Inside Nintendo 189: Die spektakulärsten Entdeckungen des Nintendo-Gigaleaks 2020 (Teil 4)

Im vierten und letzten „Inside Nintendo“-Bericht, der sich der Aufarbeitung des sogenannten Nintendo-Gigaleaks von 2020 widmet, geht es um Entdeckungen, die die letzten 20 Jahre betreffen. Dabei handelt es sich unter anderem um neue Informationen zur Geschichte hinter dem GameCube, dem DS, der Wii und sogar zur Entstehung von Nintendo Switch. Abgerundet wird die Reportage durch eine Zusammenfassung der jüngsten Leaks sowie einen abschließenden Ausblick.

Drei verworfene Figuren aus dem ersten „Animal Crossing“. Bei den ersten beiden handelt es sich sehr wahrscheinlich um Überbleibsel aus der frühen Entwicklungsphase, in der der Titel noch ein Rollenspiel mit Menschen als Protagonisten werden sollte. Die Katzenbewohnerin rechts ist erst in einer späteren Projektphase verworfen worden; das Design hätte wohl Kontroversen auslösen können.

Menschen in Animal Crossing

Die Lebenssimulationsreihe „Animal Crossing“, die sich erst letztes Jahr wieder mit „New Horizons“ über riesige Erfolge freuen durfte, hat dieses Jahr ihren 20. Geburtstag gefeiert. Der erste Teil erschien bei uns für den GameCube, war jedoch eine Portierung des Japan-exklusiven „Animal Forest“, das für das N64 auf den Markt gekommen war. GameCube-Spiele umfasste der Gigaleak zwar nicht, wohl aber einige N64-Spiele, darunter auch „Animal Forest“. Die auf diese Weise aufgetauchten Entwicklungsmaterialien zum Spiel enthielten unter anderem mehrere bis dahin unbekannte Figuren.

Für besondere Aufmerksamkeit sorgten zwei menschliche Figuren – seit jeher treten in „Animal Crossing“ ja mit Ausnahme der Spielfigur nur tierische Gestalten auf. Es handelt sich um einen Soldaten und um eine bäuerlich anmutende Figur namens Oba. Die Uniform des Soldaten wurde später Figuren aus den Nachfolgern „Wild World“ und „Let’s Go to the City“ verliehen, während die internen Bezeichnungen der Spielfiguren darauf hinweisen, dass aus Oba eventuell Wildsau Sigrid aus dem finalen Spiel geworden ist. Davon abgesehen sind die beiden Charaktere restlos verworfen worden. Und sie werfen große Fragen auf: Sollte die Welt von „Animal Crossing“ neben der Spielerin oder dem Spieler etwa noch von weiteren Menschen bewohnt werden?

Bekannt ist, dass beide Figuren aus einer sehr frühen Arbeitsphase stammen. Der Fund kann demnach mit dem in Verbindung gebracht werden, was wir aus den frühesten Entwicklungsphasen von „Animal Crossing“ wissen. Ursprünglich sollte das Spiel, wie wir in „Inside Nintendo 170: Spiel ohne Abenteuer: Die Entwicklung von Animal Crossing“ berichtet haben, ein Rollenspiel werden, in dem sich eine Spielfigur ohne besondere Fähigkeiten in der Begleitung von Tieren auf Abenteuer begeben sollte. Die Tiere waren damals noch nicht anthropomorph, wie wir es aus „Animal Crossing“ kennen, sondern erfüllten offenbar eine ganz ähnliche Funktion wie die Pokémon in der gleichnamigen Rollenspielreihe.

Abgesehen von einem Fokus auf tierische Spielfiguren und auf Kommunikation zwischen den Spielenden steckt von diesem ursprünglichen Konzept hinter „Animal Crossing“ kaum noch etwas in der DNA des finalen Spiels, und wie genau wir uns jene frühen Ideen vorzustellen haben, ist unklar. Wenn Tiere damals jedoch noch keine Nachbarn und Freunde waren, dann musste die Spielfigur von weiteren menschlichen Charakteren umgeben sein. Es ist sehr gut vorstellbar, dass mit Soldier und Oba zwei solche Spielfiguren entdeckt worden sind. Untermauert wird diese Vermutung dadurch, dass anscheinend noch weitere Materialien aus jener frühen Entwicklungsphase, als „Animal Crossing“ noch ein reinrassiges Rollenspiel werden sollte, gefunden worden sind.

