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The Legend of Zelda: The Wind Waker

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Inside Nintendo 210: Auf zu neuen Ufern: Die Geschichte hinter Zelda: The Wind Waker (Teil 1)

Heutzutage wird „The Legend of Zelda: The Wind Waker“ als zeitloser Klassiker gefeiert. Dies ist nicht zuletzt auf die Cartoon-Optik zurückzuführen – die bei der Markteinführung des Spiels aber bekanntlich auf nur wenig Gegenliebe stieß. Denn zum einen drehte sich die damalige Videospielwelt noch mehr als die heutige um das Ideal des Fotorealismus und um Coolness. Zum anderen galt gerade „Zelda“ – erst recht seit dem N64-Teil „Majora’s Mask“ – als Nintendos „erwachsene“ Reihe. „The Wind Waker“ wirkte hingegen auf den ersten Blick schlichtweg kindisch. Doch inzwischen ist der Titel längst volljährig geworden, denn die Veröffentlichung liegt bereits zwanzig Jahre zurück. Anlässlich dieses Jubiläums gehen wir in „Inside Nintendo“ der Entstehungsgeschichte des Klassikers auf den Grund. So viel sei schon einmal verraten: Auch bei Nintendo waren zunächst längst nicht alle mit dem wagemutigen Kurswechsel einverstanden.

Nintendos „erwachsene“ Reihe auf dem Weg in die Zukunft

Die Veröffentlichung von „Zelda: Ocarina of Time“ im November 1998 markiert einen wichtigen Meilenstein in der Videospielgeschichte. Mit seiner realistischen, cineastischen Inszenierung, seinen komplexen, innovativen Welten und Spielsystemen, einem riesigen Entwicklerteam und einer gewaltigen Vorfreude schon lange vor Fertigstellung war das N64-Spiel so etwas wie der Prototyp aller späteren AAA-Produktionen. Dass es überdies zur Blaupause für ein ganzes Genre werden sollte und bekanntlich lange Zeit den Titel des bestbewerteten Videospiels aller Zeiten hartnäckig für sich beanspruchen konnte, ist das Tüpfelchen auf dem I.

„Ocarina of Time“ war ohne Frage Nintendos bis dato ambitionierteste Produktion. Schnell entschied man sich dafür, das Grundgerüst für ein zweites N64-„Zelda“ wiederzuverwerten. Was dann innerhalb von bloß einem Jahr zustande kam, sah auf den ersten Blick aus wie bloß mehr vom Bekannten. Doch „Majora’s Mask“ war kein billig produziertes und teuer verkauftes Erweiterungspack, sondern setzte mit seiner düsteren und bedrückenden Endzeit-Stimmung sowie dem Drei-Tage-Spielkonzept seine ganz eigenen Akzente.

Als „Majora’s Mask“ 2000 auf den Markt kam, stand schon das nächste Nintendo-System in den Startlöchern. Würde man in der Zeit zurückreisen und einen typischen „Zelda“-Fan im Teenager-Alter fragen, wie er sich Nintendos „erwachsene“ Reihe auf dem leistungsfähigen neuen GameCube vorstellen würde, dürfte die Antwort sehr wahrscheinlich auf ein fotorealistisches, düsteres Fantasy-Epos hinauslaufen – eben wie „Ocarina of Time“ oder „Majora’s Mask“, nur diesmal nicht mehr von technischen Limitierungen zurückgehalten.

Die Gebete wurden erhört – scheinbar

Es wäre also so einfach gewesen, die Fans zufriedenzustellen – ein weiteres Spiel in der bewährten Machart, nur auf einer neuen Konsole mit noch besserer Grafik. Dass es völlig anders kommen sollte, ist natürlich hinreichend bekannt. Fast ebenso weit verbreitet ist aber auch das Wissen darum, dass Nintendo den Wünschen der Fans zunächst tatsächlich exakt zu entsprechen schien. Im August 2000 präsentierte der Konzern auf der hauseigenen Messe Nintendo Space World den GameCube zusammen mit neuen „Mario Kart“-, „Metroid“- und „Super Smash Bros.“-Teilen sowie einem ganz neuen Spiel namens „Luigi’s Mansion“. Noch mehr Aufmerksamkeit generierten aber Videoclips zur heute legendären Tech-Demo „Super Mario 128“ sowie zu einem „Zelda“-Spiel mit realistischem Grafikstil.

