Inside Nintendo 64: Die Entstehung des Nintendo Entertainment System (Teil 2)

Weiter geht’s mit unserer Reportage über die Geschichte des Nintendo Entertainment System. Lassen wir den ersten Teil von vor zwei Wochen noch einmal Revue passieren: Ende 1981 ging der Auftrag zur Entwicklung einer neuen Heimkonsole ein, die der Konkurrenz überlegen, aber weitaus günstiger sein sollte. Das technische Fundament der Konsole bildeten das Spiel „Donkey Kong“ sowie ein für Nintendo unbekannter Prozessor. Im Herbst 1982 war die Technik fertiggestellt, als nächstes wurde das Gehäuse gestaltet und bald entstanden die ersten Spiele. Mitte 1983 war es endlich so weit: Die Konsole kam auf den Markt.

Aller Anfang ist klein

Im Juli 1983 kam das Famicom in Japan auf den Markt. Das genaue Datum ist umstritten, wie so oft bei Spielen und Konsolen aus der frühen Ära der Branche. Viele Quellen geben den 15. Juli an, doch der Ursprung dieser Angabe ist unklar. Laut Nikkei Electronics war's der 21. Juli.

Wann auch immer es erschien, das Angebot an Spielen für das Famicom war zur Markteinführung sehr dürftig. Nur drei Titel waren verfügbar, und zwar ausschließlich Portierungen von bekannten Arcade-Spielen: „Donkey Kong“, „Donkey Kong jr.“ und „Popeye“. In den ersten zwei Monaten gingen 500.000 Exemplare der Konsole über die Ladentheken, innerhalb des gesamten ersten Marktjahres stiegen die Verkaufszahlen auf eine Million Stück an. Obwohl das ein eher langsamer Marktstart war, hatte Nintendo bereits Probleme, mit der Produktion neuer Konsolen hinterher zu kommen.

Konsolenabsturz und Geschäftseinbruch

Das war jedoch nicht das größte Problem, mit dem sich das Famicom kurz nach seiner Markteinführung konfrontiert sah. Es traten nämlich grafische Bugs auf, sodass etwa der Ball oder die Spielfeldlinien in „Baseball“ verschwanden – Grund waren Überhitzungen der Konsole. Es verhakten sich die Tasten des Controllers, die damals noch quadratisch waren und in Funktionstests keine Probleme aufgewiesen hatten – um das Problem zu umgehen, hatten künftige Famicom-Controller runde Tasten. Doch das größte Problem folgte erst noch: Zum Jahreswechsel 1983/1984 erfuhr Nintendo von gehäuften Systemabstürzen.

Der Grund für die Abstürze lag tief in der Technik der Konsole verborgen. Um den Fehler zu beheben, gab es nur eine Möglichkeit. Nintendo musste alle bis dato verkauften Konsolen zurückrufen und die fehlerhafte Technik austauschen. Es war ein finanzielles Fiasko, doch zum Zwecke der Gesichtswahrung war dieser Schritt absolut unumgänglich.



Nach einem holprigen Marktstart nahm das Famicom bald an Fahrt auf. Der nächste Schritt war das Diskettenlaufwerk Famicom Disk System (hier unter dem Famicom). (Bildquelle)

Das Geschäft brummt

Nach diesem äußerst holprigen Start entwickelte sich das Famicom langsam aber sicher doch noch zu einem Erfolg. Gerade neuartige Exklusivtitel wie „Super Mario Bros.“ und „The Legend of Zelda“ verhalfen der Konsole zu einem ungeahnten Durchbruch. Später öffnete sich Nintendo auch gegenüber Drittherstellern, die dank Dauerbrennern wie „Dragon Quest“ oder „Final Fantasy“ weiter zum Erfolg des Famicom beitrugen.

Die Famicom-Spiele wurden immer komplexer, doch die Module boten nur sehr beschränkten Speicherplatz. Daher entwickelte Nintendo ein Zusatzgerät, das das Famicom um ein anderes, mehr Speicherplatz bietendes Speichermedium erweitern sollte. Die Idee dazu kam von Hudson. Das Unternehmen entwickelte als erster Dritthersteller offiziell Famicom-Spiele und portierte damals ferner Nintendo-Titel auf japanische Heimcomputer (etwa „Super Mario Bros. Special“), arbeitete also gut mit Nintendo zusammen.

