Im Grunde ist es überraschend, welches Aufgebot an mehr oder minder hochkarätigen Horrorspielen auf der so häufig als Kinderkonsole verschrieenen Wii zu finden ist. Silent Hill: Shattered Memories“, „Cursed Mountain“, „Obscure 2“, „Dead Space Extraction“ und viele weitere Gänsehaut-Titel finden sich im Software-Katalog der kleinen Weißen. Nun schickt sich „Project Zero 2: Wii Edition“ an, Nintendo-Fans abermals eine Gänsehaut zu verpassen. Doch kann das Remake des PlayStation 2- respektive Xbox-Hits auch nach acht Jahren noch für aufgestellte Nackenhärchen sorgen? Zieht die Vorhänge zu, zündet ein paar Kerzen an und begleitet uns auf der schaurigen Reise durch das Dorf der Götter.

Die Magie der roten Schmetterlinge
Kaum ein Tier auf dieser großen weiten Welt wird mit positiveren Eigenschaften assoziiert als ein zierlicher Schmetterling. Vermutlich deshalb folgt die hübsche Mayu Amakura einem purpurnen Vertreter dieser Spezies wie hypnotisiert immer tiefer in den Wald und lässt ihre jüngere Zwillingsschwester Mio zurück. Verwundert ob des tranceähnlichen Zustandes ihrer Seelenverwandten, nimmt Mio die Verfolgung auf und folgt ihrer Schwester damit nicht nur unwissentlich tiefer in den Wald zum verdammten Dorf der Götter, sondern auch in eine Geschichte voller Schrecken, Angst und Verzweiflung.
Schnell müssen die beiden Mädchen unweigerlich feststellen, dass ihr Ausflug zu diesem trostlosen Ort keine allzu gute Idee war. Das mysteriöse Rascheln scheint in diesem Dorf lauter, die Schatten länger und die Dunkelheit düsterer zu sein. Dennoch können sich die beiden, allen voran Mayu, der seltsamen Faszination nicht entziehen.
Oh Schreck! Das Steuerungsgespenst treibt sein Unwesen
Mit diesen Erkenntnissen ausgestattet, schlüpft man in die schneeweiße Haut von Mio und macht sich zögerlichen Schrittes auf, die Gegend genauer in Augenschein zu nehmen. Der erste Schauer läuft dem geneigten Wii-Spieler dabei früher als gedacht über den Rücken. Doch es ist kein Gespenst, was einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Stattdessen spukt die Steuerung mit ihrer Trägheit und mangelnden Präzision. Mio bewegt sich in etwa so grazil wie ein dreibeiniges Mammut mit Übergewicht. Nach den ersten hinkenden Schritten beginnt man jedoch, sich langsam an alte Horror-Zeiten zu erinnern und den schwerfälligen Gang der jungen Dame zu verinnerlichen. Doch nur keine falschen Hoffnungen: Die pfeilschnelle und blitzsaubere Kontrolle eines hylianischen Helden oder übergewichtigen Klempners wird zu keinem Zeitpunkt erreicht.
Doch mit der Zeit passiert etwas Merkwürdiges: Mit jedem Schritt scheint der Zauber, der auch Mayu gefangen nimmt, langsam aber unaufhaltsam auf den Spieler überzugehen. Trotz der zickigen Steuerung wird man eins mit Mio, zuckt gemeinsam zusammen, lauscht jedem noch so kleinen Geräusch und ist dank der zwar ungewöhnlichen, aber atmosphärischen Kamera immer ganz nah am Geschehen.