Daneben ist eine weitere verworfene Figur aus „Animal Crossing“ in den Daten des Gigaleaks enthalten gewesen. Diesmal handelt es sich um eine anthropomorphe Tiergestalt, sodass das Modell wohl in die spätere Entwicklungsphase situiert werden kann. Das intern als „CAT13“ bezeichnete Tier ist eine dunkelhäutige Katze. Es wird spekuliert, dass die Gestaltung mit den großen Lippen, die als rassistisch empfunden werden kann, dafür ausschlaggebend gewesen sein könnte, dass dieses Tier dem Rotstift zum Opfer gefallen ist. Immerhin hatte damals das Design des Pokémon Rossana ebenfalls wegen möglicherweise rassistischer Anleihen für Kontroversen gesorgt.

Dieser Auszug aus den aufgetauchten Interna rund um Projekt Iris verrät die Buttonkonfiguration des Handhelds. Es handelt sich um dieselben Tasten und Knöpfe wie beim Game Boy Advance.

Iris: ein unveröffentlichter Nachfolger des Game Boy Advance SP

Mit dem Nintendo DS schickte Nintendo Ende 2004 seine erfolgreiche Game-Boy-Marke nach 15 Jahren langsam in den Ruhestand. Als letztes großes Modell der langlebigen Handheld-Familie erschien Anfang 2003 der Game Boy Advance SP. Nicht nur aufgrund des neuen Markennamens, auch durch das sehr gewöhnungsbedürftige Konzept mit zwei Bildschirmen stellte der DS für Nintendo ein großes Wagnis dar. Entsprechend war dieser Übergang für Nintendo keine einfache Zeit.

Damals arbeitete Nintendo an einem Handheld-Projekt namens Iris, über das bislang kaum etwas bekannt war. Erstmals 2009 in einem „Iwata fragt“-Interview erwähnt, war Iris der Projektname eines Nachfolgers des Game Boy Advance, an dem der Konzern vor Veröffentlichung des DS gearbeitet hatte. Weitere Details kamen erst 2016 ans Tageslicht, nämlich durch ein Interview mit Satoru Okada, einem der Chefentwickler von Nintendos Handhelds vom Game Boy bis hin zum DS (wir berichteten). Demnach befand sich Iris nach der Veröffentlichung des Game Boy Advance SP in der Mache und „bewegte sich gut voran“, bis „während der Entwicklung etwas Unerwartetes geschah“. Damit meinte Okada die Idee zu einem Handheld mit zwei Bildschirmen, die der frühere Nintendo-Präsident Hiroshi Yamauchi mit Verve eingebracht hatte, von der jedoch zunächst kaum jemand überzeugt gewesen sei.

Der Nintendo DS hat also Iris und damit die Game-Boy-Marke verdrängt. Doch welche Funktionen hätte dieser unveröffentlichte Handheld gehabt? Nähere Auskunft darüber verdanken wir den Nintendo-Leaks von 2020, die auch Entwicklungsunterlagen von dem Projekt Iris enthielten, aus denen sich Informationen über den geplanten Handheld erschließen lassen. Demnach hätte Iris – vereinfacht gesagt – die Funktionen des Game Boy Advance mit der deutlich potenteren Hardware des späteren Nintendo DS vereinigt. Das Gerät sollte über ein Steuerkreuz, zwei Schultertasten sowie die Tasten A, B, Start und Select verfügen. Die angedachte Hardware wie CPU und Grafikprozessor ähnelt jener des DS, doch dessen spezifische Funktionen – zwei Bildschirme, Touchscreen, drahtlose Verbindung und Mikrophon – fehlen hier.

Wie sah Iris aus und wie weit war das Projekt vorangeschritten, als es eingestampft wurde? Dies bleibt wie so vieles weiteres auch nach diesen Funden unbekannt. Es scheint jedoch, dass Iris kein völlig vom DS unabhängiges Entwicklungsprojekt war, wie die vorherigen spärlichen Angaben den Anschein erweckt hatten. Vielmehr dürfte eher eine Art Kontinuitätsverhältnis bestehen, denn zutreffender scheint zu sein, dass Iris zum DS weiterentwickelt worden ist. Mit anderen Worten handelte es sich weniger um einen wirklich ausgearbeiteten und unveröffentlichten Handheld als vielmehr um ein sehr frühes Projektstadium des DS, bevor sich die Idee für den zweiten Bildschirm durchgesetzt hat. Dafür spricht insbesondere, dass offizielle Entwicklertools für den Nintendo DS noch recht lange mit dem Namen „Iris“ zusammenhingen.