Größer und günstiger: Disketten statt Modulen

Hudsons Vorschlag sah zwar Chipkarten vor, doch Nintendo entschied sich stattdessen für Disketten. Am 21. Februar 1986 kam schließlich das Famicom Disk System (FDS) in Japan heraus, das an das Famicom gesteckt wird und wiederbeschreibbare Disketten nutzt. Parallel zum FDS erschien „The Legend of Zelda“, außerdem brachte Nintendo gleichzeitig eine Disketten-Version von „Super Mario Bros.“ heraus, welches den Abschluss der Modul-Technik darstellen sollte. Das erfolgreichste FDS-Spiel erblickte jedoch erst im Juni 1986 das Licht der Welt, nämlich „Super Mario Bros. 2“ (hierzulande „The Lost Levels“). Es war der Hauptkaufgrund für das FDS, das in Japan insgesamt etwa fünf Millionen Käufer fand.

Die Disketten waren günstiger und schneller in der Produktion und boten, wie erwähnt, mehr Speicherplatz. Dafür jedoch gab es hier deutliche Ladezeiten. Die Diskettentechnik bot jedoch noch einen weiteren großen Vorteil: Die Medien konnten wiederbeschrieben werden. In ganz Japan wurden sogenannte „Disk Writer“ aufgestellt, an denen man für kleines Geld eine FDS-Diskette mit einem neuen Spiel überschreiben konnte. So war es Nintendo möglich, noch mehr Spiele an den Mann zu bringen.

An Disk Writern konnte man seine FDS-Disketten mit neuen Spielen beschreiben. (Bildquelle)

Das Famicom Modem

Bald jedoch war die Technik so weit fortgeschritten, dass Famicom-Module mehr Speicherplatz bieten konnten als FDS-Disketten. Dies ist der Abteilung Nintendo R&D3 zu verdanken, die neue Modultechniken entwickelte. Das Disk System erreichte somit nie den Erfolg des Famicom und erschien gar nicht erst außerhalb Japans. Dennoch kamen im Land der aufgehenden Sonne viele Famicom-Spiele nach wie vor im Disketten-Format heraus.

Nintendos Hardwareabteilung R&D2 arbeitete ab Sommer 1987 an einer neuen Peripherie für das Famicom. Es handelte sich um ein Modem, das einer Kooperation mit der japanischen Investmentbank Nomura Securities entstammte. Der Plan sah vor, einen Netzwerkservice für die Konsole aufzubauen, mit dem Nutzer unter anderem auf Börsendaten zugreifen können sollten. Nomura programmierte die zugehörige Software, während R&D2 das Modem entwickelte. Projektleiter von Nintendo war Takao Sawano, der schon entscheidend an der Entwicklung des Famicom selbst mitgewirkt hatte.

1988: Nintendos Einstieg ins Online-Zeitalter

Im September 1988 kam in Japan schließlich das Family Modem auf den Markt. Dank des Gerätes bot Nintendo auf dem Famicom einen Netzwerkservice an, und das viele Jahre vor seinen Konkurrenten – leider entwickelte sich das Ganze mit um die 130.000 Verkäufen nicht zu einem Erfolg. Dem heutigen Ruf widersprechend, sich zu langsam in Sachen Internet anzupassen, entwickelte Nintendo sogar fünf Spiele, die über das Famicom-Netzwerk mit Menschen an anderen Konsolen gespielt werden konnten, etwa das japanische Brettspiel Go. Diese ersten Onlinespiele aus dem Hause Nintendo kamen jedoch nie auf den Markt.

Das Famicom Modem war Nintendos Einstieg in das Online-Zeitalter – schon 1988! (Bildquelle)

Wie Nintendo die Weltherrschaft übernahm

In Japan hatte sich das Famicom bislang über zwölf Millionen Mal verkauft. Weltweit ging die Konsole sogar über 60 Millionen Mal über die Ladentheken. Außerhalb Japans erschien sie jedoch unter anderem Namen und Aussehen – als das uns bekannte Nintendo Entertainment System (kurz NES).

Zwischen 1985 und 1987 kam das NES in Nordamerika, Europa und Australien auf die Märkte. Da Nintendo damals nur in Amerika ein eigenes Tochterunternehmen hatte, waren für die Veröffentlichungen in europäischen Ländern und Australien zwischen 1986 und 1987 lokale Distributoren verantwortlich. Letztlich sollte das NES den Großteil seines Erfolges im Westen einheimsen, doch der Weg dahin war weit und steinig. Denn der nordamerikanische Heimvideospielmarkt lag damals nach dem Video Game Crash 1983 brach. Erst nach der Veröffentlichung des NES ab Ende 1985 erwachte der Markt aus seinem Dornröschenschlaf.

