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Xenoblade Chronicles

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Xenoblade Chronicles: Die Entstehung von Nintendos Rollenspiel-Epos, Teil 2: Eine neue Art RPG

Im ersten Teil unserer Reportage zu „Xenoblade Chronicles“ ging es vor allem um die Entstehung der einzigartigen Spielwelt. Sie war Ausgangs- und Mittelpunkt der Entwicklung – ein für das Studio Monolith Soft damals ungewöhnliches Vorgehen, hatte es sich doch in seinen früheren „Xenosaga“-Spielen hauptsächlich auf die Erzählung komplexer Geschichten konzentriert. Anders nun bei „Xenoblade Chronicles“, wie auch der geistige Vater Tetsuya Takahashi sagte: „Wir haben diesen Titel mit der Absicht entwickelt, dass die Spieler darauf eine Menge Zeit verwenden und ganz und gar mit der Spielwelt verschmelzen.“ Wie und inwiefern bei diesem Projekt ein herausragender und wegweisender Vertreter der japanischen Rollenspiele herausgekommen ist, damit möchten wir uns nun näher befassen.

Dieses Artwork zeigt die Hauptfiguren aus „Xenoblade Chronicles“. „Was die weiblichen Charaktere des Spiels angeht, so haben wir wirklich versucht, ihnen sowohl von der männlichen als auch von der weiblichen Perspektive aus gesehen ein cooles Aussehen zu geben“, erklärte die am Skript beteiligte Yurie Hattori. „Ich hoffe, jedem gefallen die Stärke und der Stil der mächtigen Frauen, die an der Seite der Spieler kämpfen.“

Zwei ungleiche Freunde

Die Geschichte der Entstehung von „Xenoblade Chronicles“ ist auch die Geschichte einer gelingenden Zusammenarbeit zwischen zwei eigentlich sehr ungleichen Spieleunternehmen. Oder wie Nintendo-Präsident Satoru Iwata es formulierte: „Monolith Soft und Nintendo, zwei so unterschiedliche Firmen, haben mit vereinten Kräften an diesem Spiel gearbeitet, während sich zwei völlig unterschiedliche Teams ergänzten und das erreichten, was keine der Firmen allein vermocht hätte.“ Nintendo selbst hat intern nur sehr selten eigene Rollenspiele entwickelt, während Rollenspiel-Experte Monolith Soft dank der Kooperation mit Nintendo seine bisherigen Vorgehensweisen bei der Entwicklung überdenken musste.

„Das war ein ziemlicher Kulturschock“, meinte daher „Xenoblade“-Chefentwickler Tetsuya Takahashi über die Arbeit mit Nintendo. Diese Aussage wollte er aber als Kompliment verstanden haben: Nintendo bestand etwa darauf, das Spiel so wie geplant fertigzustellen, auch wenn damit eine Verschiebung des Veröffentlichungstermins einhergehen musste – das hatten wir schon im ersten Teil unserer Reportage gesehen. Darüber hinaus lässt sich im Vergleich zu Takahashis früheren Projekten von einem regelrechten Paradigmenwechsel sprechen, der schon mit der Handlung beginnt.

Der düstere Bruder von Final Fantasy VII

Wer „Xenoblade Chronicles“ schätzt – oder es im Rahmen der vor kurzem veröffentlichten „Definitive Edition“ gerade zu schätzen lernt –, der schätzt es wohl auch wegen seines interessanten Universums und der umfangreichen und tiefgreifenden Handlung. Im Vergleich zu Takahashis vier vorherigen „Xeno“-Spielen ist diese aber deutlich simpler gestrickt – wenn das unplausibel wirkt, so zeugt dies nur von der ungeheuren Komplexität jener Titel. Um zu verstehen, wie genau sich „Xenoblade“ von diesen abhebt, müssen wir ein wenig weiter zurückgehen.