Eventuell wäre – hier aber betreten wir endgültig das Reich der Spekulation – Iris so etwas wie ein Plan B gewesen, hätte sich der DS nicht zu einem Erfolg gemausert. Immerhin konnte Nintendo bis zum Schluss nicht absehen, ob und wie sich das ungewöhnliche Konzept würde am Markt behaupten können. Daher sprach der Konzern damals davon, dass der DS nur eine dritte Säule darstellen und die Game-Boy-Linie nicht etwa ersetzen, sondern an ihrer Seite bestehen solle. Bekanntlich ist es anders gekommen, doch vielleicht war angedacht, mit Iris die Game-Boy-Marke fortzuführen, wenn es sich als notwendig erwiesen hätte.

Dieses geleakte Schema belegt, dass Nintendo mit der Idee eines GameCube-Handhelds, der sich mit einem Fernseher verbinden lässt, experimentiert hat.

Ein tragbarer GameCube – Vorläufer von Nintendo Switch?

Der unveröffentlichte Handheld Iris war bereits vorher bekannt, doch es gibt noch weitere unvollendete Hardwareprojekte, zu denen Material geleakt ist. Aufgetaucht sind Planungsunterlagen für einen mobilen GameCube, der über eine Docking-Station mit einem Fernseher hätte verbunden werden können. Einem Schema zufolge sollte es sich um einen waschechten Handheld inklusive Bildschirm handeln; an der Docking-Station hätten dann unter anderem GameCube-Controller, SD Cards und Memory Cards angeschlossen werden können.

Das Konzept sollte Nintendo-Fans bekannt vorkommen, denn die 2017 veröffentlichte Nintendo Switch basiert auf exakt dieser Idee. Es ist ein weiteres von vielen Beispielen dafür, wie Nintendo verworfene Ideen später gerne wieder aus seinen Archiven hervorkramt – die im DS verwirklichte Touchscreen-Idee etwa geht, um ein anderes Beispiel zu nennen, auf ein unveröffentlichtes Zubehör für den Game Boy Color zurück. Die Idee, die Grenzen zwischen Handheld und Heimkonsole zu überwinden, hat aber schon lange vor der Switch erste veröffentlichte Resultate hervorgebracht, denn in manchen GameCube-Spielen ließ sich der Game Boy Advance als Controller mit Bildschirm verwenden – ein Konzept, das später mit der erfolglosen Wii U weiter vorangetrieben wurde.

Der neu entdeckte Entwurf eines Handheld-GameCube lässt aber noch sehr viele Fragen offen: Von wann stammt die Idee und wie fügt sie sich in Nintendos Hardware-Pläne der damaligen Zeit ein? Wie weit war das Projekt vorangeschritten? Handelte es sich nur um eine Konzeptstudie, die nie weiter verfolgt worden ist? Wahrscheinlich haben wir hier nur eine von vielen verworfenen Ideen aus Nintendos Hardwareabteilung vorliegen. Zugleich zeigt sich, dass abgelehnte Konzepte bei Nintendo nicht völlig in Vergessenheit geraten.

Was wäre wenn: ein GameCube-Nachfolger mit HD-Grafik

Eine weitere spannende Idee, die sich geleakten Materialien entnehmen lässt, betrifft die Arbeiten an einem GameCube-Nachfolger. Mit der 2006 veröffentlichten Wii verabschiedete sich Nintendo vom Technik-Wettrüsten, um durch alternative Konzepte Videospiele einer größeren Zielgruppe zugänglich zu machen. Der Erfolg der Wii sollte dem Konzern Recht geben, doch der mutige Schritt stieß zunächst weitestgehend auf Unverständnis. „Es können nicht zu viele leistungsfähige Konsolen nebeneinander existieren“, so begründete Shigeru Miyamoto einmal den Umschwung mit der Wii. „Das ist, als gäbe es nur wilde Dinosaurier: Sie würden einander bekämpfen und so ihr eigenes Aussterben beschleunigen.“