Zu sehen waren Link und Ganondorf in einem unerbittlichen Kampf um Leben und Tod. Das Design beider Figuren ist an das aus „Ocarina of Time“ angelehnt, aber entsprechend der neuen technischen Möglichkeiten überarbeitet. Später sollten diese Modelle für „Super Smash Bros. Melee“ und „Soulcalibur II“ wiederverwendet werden. Viel vom Hintergrund ist in dem kurzen Video nicht zu sehen, aber der Kampf scheint in einem Schloss stattzufinden – ist es Schloss Hyrule oder Ganons Schloss? Wie der schick durchchoreografierte Kampf endet, wird nicht gezeigt. Auch wenn es sich nur um ein vorberechnetes Video handelte und nicht um tatsächliches Gameplay: Die Begeisterung der Fans war uferlos.

Videomaterial der „Zelda“-Demo von der Nintendo Space World 2000. In besserer Bildqualität und mit Ton – lediglich aus „Ocarina of Time“ übernommene Samples –, dafür aber nur in kurzen Auszügen ist der Trailer in diesem Sammelvideo aufgenommen worden. Eine Livereaktion zur Vorführung des Trailers ist erst kürzlich aufgetaucht: In diesem bis vor kurzem unbekannten Video von der Erstenthüllung des GameCube ist ab 6:36 die „Zelda“-Demo zu sehen und die Reaktion des Publikums darauf zu hören. Eine Sammlung kommentierter Screenshots zum Trailer in guter Qualität bietet glitterberri.com.

Wohin soll es gehen?

Als dieses mitunter als „The Legend of Zelda 128“ bezeichnete Video gezeigt wurde, hatte die Entwicklung des späteren „The Wind Waker“ noch nicht begonnen. Und doch steckte mehr dahinter als eine schnell zusammengewürfelte Demo für die Rechenleistung der neuen Konsole. „Als [die Entwicklung von] ‚Majora’s Mask‘ endete, wussten wir bereits, dass der Nintendo GameCube unsere nächste Plattform sein würde“, erläuterte „Zelda“-Schöpfer und Nintendo-Produzent Shigeru Miyamoto. „Daher mussten wir mit den Planungen dafür anfangen.“ Noch vor Abschluss der Arbeiten an „Majora’s Mask“ habe das Team erste Experimente mit der GameCube-Hardware angestellt. Die Space-World-2000-Demo sei eine Frucht dieser frühen Experimente gewesen. „Erst danach begannen wir mit dem Projektleiter und den Programmierern die Entwicklung von ‚Wind Waker‘“, so Miyamoto weiter.

Einen weiteren Einblick in die Zeit der ersten Überlegungen rund um „Zelda“ für den GameCube gewährte Design Manager Satoru Takizawa. Er erzählte 2013 im „Iwata fragt“-Interview zur Neuauflage „The Wind Waker HD“: „Zu dieser Anfangszeit bildeten Mr. [Yoshiki] Haruhana und ich einen Teil des Kernteams und hatten eine Zeitlang versucht, die grafische Richtung zu bestimmen, die das nächste ‚Zelda‘-Spiel nehmen sollte. Wir fragten uns, ob wir den Weg, den wir bei ‚Ocarina of Time‘ eingeschlagen hatten, verfolgen sollten und ob dieser wirklich der richtige Weg war.“

Sicherer Hafen oder unerforschte Gewässer?