Ursprünglich hatte Takahashi als Grafikdesigner bei Square gearbeitet und dort an den „Final Fantasy“-Teilen IV bis VI sowie an „Chrono Trigger“ mitgewirkt. Anschließend schrieb er mit seiner Frau Soraya Saga ein Skript für „Final Fantasy VII“, das aber abgelehnt wurde, da es für die Reihe zu düster und zu kompliziert sei. Daher entstand „Final Fantasy VII“, das zu einem der großen Rollenspiel-Meilensteine avancieren sollte, ohne Takahashis Beteiligung. Dieser erhielt indes von Square grünes Licht, sein Skript in einem eigenen Spiel zu verwirklichen. Das Resultat hört auf den Namen „Xenogears“ und wurde 1998 von Square für die PlayStation auf den Markt gebracht. Die Handlung des Science-Fiction-Rollenspiels zeichnet sich durch komplexe Motive und einen Handlungsspielraum von mehreren Jahrtausenden aus.

Mitglieder des „Xenogears“-Entwicklerteams auf einem Foto von 1998; v.l.n.r.: Junya Ishigaki (Mechanical Design), Kunihiko Tanaka (Character Design), Tetsuya Takahashi (Director/Scenario Writer), Hiroshi Uchiyama (Battle Gear Modeling), Yasuyuki Honne (Art Director), Yoshinori Ogura (Co-Mechanical Design). Mit Ausnahme von Ogura, der bei Square blieb und bis heute an „Final Fantasy“ mitwirkt, haben alle auch an späteren „Xeno“-Spielen gearbeitet (Bildquelle).

Aus sechs mach drei: Das unvollendete Epos

Nach der Veröffentlichung von „Xenogears“ trennte sich Takahashi jedoch von Square, um mit Unterstützung von Namco das Unternehmen Monolith Soft zu gründen. Mit seinem neuen Studio begann er unmittelbar die Arbeiten an einem geistigen Nachfolger beziehungsweise einer Neuinterpretation von „Xenogears“. Die insgesamt drei Spiele der „Xenosaga“-Reihe brachte Namco zwischen 2002 und 2006 für die PlayStation 2 heraus. Auf das komplexe Gemengelage an religiösen, philosophischen und psychologischen Themen, die Takahashi in diesen Geschichten oder besser gesagt Epen verarbeitet hat, weisen bereits die aus dem Werk des deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche (1844–1900) stammenden Titel der drei Spiele hin: „Der Wille zur Macht“, „Jenseits von Gut und Böse“ sowie „Also sprach Zarathustra“.

Die „Xenosaga“-Saga musste jedoch unvollendet bleiben: Takahashi hatte sie auf sechs Spiele angelegt, doch nach der dritten Episode war Schluss – unter anderem wegen der überschaubaren Verkaufszahlen und weil das gesamte Projekt einfach zu ambitioniert ausgefallen war. Daher musste innerhalb des dritten Teils ein Großteil der riesigen geplanten Handlung abgefrühstückt werden, womit aber sehr vieles von dem, was sich Takahashi hatte einfallen lassen, unverwirklicht blieb. Seitdem ist „Xenosaga“ nicht weiter fortgesetzt worden. Das stellte nicht nur für die Fans der Reihe eine große Enttäuschung dar, sondern auch für Takahashi.

Japanische Rollenspiele am Scheideweg

Im Juli 2006 erschien „Xenosaga Episode III“ in Japan – und noch im gleichen Monat kam Takahashi die grundlegende Idee zu „Xenoblade Chronicles“. Wenn er auch in Interviews diesen Zusammenhang nicht explizit gemacht hat, so ist doch evident, dass das neues Projekt stark von seinen früheren negativen Erfahrungen beeinflusst worden ist, zumal das Spiel nun nicht in Zusammenarbeit mit Namco, sondern mit Nintendo entstehen sollte. Takahashi wollte sich ganz bewusst von seinen früheren Werken abgrenzen.

Es festigte sich nämlich bei Takahashi und Monolith Soft die Einsicht, dass das Genre der japanischen Rollenspiele einen Umschwung benötige. „Die meisten unserer Rollenspiele haben ihren Hauptfokus auf Handlung und Zwischensequenzen gelegt“, erklärte Takahashi, „aber ich glaube, dieser Ansatz hat eine Sackgasse erreicht. Dieses Projekt [‚Xenoblade Chronicles‘] nahm seinen Anfang, weil wir zum Wesentlichen zurückkehren wollten – wir wollten einfach ein spaßiges Abenteuer erschaffen.“ Wenn sich Spieler über zu wenig Innovation im Genre beklagen, fuhr er fort, dann könne das darauf hinweisen, dass diese Art von Spielen altere und absterbe. „Jedoch glauben wir nicht, dass Rollenspiele schon tot sind.“

Screenshots aus „Xenogears“ (links) und „Xenosaga Episode I: Der Wille zur Macht“ (rechts). Vor dem Hintergrund der Geschichte hinter diesen Spielen wird deutlich, was es für Takahashi bedeutet haben muss, als Nintendo ihn zur vollständigen Verwirklichung seines neuen Projekts ermutigte. „Xenoblade“ war in diesem Sinne sein erstes wirklich fertiggestelltes Projekt!