Aber auch Nintendo benötigte eine gewisse Zeit, um sich selbst von dieser Idee zu überzeugen. In „Inside Nintendo 135“ hielten wir fest, dass sich das Unternehmen erst etwa ein Jahr nach Beginn des GameCube-Nachfolger-Projekts endgültig dazu hatte durchringen können. Streng vertrauliche Planungsdokumente aus dieser Phase sind nun aufgetaucht. Eine gegen 2003 erstellte Präsentation des Hardwareherstellers ATI stellt Pläne für eine neue Nintendo-Konsole vor, die hinsichtlich ihrer Leistung mit den künftigen Konkurrenzkonsolen PlayStation 3 und Xbox 360 werde mithalten können. „NNGC“, so der Projektname, der eventuell für „New Nintendo GameCube“ oder „Next Nintendo GameCube“ steht, solle HD-Grafik unterstützen, sich aber preislich von der Konkurrenz abheben. Außerdem war eine Möglichkeit zur Verbindung mit mobilen Geräten angedacht.

Den Angaben zufolge war geplant, dass das Gerät im Oktober 2005 auf den Markt komme. Wie weit die Planungen wirklich vorangeschritten waren, lässt sich ausgehend von den Funden jedoch kaum beurteilen. Es war gewiss nicht viel später, dass Nintendo die Ausrichtung seines GameCube-Nachfolgers wie oben skizziert gehörig umgekrempelt hat; ausschlaggebend dafür war insbesondere der innovative Bewegungssteuerungs-Controller, der zunächst als Zubehör für den GameCube vorgesehen war. Dieser Fund ermöglicht somit einen näheren Einblick in die Frühphasen der Planung für den GameCube-Nachfolger und wirft die Frage auf, was geschehen wäre, hätte Nintendo diesen Kurs weiterverfolgt und sich nicht vom Technik-Wettrüsten zurückgezogen.

Links: Auszug aus einem neu aufgetauchten internen Dokument von 2014, das einen Prototyp von Nintendo Switch zeigt. In der Mitte ist die Zeichnung aus einer dazugehörigen Patentanmeldung zu sehen, die bereits 2016 an die Öffentlichkeit gelangt war. Rechts: Dieser auf dem Patenteintrag basierende Fake sorgte vor der Enthüllung von Nintendo Switch für Schlagzeilen.

Ein Switch-Prototyp von 2014

Es ist immer sehr interessant, einen Einblick in die Entstehung von Spielekonsolen zu erhalten und frühe Prototypen bewundern zu dürfen. Dank der „Iwata fragt“-Interviews stehen uns viele Informationen über die Entstehungsprozesse von Nintendo DS, Wii, 3DS und Wii U zur Verfügung. Sogar manch verrückter Prototyp, der ansonsten wohl für immer in Nintendos Archiven verborgen geblieben wäre, ist darin gezeigt worden; man denke nur an den seltsamen sternförmigen Prototyp des Wii-Controllers. Was Nintendo Switch anbelangt, so sieht die Informationslage deutlich schlechter aus. Im Rahmen des Gigaleaks aufgetauchte Dokumente aus der Entwicklungsphase der Hybridkonsole gewähren uns nun aber doch ein paar Einblicke.

Ein eigentlich streng vertrauliches Planungsdokument von 2014 zeigt den Prototyp einer Handheld-Konsole, bei der sich der Bildschirm über die gesamte Frontseite erstreckt. Mittendrin sind zwei Analogsticks angebracht. Wer damals die Gerüchteküche rund um den ursprünglich nur als „NX“ bekannten Wii-U-Nachfolger mitverfolgt hat, dem wird dieser Anblick vielleicht bekannt vorkommen, denn 2016 sorgten vermeintliche Fotos der noch nicht enthüllten Konsole für Schlagzeilen. Das Design der Konsole, das dort zu sehen war, entspricht nahezu exakt dem der geleakten internen Unterlagen.