„Natürlich war es eine Option, diesen Weg weiter zu beschreiten“, äußerte im selben Interview Eiji Aonuma, der mit „Majora’s Mask“ die kreative Leitung über die Reihe übernommen hatte. „Und so machten wir mit einem Prototyp weiter.“ Die Space-World-2000-Demo, hinter der übrigens auch Takizawa und Haruhana steckten, spiegelte offenbar genau diesen Versuch wider, den mit „Ocarina of Time“ eingeschlagenen Weg konsequent fortzuführen. Sie sollte daher nicht als komplett unabhängig vom späteren „The Wind Waker“ betrachtet werden, sondern stellt eher einen direkten Einblick in die frühesten Konzeptphasen zu diesem Spiel dar.

Was aber sorgte schließlich hinter den Kulissen für den großen Umschwung? Offenbar konnte sich das Entwicklerteam schlicht und ergreifend nicht damit zufriedenstellen, einfach nur mehr vom Bekannten zu produzieren. Denn Aonuma äußerte weiter über den erwähnten Prototyp: „Doch dieser erwies sich als unglaublich normal und konnte die Erwartungen nicht übertreffen. […] [W]ir selbst konnten uns nur schwer vorstellen, bei einer Weiterverfolgung dieses Weges mit Leichtigkeit neue Ideen zu entwickeln und diese geschaffene Welt weiter auszubauen.“

Drastischer bekundete Aonuma seine Unzufriedenheit mit dem ersten Prototyp 2013 gegenüber IGN: „Ich sah den Film und dachte: ‚Nein, das ist nicht ‚Zelda‘; das ist überhaupt nicht ‚Zelda‘. Es war nicht das, was ich mir unter ‚Zelda‘ vorstellte. Der Videoclip enthielt keine großen Überraschungen; es gab keinerlei Enthüllungen. Es war mehr eine Fortführung der vorherigen Version.“

Alles begann mit Zeichnungen von Link und einem Moblin in einem für die Reihe ungewöhnlichen, Cartoon-artigen Grafikstil. „Bei ‚The Wind Waker‘ ging alles von den Grafiken für Link und den Moblins aus“, erzählte Aonuma. „Als wir darüber nachdachten, wie wir sie würden kämpfen lassen, nahmen die Dinge schnell Formen an.“

Toon-Link als Ideen-Katalysator

Mag die Demo-Version von 2000 auch genau das gewesen sein, was sich alle Fans erhofft hatten – das Entwicklerteam sah in diesem Weg einfach eine Sackgasse. „Jeder innerhalb des Kernteams, der damals an dem Spiel arbeitete, hatte kein gutes Gefühl dabei, weiter in diese Richtung zu gehen“, bekräftigte Takizawa. „Und dann kam eines Tages, ganz aus heiterem Himmel, Mr. Haruhana mit der Idee für den neuen Link. […] Beim Anblick dieser Zeichnung erwachte augenblicklich der Designer in mir, und ich dachte mir: ‚Mit solch einem Charakter wird einfach jede Art von Action ein Erfolg, ganz egal, wie Link sich dabei bewegt!‘“

Dass das Team keine anderen Grafikstile ausprobiert haben soll und dass die spontane Idee eines Designers so plötzlich alle überzeugen konnte, erscheint zwar wenig glaubwürdig. Fest steht aber, dass von diesem einen Entwurf – der dem finalen Toon-Link offenbar bereits stark ähnelte – ein großer Impuls für das gesamte Entwicklerteam ausgegangen ist. So klang es nämlich bei Aonuma: „Ich bin davon überzeugt, dass ein Großteil des Originalspiels fast explosionsartig nach diesem einen Bild von Toon-Link erstellt wurde. Wir preschten mit voller Kraft voraus.“

Folgt man weiter den Interviewaussagen, dann ging es in der Tat Schlag auf Schlag. „Mr. Haruhanas Zeichnung hatte mich gleich so stark inspiriert, dass mir auf Anhieb ein Moblin gelang“, sagte Takizawa, der zuletzt als Art Director von „Tears of the Kingdom“ fungierte. Aonuma fuhr fort, dass man als nächstes überlegt habe, wie der Cartoon-Link und der Cartoon-Moblin gegeneinander kämpfen würden. „Die Ideen sprudelten einfach nur so und das mit einer unfassbaren Geschwindigkeit. Da war ich mir ganz sicher, dass es funktionieren würde.“ Nach und nach entwarfen die Designer, ausgehend von der Kampfszene zwischen Link und dem Moblin, weitere Charaktere. „Die Welt von ‚The Wind Waker‘ begann Gestalt anzunehmen“, so Aonuma.