Ein Team im Regiestuhl

Um dem Genre der japanischen Rollenspiele frischen Wind einzuhauchen, ging Takahashi anders an die Entwicklung heran. In seinen früheren Projekten hatte er vor allem seinen eigenen Geschmack verwirklicht und wenig darauf geachtet, wie das Spiel auf andere wirken würde. Bei „Xenoblade“ hingegen ging es ihm weniger darum, sich selbst auszudrücken, sodass das Universum und die Handlung von „Xenoblade“ viel stärker als in früheren „Xeno“-Spielen das Ergebnis der Arbeit eines großen Teams sind. Viele Mitarbeiter steuerten ihre Ideen bei, was aber keineswegs bedeutet, dass Takahashi seine kreative Vision auf dem Altar der Zugänglichkeit und des Teamwork geopfert hätte.

Dies ist bereits in der Besetzung der Projektleitung evident: Während Takahashi offiziell den Titel des „Executive Director“ führte und so etwas wie das Mastermind hinter Spielinhalten und insbesondere der Handlung war, lag die Regie in den Händen von Koh Kojima von Monolith Soft und Genki Yokota von Nintendo. Kojima, der sein Debüt als Director gab, war zuvor Quest- und Kampfdesigner gewesen – schon seine Wahl als einer der Projektleiter zeigt an, dass diesmal der interaktive Spielinhalt stärker im Vordergrund stehen sollte.

Anspruchsvoll, aber nicht überfordernd

Besonders gut lässt sich die Kreativarbeit im Team anhand der Handlung veranschalichen. Sie mag in ihren wesentlichen Grundzügen aus Takahashis Feder stammen, entstand aber in enger Zusammenarbeit mit Anime-Autor Yuichiro Takeda. „In der Vorbereitungsphase habe ich ihm die Grundlagen des Konzepts erklärt und wir haben uns auf einen bestimmten Ansatz geeinigt“, beschrieb Takahashi die Entstehung der Handlung von „Xenoblade Chronicles“. „Dann haben wir auf dieser Basis weitere Gespräche darüber geführt, bei denen es immer hin und her ging, als ob wir uns einen Ball zugeworfen hätten.“ Takahashi und Takeda holten auch Vorschläge und Rückmeldungen des gesamten Entwicklerteams von Monolith Soft ein, um diese in ihren Handlungsverlauf unterzubringen.

Bereits in einer zentralen Grundausrichtung hebt sich die Handlung von jener der früheren „Xeno“-Spiele ab. Erzählten diese komplex-verworrene Geschichten mit anspruchsvollen Themen, sollte sich „Xenoblade“ hinsichtlich seiner Handlung eher wie ein Anime anfühlen. Darunter verstand Monolith Soft einen eher klassischen und mit vielen Wendungen gespickten Verlauf. „Die Handlung ist also von Anfang an ziemlich weit hergeholt“, sagte Kojima. Das heißt natürlich nicht, dass diesmal keine interessante und tiefgründige Geschichte erzählt würde – schon der Name des Monado, des für die Geschichte zentralen Schwertes, geht auf einen schwierigen philosophischen Begriff zurück. „Xenoblade“ versucht die Spieler aber nicht mit allzu ausufernden Erzählsträngen zu überfordern.

Die drei Verantwortlichen für Handlung und Skript von „Xenoblade Chronicles“, v.l.n.r.: Auf Executive Director Tetsuya Takahashi geht das Grundkonzept zurück; Anime-Autor Yuichiro Takeda freute sich bei seinem Videospiel-Debüt über wegfallende Zeitbegrenzungen („Es ist sehr schön, wenn man als Skript-Autor mal ganz nach Herzenslust schreiben kann“); Yurie Hattori von Nintendo begutachtete und überarbeitete das, was Takahashi und Takeda hervorbrachten.