Wie das damals noch kleine Unternehmen Nintendo of America es schaffte, das NES in einen toten Markt einzuführen und diesen auf spektakuläre Art und Weise wiederzubeleben – mit der ganzen Geschichte kann man ein weitschweifiges Werk füllen. Genau das tat der Journalist David Sheff 1993 mit „Game Over“ (deutsche Version: „Game Boy“). Wir beschränken uns hier daher nur auf die wesentlichen Aspekte, die wir kurz und knackig zusammenfassen möchten.

Atari-Larifari

Nintendo of America hatte 1981 dank „Donkey Kong“ Fuß fassen können, doch für die Veröffentlichung einer Konsole innerhalb der damaligen Marktsituation war das Unternehmen offenbar noch nicht selbst bereit. Daher war geplant, das Famicom vom Videospielurgestein Atari in Nordamerika unter dem klobigen Namen „Nintendo Advanced Video Gaming System“ veröffentlichen zu lassen. Entsprechende Verhandlungen führten die Unternehmen bereits Mitte 1983.

Das Vorhaben scheiterte jedoch, als Coleco Mitte 1983 öffentlich eine ungenehmigte „Donkey Kong“-Portierung für den Heimcomputer Coleco Adam vorführte. Da Atari die Rechte für Heimcomputerportierungen des Spiels besaß, fühlte sich das Unternehmen von Nintendo hintergangen. Tatsächlich lag ein Missverständnis vor. Trotzdem scheiterten die Pläne.

Links: Die einzelnen Bestandteile des AVS (ohne Hauptgerät) ausgestellt in der Nintendo World; rechts: Darstellung des gesamten AVS (Bildquelle 1; Bildquelle 2)

Trojanisches Pferd: Konsole als Computer kaschiert

Obwohl Atari die Konsole nun nicht mehr herausbringen würde, gab Nintendo nicht auf. Auf einer Elektronikmesse im Januar 1984 stellte es daher einen neuen Prototyp des NES der Öffentlichkeit vor. Das Advanced Video System (AVS) ähnelte mehr einem Computer als einer Konsole, da es unter anderem eine Tastatur, ein Tongerät und Speichermedien umfasste – alles kabellos. Der Gedankengang hinter diesem aufgemotzten Famicom war, dass sich ein Heimcomputer im Gegensatz zu einer Konsole im damaligen Kontext einfacher vermarkten ließ.

Die Resonanz fiel gedämpft aus. Die kabellosen Komponenten funktionierten Berichten zufolge eher bescheiden und die Presse war sehr skeptisch, ob eine neue Konsole wirklich Erfolg erzielen könne, denn trotz aller Gimmicks war das AVS bloß eine Konsole. So ließ Nintendo of America schließlich die Heimcomputer-Features weg, um eine bloße Spielekonsole auf den Markt zu bringen – das Nintendo Entertainment System, das man im Januar 1985 erstmals öffentlich vorstellte.

Keine Konsole, kein Computer, sondern Spielzeug

Die Krux lag nach wie vor in der Vermarktung; Nintendo entschied sich dafür, das NES als Spielzeug bzw. Unterhaltungsgerät zu vermarkten. Entsprechend ist das Gehäuse rechteckig und grau gestaltet, um nicht wie eine Spielekonsole auszusehen. Außerdem veröffentlichte Nintendo Spielzeug-artige Zusatzgeräte wie eine Light Gun oder den Roboter R.O.B.

Ende 1985 veranstaltete Nintendo eine erste Testveröffentlichung des NES, die auf New York City beschränkt war, und ab Februar 1986 war die Konsole in Los Angeles verfügbar. Die Testmarkteinführungen waren erfolgreich genug, um das Unternehmen zu einer Veröffentlichung in ganz Nordamerika zu ermutigen. Dieser Schritt fand Ende 1986 statt.

Ah, endlich: Das Nintendo Entertainment System, wie wir es kennen und lieben! (Bildquelle)

Der König der Konsolen

Hauptsächlich dank „Super Mario Bros.“ erreichte das NES im Westen seinen Durchbruch und konnte den Videospielmarkt wiederbeleben. Dank strikter Lizenzierungsvorschriften, für die Nintendo auch viel Kritik einstecken musste, avancierte das Unternehmen mit dem NES quasi zum Alleinherrscher auf dem Markt der Heimkonsolen. Welche Ausmaße das hatte, zeigt die folgende, tausendfach rezitierte Angabe: Auf seinem Höhepunkt befand sich das NES 1990 in fast jedem dritten amerikanischen Haushalt!