Hinter Miyamotos Rücken

Die plötzliche Idee des cartoon-artigen Link erwies sich als gangbares Kernkonzept für das nächste „Zelda“-Spiel und löste die kreative Blockade des Teams. Dabei gilt es zu betonen, dass dieses Konzept inmitten des Designteams geboren wurde und diesem nicht etwa von den oberen Rängen aus aufgezwungen wurde. Es steckte keine Marketingstrategie oder fixe Idee der Produzenten dahinter. Aonuma machte keinen Hehl daraus, dass die Idee nicht von ihm stammte. Er selber war zwar schnell überzeugt gewesen, doch final abgesegnet werden musste das Konzept von Chefproduzent Miyamoto.

Miyamoto ist bekannt dafür, Projekte völlig umzukrempeln, wenn er nicht mit ihnen zufrieden ist – und Aonuma befürchtete, dass ihm der Cartoon-Stil für das neue „Zelda“ gar nicht zusagen werde. „Wenn ich von Anfang an mit ihm gesprochen hätte, hätte er wohl gesagt: ‚Wie soll das ‚Zelda‘ sein?‘“ Anscheinend bestand die Lösung schlichtweg darin, dass das Team die grafische Neuausrichtung eine Zeitlang vor Miyamoto verborgen hielt. Erst als man etwas vorangeschritten war, stellte man das Projekt Miyamoto vor. Wie genau er reagierte, ist nicht überliefert. Da das Projekt verwirklicht werden konnte, muss er das Vorhaben aber letztlich durchgewunken haben.

Die grafische Ausrichtung von „The Wind Waker“ wurde mitinspiriert durch Animes aus der Kindheit der Entwicklerinnen und Entwickler. Als konkretes Beispiel benannten sie „Die Schatzinsel“ („Animal Treasure Island“) von 1971, für dessen Handlung der Studio-Ghibli-Mitbegründer Hayao Miyazaki verantwortlich zeichnete. Der Streifen hat übrigens eine ganz besondere Verbindung zu Nintendo: Regisseur Hiroshi Ikeda war später für den Videospielhersteller tätig – und stellte das Entwicklerteam rund um Shigeru Miyamoto zusammen, das unter anderem das erste „Zelda“-Spiel hervorbrachte!

Toon-Links ärgster Feind?

Ein gewichtiges Argument zugunsten des Cartoon-Stils war ein ganz pragmatisches: Mit dem zur Verfügung stehenden Entwicklerteam würde es zehn Jahre dauern, ein realistisches ‚Zelda‘-Spiel auf die Beine zu stellen, wohingegen das bereits begonnene Cartoon-Projekt in einem Bruchteil der Zeit würde fertiggestellt werden können. Damit war die Sache aber immer noch nicht ein für alle Male erledigt. In einem japanischen Interview verriet Aonuma nämlich: „Miyamoto hatte bis ganz zum Schluss Schwierigkeiten, den realistischen Link-Grafikstil loszulassen. […] Als er einmal gegen seinen Willen eine Präsentation halten musste, sagte er zu mir so etwas wie ‚Wissen Sie, es ist noch nicht zu spät, den Kurs zu ändern und ein realistisches ‚Zelda‘ zu machen.‘“

