieten im fertigen Spiel erklären würde.

Da die linke Schulter des Bionis als unvollendete Spielkarte noch in den internen Programmdaten erhalten ist, blieb sie der Öffentlichkeit nicht ganz vorenthalten. Es handelt sich um ein gewaltiges Gebiet mit interessanten vertikalen Strukturen und Orten wie einem See, Höhlen, Dörfern und einer großen Stadt. Manche Teile der erhaltenen Fassung befinden sich noch in einem frühen Entstehungsstadium, andere sind bereits weit fortgeschritten. Da die linke Schulter des Bionis schon Mitte 2009 in Material zur Enthüllung des Spiels zu sehen gewesen war, muss sie erst später verworfen worden sein. Die Mühen der Entwickler waren jedenfalls nicht umsonst, denn in der vor Kurzem für Switch erschienenen „Definitive Edition“ ist die linke Schulter des Bionis in fertiggestellter und überarbeiteter Form im Rahmen eines neu hinzugefügten Epilogkapitels spielbar.

Die linke Schulter des Bionis auf einem offiziellen Screenshot von 2009. Zu sehen ist nur ein Bruchteil der gesamten Karte; sie ist schlicht zu groß, um sie auf einem einzigen Bild zu zeigen. Eine Übersicht über die ungenutzte Karte in der Wii-Version gibt dieses Video. In der „Definitive Edition“ des Spiels feiert die linke Schulter nun ihr großes Comeback.

Die Geheimnisse von Bionis und Mechonis

Die linke Schulter des Bionis ist nur die Spitze des Eisbergs dessen, was Hacker in den Dateien der Wii-Fassung von „Xenoblade Chronicles“ ausfindig machen konnten. In den Untiefen des Spielcodes schlummert noch ein zweites großes ungenutztes Gebiet, eine frühere Fassung des Gefallenen Arms. Außerdem lassen sich Hinweise auf zwei gestrichene Spielelemente finden: Ursprünglich sollten Bossgegner einzigartige Gegenstände fallen lassen und die Spielfiguren beim Einsatz von Spezialattacken kurze verzögernde Aufladeanimationen abspielen, wie es auch bei Gegnern der Fall ist. Darüber hinaus sollte das ohnehin schon für das Spiel charakteristische Kampfgeschrei wohl noch intensiver sein, da es zahlreiche verworfene Rufe für das Ableben einer verbündeten Spielfigur gibt.

Daneben umfassen die Funde unzählig viele ungenutzte Waffen, Gegner, Quests, Ausrüstungsteile, Items, Charaktermodelle, Texturen, Sprachclips, und, und, und. Allerdings sind nur die wenigsten dieser verworfenen Elemente an sich interessant – bei vielen handelt es sich schlicht um Test- oder Füllmaterial, Platzhalter oder Duplikate. Insgesamt aber gewähren sie interessante Einblicke in die Entstehung eines komplexen und umfangreichen Rollenspiels. Besonders viel scheint demnach im Laufe der Entwicklung am Beginn des Spiels, der Schlacht im Schwerttal, gefeilt worden zu sein – vielleicht war sie ja ursprünglich Bestandteil jenes frühen Prototyps, den Monolith Soft auf Nintendos Ratschlag hin angefertigt hatte?

Wir dürfen vorstellen: Dies ist Lambert, eine ungenutzte Test-Spielfigur aus den Spieldaten von „Xenoblade Chronicles“. Für eine umfassende kommentierte Auflistung solcher Funde verweisen wir auf The Cutting Room Floor.

Der Durchbruch der ersten Dekade

Das fertige „Xenoblade Chronicles“ ist sowohl für Nintendo als auch für Monolith Soft ein Meilenstein. Ein Nintendo-Spiel mit einer so breiten Handlung hatte es zuvor nicht gegeben, aber auch die schiere Größe der Spielwelt und der Umfang der Spielelemente beeindruckten die Spieler damals und auch noch heute. Stolz sprach Takahashi von dem größten Spiel, an dem er je gearbeitet habe, und zeigte sich mit der Entwicklung rückblickend sehr zufrieden: „Es war also zwar ein riesiges und herausforderndes Projekt, aber jetzt würde ich sogar sagen, dass ich noch nie an etwas gearbeitet habe, wo alles meiner Wahrnehmung nach so glatt gelaufen ist.“

Den reibungslosen Entstehungsprozess führt Takahashi vor allem darauf zurück, dass Monolith Soft inzwischen ein erfahrenes und eingespieltes Team war, dem er voll vertrauen konnte. „Alle Team-Mitglieder haben sich in ihren Arbeitsbereichen voll ins Zeug gelegt, und wir haben eine riesige Welt umsetzen können, die wir außerdem auch noch sehr detailliert gestaltet haben.“ War das Studio in Zeiten von „Xenosaga“ noch im Aufbau begriffen gewesen, stellte „Xenoblade“ nun gleichsam die Frucht der Erfahrungen und Mühen der ersten zehn Jahre von Monolith Soft dar. „Ich finde, das ist ein krönender Abschluss für unser erstes Jahrzehnt“, so Takahashi.

Zum Schluss ein kleines Schmankerl: Dieses Video gewährt verblüffende Einblicke darin, wie Monolith Soft die Spielwelten von „Xenoblade“ technisch umgesetzt hat. Wer hätte gedacht, dass die Spielkarten selbst jenseits der im Spiel sichtbaren Grenzen so gigantisch sind?
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Bisher gibt es vier Kommentare

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  • Avatar von mithos630
    mithos630 14.06.2020, 18:15
    Ja, einige Tracks sind richtig gut. Bei manchen ist es aber nun etwas zu viel. Vielleicht liegt es daran, dass man die normale Version jetzt schon 9 Jahre kennt...
  • Avatar von virus34
    virus34 14.06.2020, 13:33
    Zitat Zitat von Soren Beitrag anzeigen
    Du kannst unter den Optionen zwischen der neuen und alten Musik wechseln, wenn dir die originale mehr zusagt
    Wusste ich tatsächlich noch nicht, danke für die Info.
  • Avatar von Soren
    Soren 14.06.2020, 13:12
    Zitat Zitat von virus34 Beitrag anzeigen
    Schade das vor allem die Musik im Remake m.M.n. schwer gelitten hat.
    Du kannst unter den Optionen zwischen der neuen und alten Musik wechseln, wenn dir die originale mehr zusagt
  • Avatar von virus34
    virus34 14.06.2020, 12:36
    Dankeschön für den Bericht. Definitiv eines meiner Lieblingsspiele. Schade das vor allem die Musik im Remake m.M.n. schwer gelitten hat.