Eine Redakteurin für die Handlung

Nintendo war es bei der Entstehung des Spiels ein wichtiges Anliegen, dass die Handlung für die Spieler auch tatsächlich verständlich bleibt. Dazu wurde Yurie Hattori von Nintendo Software Planning & Development, die Projektleiterin der „Style Botique“-Spiele, als eine Art Redakteurin in das Entwicklerteam aufgenommen. Sie war besonders darauf bedacht, die Handlung aus der Perspektive eines unvoreingenommenen Spielers zu begutachten und sicherzustellen, dass das Universum, das sich Takahashi und Takeda ausgedacht hatten, auch wirklich verständlich und nachvollziehbar wirkt.

Wo für Hattori unklar blieb, worauf Takahashi hinauswollte, drängte sie zur Überarbeitung. „Ein typisches Beispiel dafür ist das Ende des Spiels“, erzählte Takahashi. „Zuerst hatten wir ein eher erklärendes Ende gewählt. Aber sie [Hattori] sagte uns, dass sie das Ende selbst mit dieser Erklärung nicht richtig verstehen konnte.“ Ein weiteres wichtiges Anliegen war es den Entwicklern übrigens, den Protagonisten des Spiels „zu einem Helden zu machen, ‚den man nicht hassen kann‘“, wie Takahashi sagte.

Shulk gegen Reyn: Ein alternativer Handlungsentwurf

Insgesamt dauerte es etwa ein Jahr, bis die Handlung von „Xenoblade“ fertiggestellt war. „Nintendo sind wirklich sehr viele Dinge aufgefallen“, berichtete Takahashi von der Überarbeitungsphase. So ist das finale Skript das Resultat intensiver Besprechungen und hilfreicher Rückmeldungen mehrerer Mitwirkender. „Wenn ich mir jetzt die fertige Handlung ansehe, kann ich wirklich nicht mehr unterscheiden, wo meine Ideen aufhören und die von anderen Leuten anfangen“, sagte Co-Autor Takeda. Im Laufe dieses Prozesses hat sich die Handlung laut Takahashi in so vielen Punkt verändert, dass selbst er sich nicht mehr an alle Änderungen erinnern können. „Die Gesamtstruktur der Handlung ist aber währenddessen dieselbe geblieben“, beteuerte er.

Takeda gab ein konkretes Beispiel für eine verworfene Handlungsidee. Er habe es für interessant gehalten, wenn sich ein treuer Begleiter des Helden am Ende als Gegner entpuppen würde. Darauf basierte ein sehr früher Handlungsentwurf, in dem Shulks bester Freund Reyn in die Vergangenheit reist, um ein furchtbares Ereignis in der Zukunft abzuwenden. Weil dadurch aber noch größeres Unheil angerichtet zu werden droht, stellt sich Shulk dagegen. Schließlich sollten die beiden jeweils die Kräfte der Titanen Bionis und Mechonis erhalten und darum kämpfen, wer von ihnen die Zukunft bestimmen dürfe. Dieser komplett andere Handlungsentwurf wurde jedoch sehr früh verworfen und war vermutlich auch kaum ausgearbeitet worden.

Diese Storyboards aus der Entwicklungsphase von „Xenoblade Chronicles“ stammen aus den internen Spieldaten. Zahlreiche weitere Storyboards wurden im offiziellen Artbook zum Spiel veröffentlicht.

Wiedergefundene Balance

Nicht nur sollte die Handlung in sich stimmig und nachvollziehbar sein, sie sollte auch in einem ausgewogenen Verhältnis zum interaktiven Spielinhalt stehen. In „Xenoblade“ kommt ihr die eher untergeordnete Rolle zu, das Erkunden der Welt zu strukturieren und zu motivieren. In gewissem Sinne ist daher der eigentliche Protagonist die faszinierende offene Spielwelt. Gezählt waren damit die Zeiten von Takahashis früheren Werken, die mitunter regelrecht zu nicht-interaktiven Filmen ausgeartet waren.

Was die Spielmechaniken betraf, so wurden typisch japanische mit eher westlichen Rollenspiel-Designelementen verknüpft. „Xenoblade“ weist daher vor allem in seinen Quest- und Kampfsystemen starke Anleihen an das besonders von „World of Warcraft“ geprägte Online-Rollenspiel-Genre (MMORPG) auf. Auch die übergangslosen und dynamischen Echtzeit-Kämpfe in der offenen Spielwelt grenzen den Titel von vielen typischen japanischen Rollenspielen ab.