Dass er zumindest anfänglich seine Probleme mit dem neuen Grafikstil hatte, ließ sich Miyamoto in Interviews nicht anmerken – das werden wir uns später noch näher anschauen. In einem japanischen Interview von Dezember 2001 scheint aber doch etwas von seiner distanzierten Haltung durchzuschimmern. Damals wurde er zusammen mit Yuji Naka interviewt, dem Erfinder von Mario-Konkurrent Sonic. Es handelt sich um ein lockeres und teils scherzhaftes Gespräch, und Miyamoto begleitete die betreffende Äußerung mit seinem typischen Lachen. Und doch lässt sich heraushören, dass es hinter den Kulissen Spannungen gab: „‚Mario‘ und ‚Zelda‘ werden jetzt in einer Weise entwickelt, dass ich nicht mehr direkt involviert bin. Ich verlasse den Raum, und naja, man kann ja sehen, was sie mit ‚Zelda‘ gemacht haben! Natürlich gibt es Punkte, bei denen ich nicht ganz einverstanden bin, aber insgesamt gefällt mir die neue Richtung.“

Auf dem Meeresgrund geht’s rund

Selbstverständlich zeichnet sich „The Wind Waker“ nicht allein durch seinen Cel-Shading-Grafikstil aus. Mindestens ebenso unkonventionell war die Idee eines großen Ozeans mit verstreuten Inseln als Spielwelt. „Ohne viel nachdenken zu müssen, kann ich sagen, dass wir uns schon relativ früh dazu entschlossen haben, das Spiel auf See spielen zu lassen“, sagte Aonuma 2013. „Uns gefiel die Idee, die Spielmechanik auf offener See zu entwerfen. Vor allem aber fanden wir es interessant, das Meer mit der neuen Grafik zu präsentieren.“ Etwas anders klang es dagegen in einem japanischen Interview aus dem Umfeld der Veröffentlichung des Spiels. Dort erklärte Aonuma, dass man sich von „dem bisherigen Hyrule“ habe trennen wollen. „Wir wollten nicht einfach das Hyrule vom N64 neuauflegen. Was sollten wir also machen? Wie wäre es, wir versenken es einfach!“

Was scherzhaft klingt, war offenbar in den frühen Entwicklungsphasen ziemlich wörtlich gemeint. Denn wie Aonuma damals fortfuhr, gab es Pläne für eine Unterteilung der Spielwelt in Haupt- und Alternativwelt, wie aus „A Link to the Past“ bekannt. Die Spielenden sollten zwischen dem alten, versunkenen Hyrule und dem Meer hin- und herreisen. Konzeptskizzen, die im „Zelda“-Artbook „Hyrule Historia“ veröffentlicht wurden, gewähren einen groben Einblick in diese Idee: Link sollte sich mit einem besonderen Item zum Meeresboden teleportieren können und durch Fischerhaken wieder nach oben befördert werden.

Entwicklungsskizzen zum geplanten Parallelweltensystem aus „Hyrule Historia“: Durch einen Angelhaken sollte Link wieder nach oben zum Meeresspiegel befördert werden können.

Vom Zahn der Zeit zernagt

Wer „The Wind Waker“ auch nur grob kennt, wird bemerkt haben, dass von dieser frühen Idee nicht mehr viel übriggeblieben ist. Zwar lässt sich die Spielwelt mit den verstreuten Inseln mit etwas Mühe als überfluteter Überrest des Hyrule aus „Ocarina of Time“ identifizieren. In der späten Handlung reist Link sogar an einen zentralen Ort des versunkenen Hyrule; die weite Aussicht an einer Brücke ganz in der Nähe scheint regelrecht zum Erkunden einzuladen. Eine voll ausgebaute unterirdische Spielwelt gibt es aber schlichtweg nicht. Mehr als den eher kleinen und ohnehin überwiegend in geschlossenen Räumen lokalisierten Teil gegen Spielende bekommen Spielerinnen und Spieler vom versunkenen Hyrule also nicht zu Gesicht.