Was eher wenig bekannt ist: Die Fotos von 2016 orientierten sich an Zeichnungen aus einem Patent von Nintendo. Rasch stellte sich damals heraus, dass es sich lediglich um das Werk eines 3D-Druckers handelte, das zwar auf jenem Patent basierte, dem aber ansonsten keinerlei Insider-Informationen zugrunde lagen. Die Idee an sich stammte aber überraschenderweise in der Tat von Nintendo, und das nun geleakte Dokument bezeugt, dass es sich um mehr als nur eine mehr oder weniger willkürliche Patenteinreichung handelte.

Das Patent zeigte demnach tatsächlich einen Prototyp der späteren Nintendo Switch. Interessanterweise wurde das Gerät schon damals intern als „Switch“ bezeichnet. In der öffentlichen Kommunikation hatte Nintendo ursprünglich nur den Projektnamen „NX“ genutzt, dessen Bedeutung bis heute unbekannt ist. Das weist darauf hin, dass das zentrale Hybridfeature schon damals angedacht war. Der Zeichnung selber lässt sich dies jedoch nicht entnehmen; hier sieht die Konsole wie ein reiner Handheld aus. Dem entsprechen auch weitere Angaben über dieses frühe Planungsstadium, die wir dem Leak verdanken. Demnach war eine Abwärtskompatibilität zum 3DS sowie eine Unterstützung von dessen Funktionen StreetPass und SpotPass vorgesehen.

Ohne weiteren Kontext sollte man sich jedoch davor hüten, allzu viel in den Fund hineinzuinterpretieren. Möglicherweise handelt es sich gar nicht um „den“ Switch-Prototyp, sondern um nur eines von vielen verschiedenen Konzepten, mit denen Nintendo zu jener Zeit experimentierte. Die Entstehungsgeschichten der Nintendo-Konsolen lehren uns immerhin, dass die frühen Konzeptphasen meist von vielfältigen Designstudien geprägt sind, aus denen sich erst allmählich das endgültige Design herauskristallisiert. Dank des Fundes haben wir nun auch bezüglich der Nintendo Switch einen kleinen Einblick in diesen Prozess gewinnen können. Diesem Prototyp jedenfalls dürfte ob des wenig durchdacht wirkenden Designs ohnehin niemand hinterhertrauern.

Links und Mitte: Zwei Screenshots aus der Dezember-2017-Fassung von „Pokémon Schwert“ und „Pokémon Schild“ im Vergleich zu den entsprechenden Szenen im fertigen Spiel, das knapp zwei Jahre später auf den Markt kam. Rechts sehen wir außerdem das frühe Stadium der Naturzone. Manchen Leuten aus der „Pokémon“-Community waren diese Einblicke Anlass, sich über den vermeintlich faulen Entwickler Game Freak lustig zu machen – doch so sehen Spiele in einem sehr frühen, nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Entwicklungsstadium nun einmal aus. Übrigens: Als Zammis Clark im Frühjahr 2018 die Prototypen der Switch-„Pokémon“-Spiele stahl, waren diese noch gar nicht öffentlich vorgestellt worden.

Eine der ältesten spielbaren Fassungen von Pokémon Schwert und Schild

Der Großteil der Nintendo-Spiele, zu denen 2020 interne Daten geleakt wurden, stammt aus früheren Jahrzehnten – ganz anders jedoch jene Entdeckung, die wir gegen Ende der Reportage vorstellen möchten. Es handelt sich um Prototypen der „Pokémon“-Spiele für Nintendo Switch. Eine Fassung von „Let’s Go, Pikachu!“ und „Let’s Go, Evoli!“ vom 12. Mai 2018, etwa ein halbes Jahr vor Veröffentlichung der Spiele, wurde am 24. Dezember 2020 als großes Finale der Nintendo-Leaks 2020 ins Netz gestellt. Der Prototyp spiegelt einen etwas früheren Projektstatus als die zur E3 2018 gezeigte Fassung des Spiels wider.

Noch interessanter, da aus einem älteren Entwicklungsstadium stammend, sind Prototypen zu „Pokémon Schwert“ und „Schild“, die im Oktober 2020 ihren Weg ins Internet fanden. Zu den Hauptspielen der achten Generation tauchten drei frühe Fassungen auf: Zwei stammen vom 26. März und 25. Mai 2018 – also aus genau jener Zeit, als Zammis Clark die Daten von Nintendos Servern stahl –, während eine dritte auf den 22. Dezember 2017 datiert. Diese Version von 2017 ermöglicht uns einen Blick in den sehr frühen Projektstatus eines aktuellen großen Nintendo-Spiels. Die Entwicklung der Spiele hatte im Herbst 2016 begonnen, im September 2017 aber erst richtig Fahrt aufgenommen; auf den Markt gekommen waren die Titel im November 2019.