Bitte recht freundlich
Während andere Titel solch ein Intensität selbst über die gesamte Spieldauer nicht auslösen können, gelingt „Project Zero 2: Wii Edition“ dieses Kunststück bereits nach wenigen Augenblicken. Die richtigen Begleitumstände vorausgesetzt (Dunkelheit und knisternde Ruhe sind genauso essentiell, wie ein alleiniges Spielerlebnis), hält man Wiimote und Nunchuk mit schweißnassen Händen umklammert, noch bevor überhaupt etwas passiert ist. Apropos: Die ersten Geschehnisse lassen nicht lange auf sich warten.
Nach wenigen Spielminuten findet man sich in einem düsteren, verlassenen Haus wieder und schnell erhärtet sich der Verdacht, dass man nicht allein ist. Doch bevor der Spuk beginnt, stolpert Mio über die antiquierte Kamera Obskura. Praktischerweise ist auch die Gebrauchsanweisung nicht weit. Anders als schlecht übersetzte Beipackzettel offenbart dieses Exemplar jedoch durchaus einige interessante Fakten: Das Gerät verfügt über die Macht, auf Bild gebannten Geistern spirituelle Energie abzuziehen, um sie so zu vernichten. Kaum hat man die Kamera im Gepäck, ergibt sich auch schon die erste Gelegenheit, ihre Fähigkeiten auf die Probe zu stellen. Urplötzlich stürzt sich ein bösartiger Geist auf Mio und trachtet ihr nach dem jungen Leben. Mit B wirft sie einen Blick durch den Sucher, der Abzug lässt sich mit A betätigen. Überhastetes Knipsen führt aber nur bedingt zum Erfolg. Effektiver ist es, den Sucher so lange wie möglich auf der geplagten Seele ruhen zu lassen und im Moment des Angriffs ein ausweistaugliches Portraitfoto zu schießen.
Geschossene Bilder eignen sich nicht nur, um den zahlreichen Geistern ihre Energie zu entziehen: Jedes Foto bringt überdies Punkte, die als eine Art Währung fungieren. Durch die so verdienten Zähler und während bestimmter Gelegenheiten lässt sich die Kamera mit verschiedenen Linsen und anderem Zubehör wie unterschiedlichen Filmen aufwerten. Durch das Zusammenspiel von Angst und Geduld bekommen die Kämpfe eine ganz eigene Dynamik, ohne langweilig oder gar eintönig zu werden, während die stetige Hatz nach Verbesserungen unheimlich motivierend ist.
Subtiler Horror mit frischem Anstrich
So schleicht man mit gespitzten Ohren durch düstere Areale, immer mit der Kamera in Anschlug und dem Finger auf dem Auslöser. Nein, mit einem modernen Survival-Horrorspiel wie „Resident Evil“ hat „Project Zero 2“ nichts gemein – und das ist gut so! Denn weniger ist manchmal doch mehr, gerade wenn es darum geht, Spielern eine Heidenangst einzujagen. Es sind viele gut durchdachte Details, die einen schweren, nahezu undurchdringlichen Schleier der Angst über dieses Spiel legen. Lauscht man mit einem speziellen Radio den Stimmen der Verfluchten, ertönt der knarzige Ton aus dem Lautsprecher der Wiimote. Greift Mio nach einem Gegenstand, muss die A-Taste gedrückt und oder gar rechtzeitig losgelassen werden, wenn urplötzlich eine Geisterhand aus der Dunkelheit heranschießt, während die Kamera immer näher auf das Objekt der Begierde herangezoomt hat. Es gibt keine scharfen Waffen, keine zähnefletschenden Bestien oder anderes plumpe Getöse. Das macht die Reise durch das Dorf der Götter zu keinem Spiel für die breite Masse. Es richtet sich vielmehr an Liebhaber, an morbide Genießer.
Viele von denen werden sich nun aber unter Umständen fragen, warum sie ein Spiel, das ihnen bereits vor acht Jahren eine Gänsehaut beschert hat, erneut vor den Fernseher fesseln soll. Diese Frage hat sich auch Entwickler Tecmo gestellt und das ohnehin schon intensive Erlebnis noch einmal stark erweitert. So gibt es neben neuen Szenen eine zum Teil aufgebohrte Optik, spezielle Wii-Features wie der atmosphärisch genutzte Lautsprecher der Wiimote, in ihrer zeitlichen und örtlichen Abfolge veränderte Geisterkämpfe, eine neue Kameraperspektive und vieles mehr. Sogar der brandneue Geisterhaus-Modus hat es ins Spiel geschafft, der trotz guter Ideen jedoch an einer undurchdachten Umsetzung kränkelt. In der Ego-Perspektive bahnt man sich auf vorgelegten Bahnen wie auf Schienen seinen Weg durch ein Spukhaus, wobei das Wackeln der Wiimote die Angst des Spielers misst. Da die Bewegungssteuerung aber essentiell für das Kontrollieren der Spielfigur ist, kommt es am laufenden Band zu Missverständnissen, die jeglichen Anflug von Spielspaß im Keim ersticken. Abgesehen davon ist ein zweiter Ausflug in die schaurige Welt von „Project Zero 2“ aber nicht nur legitim, sondern sogar verpflichtend – für Neulinge sowieso!

Technik
Hut ab! Was Tecmo hier aus dem Hut zaubert, ist durchaus beachtlich. Statt sich auf dem bereits vor acht Jahren Geleisteten auszuruhen, hat man noch einmal die Ärmel hochgekrempelt und der Wii einiges abverlangt. Der frische Anstrich macht sich vor allem an den Charaktermodellen von Mio und Mayu bemerkbar, die sich im wahrsten Sinne des Wortes sehen lassen können. Flatternde Vorhänge und andere kleine Details gab es für PlayStation 2- und Xbox-Spieler anno 2004 ebenfalls noch nicht zu bestaunen. Völlig leugnen kann „Project Zero 2: Wii Edition“ seine Herkunft dann aber doch nicht, wie die leicht matschigen Texturtapeten verraten. Der Atmosphäre tut das aber keinen Abbruch.
Das Credo „Weniger ist mehr“ spiegelt sich auch in der akustischen Untermalung des Gruslers wider. Statt orchestraler Symphonien setzten die Jungs und Mädels von Tecmo vorrangig auf kleine, aber effektive Klänge, die in feinster Dolby Pro Logic II-Qualität aus den Boxen wabern. Lediglich die englische Sprachausgabe verpasst der sonst so dichten Stimmung einen kleinen Dämpfer. Statt japanischer hat man sich für britische Sprecher entschieden, die ihren Job zwar mit Bravour erledigen, in dem fernöstlichen Setting aber schlichtweg deplatziert wirken.
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