Warum wurde aus Monado Xenoblade?

Nach Ansicht vieler Kritiker hauchte „Xenoblade“ gerade dadurch dem Genre frischen Wind ein, dass es sich von manchen zur Tradition gewordenen schlechten Angewohnheiten japanischer Rollenspiele verabschiedete, wie wir es anhand des Vergleichs mit Takahashis vorherigen Projekten illustriert haben. Die bewussten Brüche waren so groß, dass „Xenoblade“ ursprünglich nicht einmal eine namentliche Verbindung zur „Xeno“-Reihe hatte. Als nämlich Nintendo das Spiel Mitte 2009 still und heimlich ankündigt hatte – dazu mehr in Teil 3 –, trug es noch den Titel „Monado: Beginning of the World“. Erst Anfang 2010 erhielt das Spiel den finalen Titel „Xenoblade“, welcher eingefleischte Fans einen neuen „Xenosaga“-Teil erwarten ließ.

Die genauen Gründe für die Umbenennung sind unklar, denn damals betonte Takahashi, dass Welt und Handlung von „Xenoblade“ in keinerlei Verbindung zu den früheren „Xeno“-Spielen stünden. Die häufige Behauptung, Nintendo habe das Spiel zu Ehren Takahashis umbenannt, beruht auf einer Fehlübersetzung, während die naheliegende Erklärung, dass der bekanntere Markenname aus verkaufstechnischen Gründen gewählt worden sei, angesichts der Umstände nicht ganz überzeugen kann. „Ich wollte so etwas wie einen gemeinsamen Bezugspunkt aller meiner Spiele haben“ ist alles, was Takahashi zur Umbenennung von „Monado“ in „Xenoblade“ mitgeteilt hat.

Links: Ein vorläufiges „Logo“ aus der Zeit vor dem Namenswechsel, das innerhalb der Dateien des finalen „Xenoblade“ gefunden wurde. Die Schrift im Hintergrund bedeutet „temporär“ oder „vorläufig“. Rechts: Das offizielle Logo von „Monado“ zur Zeit der E3 2009.

Rollenspiel ohne Niveau und Anspruch?

Natürlich hat „Xenoblade“ trotz aller Diskontinuitäten noch viel mit „Xenogears“ und „Xenosaga“ gemeinsam. Man mag denken, die einzelnen Sagen des „Xeno“-Franchise verhielten sich zueinander wie die Spiele der „Final Fantasy“-Reihe, doch eine genauere Betrachtung, insbesondere aber die Meinung hartgesottener „Xeno“-Fans straft diesen oberflächlichen Blick Lügen. Ein solcher Fan bezeichnete „Xenoblade“ als „sinnlose Erfahrung mit wenig semantischer Tiefe oder emotionaler Breite“ und kritisierte, dass ein weiteres Spiel rund um Kämpfen und Aufleveln in der Videospielwelt schlicht und ergreifend redundant sei.

Eine andere kritische Stimme aus dem „Xeno“-Fanlager resümierte: „‚Xenoblade‘ scheint eine Seele zu fehlen […]. Es gibt viel zu erkunden in ‚Xenoblade‘, aber für viele fühlt es sich einfach nie interessant an. […] Die Handlung liegt vielleicht über dem Durchschnitt für ein Videospiel. […] In ihren Glanzmomenten gibt sie Beispiele der Toleranz für ein größeres Gut während großer Konflikte, aber das ist wohl kaum Neuland für Rollenspiele, Manga oder Anime“. In diesen Zitaten kommt zum Ausdruck, dass manche Anhänger von „Xenogears“ und „Xenosaga“ das neue Projekt als ein anspruchsloses 08/15-Rollenspiel empfanden und kritisierten, dass Takahashi sein Streben nach Selbstverwirklichung zugunsten des bloßen Bedienens der Erwartungen von Durchschnittsspielern preisgegeben habe.