Der Grund dafür, dass das ursprüngliche Konzept nur noch stark verkürzt verwirklicht werden konnte, ist schnell gefunden: Die angedachte Zeit reichte einfach nicht aus. „The Wind Waker“ befand sich zweieinhalb Jahre in der Entwicklung, was im Vergleich zu dem einen Jahr von „Majora’s Mask“ zunächst nach viel klingen mag. Doch da ein Jahr davon auf die Planungsphase entfiel, blieben für die Verwirklichung aller Ideen nur noch gut anderthalb Jahre. Immer wieder hatte das Team mit diesem knappen Zeitrahmen zu kämpfen, und teils merkt man dies auch noch dem finalen Spiel an. Ganz ähnlich war es bei dem parallel entwickelten „Super Mario Sunshine“ der Fall.

Der flüssigste Ladebildschirm der Welt?

Eine weitere verworfene Idee: Der Ozean sollte buchstäblich grenzenlos sein. Man wird sich das wohl ähnlich wie bei den Planeten aus dem späteren „Super Mario Galaxy“ vorstellen müssen, nur selbstverständlich in viel größer: „The Wind Waker“ sollte demnach in einer Welt spielen, die ausschließlich aus Ozean ohne richtige Kontinente besteht. Dies hätte gewiss die Navigation erleichtert, denn wo im finalen Spiel die Karte einfach endet und eine unsichtbare Barriere das Boot an der Weiterfahrt hindert, hätte in diesem früheren Konzept ein nahtloser Übergang zur anderen Seite der Karte stattgefunden. Vermutlich fiel diese Idee nicht den Zeitbegrenzungen, sondern der Handlung zum Opfer. Deren Ende setzt schließlich voraus, dass es jenseits des versunkenen Hyrule und des großen Ozean noch andere Orte auf der Welt gibt.

Die Größe des Ozeans mag zwar durchaus zur Immersion beitragen, war aber schon immer ein großer Kritikpunkt am Spiel, da die ereignislosen Bootsreisen ziemlich viel Zeit einnehmen. Wie Aonuma in einem alten „Nintendo Dream“-Interview erklärte, war das aber weniger eine spielerisch-künstlerische Entscheidung als vielmehr eine technische Notwendigkeit. Denn in gewisser Weise fungiert der große Ozean als eine Art Ladebildschirm: Während man von einer Insel zur nächsten fährt, lädt das Spiel die entsprechenden Daten im Hintergrund. Dadurch lässt sich die gesamte Oberwelt von „The Wind Waker“ frei und – was beim Spielen oft gar nicht auffällt – komplett ohne merkbare Ladezeiten erkunden.

Einmal habe, wie Aonuma weiter verriet, das Team mitten in der Entwicklung das Tempo des Bootes zu erhöhen versucht. So habe aber die nun verkürzte Reisezeit nicht mehr zum Laden der Daten ausgereicht und es sei zu Rucklern gekommen. Zugunsten eines flüssigeren Spielerlebnisses hat man sich daher gegen die schnellere Fortbewegung entschieden. Das oft kritisierte langatmige Bootfahren ist somit letztlich durch die technischen Limitierungen begründet.

Entwicklungsskizzen aus „Hyrule Historia“, links Entwürfe zum Roten Leuenkönig.

Vom Winde verweht

Da der Ozean als Setting früh feststand, dürfte es nicht lange gedauert haben, bis als Reisevehikel ein Segelboot auserkoren wurde. Der Rote Leuenkönig, ein anthropomorphes Boot, ist in der finalen Version Fortbewegungsmittel und Wegbegleiter in einem und vereint damit die Rollen von Fee Navi und Pferd Epona aus „Ocarina of Time“ in sich. Zunächst hatten die Entwicklerinnen und Entwickler aber überlegt, einen eigenständigen Leitcharakter à la Navi aus „Ocarina of Time“ einzubauen. Haruhana zeichnete mehrere Entwürfe, darunter eine Katze, eine Eichel mit Gesicht und ein Frosch auf einer Wolke. Mit der Idee eines eigenständigen Reisebegleiters wurden aber auch diese Figurenentwürfe verworfen – mit der Ausnahme von dem Frosch auf einer Wolke, aus dem später das Charakterpaar Zephos und Cyclos wurde.