Die Umgebungen sind hier überwiegend noch untexturierte Platzhalter, die Benutzeroberfläche ist ganz anders gestaltet, frühe Versionen der Musikstücke sind zu hören und viele Elemente aus den damals noch in Entwicklung befindlichen „Let’s Go, Pikachu!“ und „Let’s Go, Evoli!“ sowie den kurz vorher veröffentlichten 3DS-Vorgängern „Ultrasonne“ und „Ultramond“ sind direkt übernommen worden. Außerdem sind in dieser Fassung von Dezember 2017 erst 54 Pokémon eingebaut – von denen teilweise aber im fertigen Spiel jede Spur fehlt.

Entwickler Game Freak musste sich viel Kritik gefallen lassen, weil in „Schwert“ und „Schild“ nicht mehr sämtliche Pokémon aus der Geschichte der Reihe enthalten sind. Dieser frühe Prototyp bezeugt, dass dies nicht von Anfang an so vorgesehen war. Weitere Hinweise dafür sind der grob zusammengestellte Titelbildschirm dieser Fassung, welcher einige im finalen Spiel nicht auftauchende Taschenmonster zeigt, sowie das damalige Modell der Spielfigur, an deren Tasche sich ein Anhänger des schlussendlich ebenfalls nicht aufgenommenen Teddiursa befindet. Die Implementierung der vorhandenen Modelle weist im Prototyp zahlreiche Fehler auf – anscheinend waren große Anpassungen erforderlich, die angesichts von inzwischen etwa 1000 Pokémon einen für das Studio nicht zu bewältigenden Aufwand dargestellt haben müssen.

Links: Dieses erst im Juli 2021 geleakte Bild zeigt weitere, bislang unbekannte Prototypen der Wii-Fernbedienung. Rechts: Dieser Prototyp namens „Mario FPS“ ist eine von zehn Technik-Demos, zu denen (nur) Screenshots aufgetaucht sind. Via Bewegungssteuerung wird wahlweise der Cursor oder die Kamera kontrolliert.

Unverhofft kommt oft – neue Leaks

Im Juli 2021, nur wenige Tage vor Veröffentlichung dieses Artikels, sind völlig unerwartet weitere geleakte Nintendo-Daten von Mitte der 2000er-Jahre im Internet aufgetaucht. An dieser Stelle ist nur eine kurze Zusammenfassung möglich. Eine geleakte Liste nennt zahlreiche damals in Entwicklung befindliche Nintendo-Spiele. Die spannendsten Inhalte dürften ein „The Legend of Zelda“-Spin-off rund um Shiek sein, das damals bei Retro Studios in der Mache war, sowie ein von Intelligent Systems entwickeltes, unbetiteltes „Metroid“-Spiel für Wii – wahrscheinlich ein Prototyp zum späteren „Metroid: Other M“, in dessen Abspann auch das „Paper Mario“- und „Kirby“-Studio Erwähnung findet.

Weitere Inhalte dieses neuesten Leaks, die wir zwar erwähnen, nicht aber näher untersuchen können, sind ein noch älterer Prototyp zu „Pokémon: Let’s Go, Evoli!“ von Februar 2018, eine Liste mit unzähligen intern vorgeschlagenen Namen für die Wii – von „New Nintendo GameCube“ bis hin zu „Nintendo Lethal Weapon“ sind alle möglichen kuriosen Vorschläge enthalten – sowie einige interne E-Mails, unter anderem vom damaligen Unternehmenspräsidenten Satoru Iwata. Ein weiteres Dokument umfasst außerdem Screenshots und Informationen zu zehn frühen Technik-Demos für Wii, von denen einige Eingang in die zum Konsolenstart veröffentlichte Minispielsammlung „Wii Play“ gefunden haben. Diese Prototypen spielten eine wichtige Rolle dabei, die Fähigkeiten der Wii zu erproben (mehr dazu in „Inside Nintendo 141“), und sind dadurch ebenfalls von großer Bedeutung für die Geschichte von Nintendo.