1995 stellte Nintendo die Produktion des NES ein. Inzwischen war bereits die Nachfolgerkonsole seit einigen Jahren auf dem Markt, das Super Famicom, im Westen SNES (mit dessen Entwicklung werden wir uns in einer kommenden Reportage befassen). 2007 kündigte Nintendo in Japan an, keine Famicom-Systeme mehr zu reparieren. Dies markierte fast ein Vierteljahrhundert nach seiner Markteinführung das offizielle Ende des Famicom.

Dem Nintendo Entertainment System verdanken wir Spieler, Nintendo und die ganze Industrie sehr viel. Ohne sie wären wir nie in den Genuss unzähliger Spieleklassiker gelangt. Ohne sie hätte Nintendo nie sein weltweites Konsolenimperium errichten können. Und ohne sie wäre der Videospielmarkt in Nordamerika nicht wiederbelebt worden. Fast 35 Jahre nach Beginn der langen Geschichte des Famicom/NES können wir uns daher nur vor dieser Konsole und ihrem Einfluss verneigen!

Unsere Hauptquellen für diesen Bericht: David Sheff, Game Over, 1993; Masaharu Takano, How the Famicom Was Born, Nikkei Electronics, 1994–1995, Teile 9, 10 (englische Übersetzung bei GlitterBerri); Iwata fragt: Super Mario Bros. 25. Jahrestag, Teil 2: NES & Mario, 2010; Steven L. Kent: The Ultimate History of Video Games, 2001

Weiterführende Links: Forum-Thread

Bisher gibt es vier Kommentare

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  • Avatar von 1UP-Maschine
    1UP-Maschine 20.04.2015, 17:04
    Und mal wieder Kudos für den Bericht. Toll geschrieben, wie immer eigentlich.

    Schon eine gebundenes Werk geplant?
  • Avatar von Minato
    Minato 19.04.2015, 14:27
    Wie immer ein klasse Report, ich freue mich auf die nächste Ausgabe!
  • Avatar von Tobias
    Tobias 19.04.2015, 14:12
    Zitat Zitat von Garo Beitrag anzeigen
    OMG! Inside Nintendo 64 und es geht nicht ums N64? Wie kannst du nur Tobi?

    Trotzdem ein sehr interessanter Artikel mit haufenweise neuen Fakten, die ich bis dato nicht kannte. großartige Arbeit.
    Eine Frage hab ich aber noch: Gabes von The Legend of Zelda in Japan auch eine Modul-Version? Du schreibst nämlich zuerst "Gerade neuartige Exklusivtitel wie „Super Mario Bros.“ und „The Legend of Zelda“ verhalfen der Konsole zu einem ungeahnten Durchbruch." und kommst im darauffolgenden Disketten-Abschnitt darauf zu sprechen, dass The Legend of Zelda auf Diskette heraus kam. Das verwirrt mich ein bisschen.
    Tut mir Leid – hab da aber auch gar nicht dran gedacht. ;D Nen Bericht zur Geschichte des N64 wird's aber auch irgendwann geben, ich möchte nämlich alle Nintendo-Konsolen chronologisch durchgehen.

    Zelda ist in Japan tatsächlich auch als Modul veröffentlicht worden (so wie Super Mario Bros. später auch als Diskette herauskam), allerdings war das erst 1992. Das passt aber natürlich nicht zur von dir zitierten Stelle, die tatsächlich etwas ungünstig formuliert ist. Gemeint ist, dass Zelda allgemein zum Erfolg der Konsole beitrug.
  • Avatar von Garo
    Garo 19.04.2015, 14:06
    OMG! Inside Nintendo 64 und es geht nicht ums N64? Wie kannst du nur Tobi?

    Trotzdem ein sehr interessanter Artikel mit haufenweise neuen Fakten, die ich bis dato nicht kannte. großartige Arbeit.
    Eine Frage hab ich aber noch: Gabes von The Legend of Zelda in Japan auch eine Modul-Version? Du schreibst nämlich zuerst "Gerade neuartige Exklusivtitel wie „Super Mario Bros.“ und „The Legend of Zelda“ verhalfen der Konsole zu einem ungeahnten Durchbruch." und kommst im darauffolgenden Disketten-Abschnitt darauf zu sprechen, dass The Legend of Zelda auf Diskette heraus kam. Das verwirrt mich ein bisschen.