Wegen des Segelbootes erhielt Wind eine große Bedeutung im Spiel. Miyamoto behauptete, dass Nintendo schon seit Längerem Wind in Spielen habe einbauen wollen, was aber erst auf dem GameCube richtig möglich gewesen sei. Ein zentrales Spielelement besteht darin, den Wind zu kontrollieren, und an dieser Stelle kommt der namensgebende Taktstock des Windes (in der englischsprachigen Version „Wind Waker“) ins Spiel.

The Legend of Zelda: Das Theremin-Tamtam?

Musik und ihre Erzeugung gehören schon seit Langem zur „Zelda“-Essenz. Ein Taktstock ist nun aber eigentlich eine etwas seltsame Wahl, da dieser Gegenstand ja selber keine Töne erzeugt. Zu Beginn der Arbeiten an „The Wind Waker“ war aber sogar ein noch ungewöhnlicheres Musikinstrument vorgesehen, nämlich ein Theremin, ein elektronisches, ohne direkte Berührung zu spielendes Instrument. Inspiriert wurde das Team zu dieser Idee durch einen damals in Japan anlaufenden Film über den Erfinder des Theremin.

Der Plan sah vor, dass Spielerinnen und Spieler auf dem GameCube-Controller die beiden Sticks je mit der gesamten Handfläche bedienen, um Töne zu erzeugen – vergleichbar eben einem echten Theremin. Das Konzept ist anfänglich auch umgesetzt worden. Als Miyamoto es ausprobierte, lehnte er es aber ab. Von da an konzentrierte sich das Team stattdessen auf den Taktstock; von der Theremin-Idee sind keine Überbleibsel mehr erhalten.

Anstelle eines Taktstocks verfügte Link in den ersten Planungen für das spätere „The Wind Waker“ über … ein Theremin? Doch wie hätte er dieses ungewöhnliche Instrument transportieren und in brenzligen Situationen spielen sollen? Es dürften wohl nur wenige Spielerinnen und Spieler dieser von Miyamoto abgelehnten Idee hinterhertrauern. Bild: Wikimedia Commons.

Wie so oft in der Spielebranche ist auch bei der Entwicklung von „The Wind Waker“ in den frühen Phasen viel experimentiert und verworfen worden. Die größte Herausforderung stand dem Projekt und seinem Entwicklerteam aber erst noch bevor: Die Fangemeinde erwartete nach wie vor das realistische „Zelda“-Spiel, wie es 2000 als Demo gezeigt worden war. Mit der Enthüllung von „The Wind Waker“ im Jahre 2001 und der geteilten Resonanz darauf werden wir im folgenden zweiten Teil der Reportage einsetzen.

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Bisher gibt es zwei Kommentare

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  • Avatar von Garo
    Garo 13.11.2023, 11:29
    Zitat Zitat von kingm Beitrag anzeigen
    Für mich ist WW eines der besten Zeldas. Ich habe es aber auch erst in der HD-Version nachgeholt, wo die angesprochenen langwierigen Seereisen deutlich entschärft sind. Dass das langweilig sein kann und das Spielerlebnis durchaus beeinflusst, kann ich mir gut vorstellen.
    Ist es nicht. Dafür ist die Musik einfach zu gut. Schreit einfach nur nach Abenteuer.


    Danke für den tollen Bericht. Irgendwie bekomme ich da direkt Lust, die Wii U wieder anzuschmeißen und TWW HD nochmal durchzuspielen...
  • Avatar von kingm
    kingm 12.11.2023, 15:07
    Für mich ist WW eines der besten Zeldas. Ich habe es aber auch erst in der HD-Version nachgeholt, wo die angesprochenen langwierigen Seereisen deutlich entschärft sind. Dass das langweilig sein kann und das Spielerlebnis durchaus beeinflusst, kann ich mir gut vorstellen.