Ein geschichtsträchtiger Leak: ein Ausblick

Damit sind wir am Ende der Reportage angelangt. In vier Artikeln haben wir 20 besonders faszinierende Einzelfunde aus den Nintendo-Leaks von 2020 vorgestellt. Noch einmal ist zu betonen, dass das jedoch nur die Spitze des Eisbergs ist. Wir haben primär solche Entdeckungen ausgewählt, die uns bedeutsame Einblicke in die Entwicklung bekannter Nintendo-Produkte liefern und so neue Perspektiven auf die jeweiligen Entstehungsgeschichten ermöglichen oder lange unklare Fragen beantworten. Blickt man aus einem anderen Interesse auf den Gigaleak – etwa als eingefleischter Fan eines einzelnen Videospiels, als an Emulation Interessierter oder als Hacker, der mehr über die Programmierung von Nintendos Spielen und Konsolen herausfinden möchte –, würde sich zwangsläufig eine ganz andere Auswahl ergeben.

Was den Gigaleak als solchen betrifft, so ist nicht damit zu rechnen, dass noch im großen Stile weitere Dateien ins Internet gestellt werden. Im März 2021 schrieb eine Quelle mit guten Kontakten in die Szene, dass alle noch erhaltenen Daten aus dem Cyberangriff von 2018 aufgetaucht seien. Der Rest sei von jenen, die im Besitz der Daten gewesen waren, vernichtet worden. Demnach hätte der Leak noch umfassender werden können: „Was ich weiß, ist, dass die ursprüngliche Größe des Vorrats enorm war, jenseits der Vorstellungskraft.“ Es sei möglich, dass sich einige dieser nicht geleakten Daten noch bei weiteren Personen befänden. Die Quelle hielt das jedoch für äußerst unwahrscheinlich – und doch kam es ja wenige Monate später zu einer weiteren Leak-Welle.

Was noch alles hätte auftauchen können oder vielleicht noch auftauchen wird, bleibt der Fantasie überlassen; dass diese Daten (zumindest mutmaßlich) nicht ins Internet gestellt und schließlich vernichtet worden sind, dürfte einen guten Grund haben. Was jedoch noch nicht abgeschlossen ist, das ist die Auswertung der geleakten Daten und die Einordnung der einzelnen Funde in einen breiteren Kontext. Dass innerhalb der bekannten Daten künftig noch weitere neue Entdeckungen gemacht werden, ist also durchaus möglich, auch wenn das Spannendste bereits gefunden sein dürfte.

Abschließend sei daran erinnert, dass auch nach diesem wohl größten Leak der Videospielgeschichte immer noch sehr viele Geheimnisse rund um Nintendo ungeklärt bleiben. Spiele bestimmter Studios und Nintendo-Abteilungen waren nicht betroffen, sodass etwa zur „Metroid“-Reihe keine Materialien ans Tageslicht gelangt sind. Auch einige unveröffentlichte Titel wie „Mother 3“ für das N64 oder „Super Mario 64 2“ sind entgegen der Hoffnungen nicht aufgetaucht. Dass aber durchaus die Möglichkeit besteht, dass auf anderem Wege neue bedeutende Entdeckungen gemacht werden, darauf weisen die frühen Versionen von „Ocarina of Time“ und „Dinosaur Planet“ hin, die Anfang 2021 unabhängig vom Gigaleak aufgespürt wurden (siehe Teil 3).

Es bleibt spannend hinter den Kulissen von Nintendo. Der Blick „inside Nintendo“, den uns die Daten von 2020 ermöglicht haben, wird hinsichtlich seines Umfangs und Sensationsfaktors jedoch einmalig bleiben und uns – auch im Rahmen dieser Reportagereihe – noch lange beschäftigen.

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Hinter den Kulissen von Nintendo

Bisher gibt es vier Kommentare

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  • Avatar von Garo
    Garo 27.07.2021, 08:45
    Ist leider sehr unvorteilhaft, dass kurz bevor der Artikel rauskam, weitere super interessante Sachen aus dem Gigaleak ans Tageslicht traten.
    Ändert aber nichts daran, dass das eine sehr coole Reportagen-Reihe war. Daumen hoch!