Solche kritischen Stimmen zu „Xenoblade“ stellen jedoch die absolute Minderheit dar. Wenn wir sie hier zitieren, dann nicht, um die Rezeptionslandschaft des Spiels authentisch abzubilden, sondern um zu verdeutlichen, inwieweit es im Vergleich zu Takahashis früheren Projekten eine neue Art Rollenspiel darstellt. Mit dem, was wir in dieser Reportage über die Genese der Grundausrichtung des Spiels dargelegt haben, lässt sich jene Kritik ihrer Substanz berauben. Führen wir diesen Gedankengang ein wenig näher aus.

Die nötigen Schritte tun

Takahashi hatte erkannt, dass der von ihm eingeschlagene Weg eine Sackgasse bedeuten würde, und sich daher bewusst mit seinem Team an einer Neuausrichtung des Genres versucht. „Wenn dieses Spiel Leute dazu bringt, die Bedeutung des Terminus ‚japanisches Rollenspiel‘ neu zu bedenken, werde ich zufrieden gestellt sein“, sagte Takahashi einmal. Dass er dieses Ziel erreicht hat, dazu mag stellvertretend für viele weitere das Urteil des Videospieljournalisten Jeremy Parish stehen: „‚Xenoblade‘ ist sowohl die Synthese als auch die Kulmination dieser Art Videospiele. […] ‚Xenoblade‘ ist ein außerordentliches Rollenspiel, das Elemente vieler anderer Spiele ungeachtet ihrer Ursprünge verbindet und ebenso viele eigene Ergänzungen einbringt.“

All dies bedeutet aber eben keine kommerzielle Einschränkung eines kreativen Genies, wie jene härtesten Kritiker es behaupten, sondern gerade eine befreiende Besinnung auf das, was eine interaktive Rollenspielerfahrung eigentlich auszeichnet. So lässt sich auch argumentieren, dass das „Xeno“-Franchise erst durch „Xenoblade“ eine „funktionierende“ Rollenspiel-Reihe werden konnte, wie es etwa in diesem Artikel von USgamer geschieht. Dass er selber voll und ganz hinter dieser Neuausrichtung stand, hat Takahashi noch vor wenigen Wochen wie folgt bekräftigt: „Die Kraft, sich im Angesicht der Widrigkeit aufzurichten, die Kraft, Veränderung – Veränderung zum Besseren – nicht zu fürchten, kommt vom Scheitern. ‚Xenoblade‘ war es, das mich jene Fehler hat einsehen lassen.“

Takahashi plauderte aus dem Nähkästchen: „Es war knifflig, die Nopon zu gestalten. Ändert man das Design nur ein klein wenig, sieht es wie ein Pokémon oder wie Kirby oder so aus … Es ist eine lange Geschichte. Wir haben viel durchgemacht, bis wir uns auf das finale Design geeinigt haben.“ Nopon tauchen in allen „Xenoblade“-Spielen auf; hier zu sehen ist Monopon, ein Studiomaskottchen für den offiziellen Twitter-Account.

Ausblick

An dieser Stelle könnte die Geschichte hinter „Xenoblade Chronicles“ eigentlich zu Ende erzählt sein. Aber da Monolith Soft das Bestreben einer Neubesinnung ja gelungen ist, nimmt die Geschichte des Spiels in gewisser Weise erst hier ihren Anfang. „Xenoblade“ war nicht nur der Durchbruch für Monolith Soft hin zu einem etwas breiteren Publikum, sondern hat sich auch zu einer festen Marke in Nintendos Spielerepertoire etablieren können, die bis dato zwei Fortsetzungen sowie zwei Neuauflagen des ersten Spiels mit sich gebracht hat.

Doch zunächst hat Nintendo dem Spiel einige Steine in den Weg gelegt, ja sogar scheinbar alles getan, um einen Erfolg zu verhindern. Wie sich der weitere Werdegang von „Xenoblade“ gestaltete, heben wir uns für den dritten Teil unserer Reportage auf. Dort wird es zunächst um einen – neben der Spielwelt und der Handlung – weiteren herausragenden Teil des Spiels gehen, über den es sich weitere Worte zu verlieren lohnt, nämlich um die Musik. Außerdem werden dort Quellenangaben folgen.

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  • Avatar von Tobias
    Tobias 12.08.2020, 22:22
    Fun Fact: Gerade habe ich festgestellt, dass dieser Artikel exakt genau so lang wie der erste Teil ist – na gut, es sind drei Zeichen weniger (Teil 1: 21059, Teil 2: 21056). Aber was für ein Zufall!