    Anbei die Leaks zu unveröffentlichten DS-Titeln:
    -Rhythm Tengoku is listed as ‘RIQ’ (full working title is known to be Rhythm IQ). Notes for the game say “The songs will be newly written for this game, so OK for the whole world”.-Elite Beat Agents was once known as Super Sonic Agents.
    -Pokemon Pinball is listed as a DS title, with Wi-Fi support. Developer is ‘FUSE’. Target release date was September 2006.
    -Geist DS is listed. Had online play.
    -Gauntlet DS.
    -Some game called ‘PLUCKER’, developed by ‘NIGHTLIGHT’. Notes: ‘Proposal from Richard Garfield, the creator of Magic the Gathering. A strategy game that replaces card games with figures’.
    ‘Digitylish DS’. there were plans to bring the series over to DS before DSiWare existed.
    -Soma Bringer was once known as Angelic Soma, and included online play. The game was originally set to be complete in September 2006.
    -Banjo and Conker being replaced by Dixie and Tiny in Diddy Kong Racing DS is something NCL specifically note.
    -There was some consideration in having NoA and NoE localize and publish Contact (by Grasshopper Manufacture). The spreadsheet describes it as a “Mother-like”.
    -They considered redoing the character designs for the North American localization of Magical Starsign.
    -The notes on New Super Mario Bros. specially mentions “Plans to distribute additional data for new courses via Wi-Fi”. Also mentions reusing the minigames from Super Mario 64 DS.
    -Digitylish DS had “two prototypes in progress”, and Skip were “considering other projects in parallel”. It was suggest that they “extend the prototype period by 6 months to explore a new business model”; possibly an early reference to to DSi Shop.
    -At the point this document was made online play wasn’t actually locked in for Pokemon Diamond and Pearl; mentioned as a consideration.
    -There were a lot of working titles and early names. Most are “franchise name” then DS or [number of installment]; Chibi-Robo DS, Jump Super Stars 2, Mario vs. Donkey Kong DS, Yoshi’s Island 2, Kirby DS, Burabura Donkey DS, etc. Some publicly known early titles were also in use here, like Detect Hacker (Project Hacker), Wish Room (Hotel Dusk) and Eternal Chronicle (Glory of Heracles). There’s also ‘Game Fortune Bag’ (Clubhouse Games) and Marionation Gear (Chosoju Mecha MG).
  • Avatar von Tobias
    Tobias 26.07.2021, 17:46
    Herzlichen Dank euch beiden für eure Kommentare! Ihr habt beide Recht; ich habe beide Fehler jetzt korrigiert. @Fabian: Ich wüsste gerne mal, wie ich darauf gekommen bin. Im April 2004 hatte Iwata in einem Interview auch von GCNext gesprochen, also kann dein Vorschlag sehr gut hinkommen.

    Bei der Gelegenheit möchte ich gern noch loswerden, dass die vier Artikel viel mehr Zeit beansprucht hatten, als geplant war – aber es hat sich ohne Frage gelohnt und mir viel Spaß gemacht. Die Leaks sind wie eine fast unerschöpfliche Schatztruhe – aber je jünger die Funde sind, desto unangenehmer fühlt sich die Beschäftigung damit an …
  • Avatar von Fabian
    Fabian 25.07.2021, 11:48
    Und erneut super Arbeit! Dieses Konzept für einen Handheld GameCube ist mit Blick auf die Switch natürlich sehr spannend. Es wäre interessant zu wissen, was damals die Hürde dafür war. Es verwundert mich jedoch nicht, dass solche Ideen später wieder aufgegriffen werden. Nur, weil die Zeit gerade noch nicht reif ist (Markt, technische Möglichkeiten, Preisrahmen, ...), sind Konzepte nicht per se schlecht.

    Im Abschnitt, in welchem es um den HD-GameCube geht, schreibst du, dass NNGC vermutlich für Next Generation Gaming Console stand. In meinen Augen passt das nicht ganz zusammen. Ich würde hier eher auf New Nintendo GameCube tippen.
  • Avatar von Pikarobbi
    Pikarobbi 25.07.2021, 11:34
    Vielen Dank für den mal wieder sehr interessanten Artikel.

    Ich denke im Text hat sich ein kleiner Fehler eingeschlichen:
    Sigrid ist eine Wildsau und keine Braunbärin.