Überraschend häufig lässt sich der Ursprung von Zitaten bekannter Persönlichkeiten nicht wirklich nachweisen. So ist es auch beim berühmtesten Zitat von Shigeru Miyamoto der Fall, „ein verschobenes Spiel ist letztendlich gut, aber ein übereiltes Spiel ist für immer schlecht“: Es gibt keinen Beleg dafür, dass diese Aussage wirklich von der Nintendo-Legende stammt. Das Zitat passt aber gut zu Miyamotos Mut, Projekte zugunsten ihrer Qualität großzügig zu verschieben. Ein gutes Beispiel dafür ist passenderweise eine der Reihen, mit denen er am engsten verbunden ist, nämlich „Pikmin“. Zwischen der ersten Ankündigung und der Veröffentlichung von „Pikmin 3“ lagen fünf Jahre, und das bald erscheinende „Pikmin 4“ hat Miyamoto sogar vor sage und schreibe acht Jahren erstmals angekündigt. Heute bei „Inside Nintendo“ lassen wir die Geschichte hinter diesen Spielen Revue passieren.
2003: Miyamoto hat die Grundidee für Pikmin 3 im Kopf
Das innovative Echtzeit-Strategiespiel „Pikmin“ wird häufig als Schöpfung von Shigeru Miyamoto bezeichnet. Im Regiestuhl saß aber nicht er selber, sondern ein Duo bestehend aus Shigefumi Hino und Masamichi Abe. Dennoch war der „Mario“- und „Zelda“-Vater von den ersten Phasen an intensiv beteiligt. Das Spiel, in dem man die Kontrolle über zahlreiche der namensgebenden zuckersüßen Pikmin übernimmt – eine Art Kreuzung aus Ameisen und Pflanzen –, debütierte in Japan im Oktober 2001 für den GameCube. Es heimste zwar sehr gute Kritiken ein, verkaufte sich weltweit aber nur mäßig. Dennoch kündigte Miyamoto im Dezember 2002 die Entwicklung einer Fortsetzung an. Dazu übernahmen Hino und Abe wieder die Regie.
Mitte 2003, als der zweite Teil noch gar nicht veröffentlicht war, äußerte Miyamoto während einer Gesprächsrunde nach einem Vortrag an der Universität Tokyo, dass er bereits die Grundidee für „Pikmin 3“ im Kopf habe. Zunächst aber kam, wohlgemerkt nach einer Verschiebung um ein halbes Jahr, im April 2004 „Pikmin 2“ in Japan auf den Markt und ein paar Monate später auch in Nordamerika und Europa.
2007 bis 2008: Die ersten Hinweise und die Ankündigung
Die Verkaufszahlen von „Pikmin 2“ blieben hinter denen des Vorgängers zurück. Von einem potenziellen dritten Spiel war in der folgenden Zeit entsprechend nicht mehr die Rede. Das änderte sich, als sich IGN im Juli 2007 auf der Spielemesse E3 bei Miyamoto nach einem neuen Ableger der Geheimtipp-Reihe erkundigte. „Ich glaube gewiss nicht, dass wir das Letzte von den Pikmin gesehen haben“, antwortete er damals. „Ich möchte auf jeden Fall gerne etwas mit ihnen machen, und ich denke, dass sich die Benutzeroberfläche der Wii besonders gut für dieses Franchise eignet.“ Mit dieser und ähnlichen Aussagen deutete Miyamoto an, dass ein neues „Pikmin“ bereits in der Mache sein könnte.
Die offizielle Ankündigung von „Pikmin 3“ erfolgte genau ein Jahr später auf der E3 2008 – wobei von „offiziell“ nur bedingt die Rede sein kann. Das Spiel wurde nicht etwa vom Konzern im Rahmen der Pressekonferenz angekündigt, sondern persönlich von Miyamoto während einer Gesprächsrunde mit Journalistinnen und Journalisten. Mehr als ein „Wir machen ‚Pikmin‘!“ äußerte Miyamoto aber nicht; weder eine Plattform noch die genaue Art des Projekts gab er bekannt. Es handelte sich somit eher um eine beiläufige Bestätigung.
Im Oktober 2008 wurden – diesmal hochoffiziell – Wii-Neuauflagen von „Pikmin“ und „Pikmin 2“ im Rahmen der Reihe „New Play Control!“ angekündigt. Rasch stand die Frage im Raum: Hat Miyamoto mit seinen „Pikmin“-Aussagen von 2007 und 2008 etwa nur diese Neuauflagen gemeint? Auf Nachfrage von IGN bestätigte aber Cammie Dunaway, Executive Vice President of Sales and Marketing bei Nintendo of America, dass sich Miyamoto im Juli tatsächlich auf einen völlig neuen „Pikmin“-Teil bezogen habe.
2009: Weiterhin mit nur kleinem Entwicklerteam
Im nächsten Jahr gab es auf der E3 2009 keine Neuigkeiten zu „Pikmin 3“. Im Umfeld der Spielemesse bestätigte Miyamoto aber, dass sich das Projekt weiterhin in Arbeit befinde. Außerdem erklärte er, dass das Entwicklerteam noch nicht habe aufgestockt werden können, da Nintendo an vielen anderen Spielen arbeite. Neben „New Super Mario Bros. Wii“, „The Legend of Zelda: Spirit Tracks“ und „Super Mario Galaxy 2“ war es vor allem das damals noch nicht enthüllte „Zelda: Skyward Sword“, das viele Ressourcen bei der Entwicklungsabteilung Nintendo Entertainment Analysis & Development (EAD) beanspruchte. Da außerdem langsam der Umstieg auf die zwei neuen Konsolen 3DS und Wii U anstand, ist im Rückblick allzu verständlich, dass ein hinsichtlich des Verkaufspotenzials eher kleiner Titel wie „Pikmin 3“ auf der Strecke blieb.
2010: Pikmin 3 noch immer nicht in der vollen Produktion?
Es schien zur Tradition geworden zu sein, dass sich Miyamoto jedes Jahr zur E3 semi-offiziell in Interviews oder Gesprächsrunden kleine Details zu seinem „Pikmin“-Projekt entlocken ließ. Entsprechend konnte es sich Craig Harris von IGN auf der E3 2010 nicht verkneifen, am Ende eines weiteren Interviews mit Miyamoto das Stichwort „Pikmin 3“ fallen zu lassen, um allerwenigstens die Reaktion in der Mimik des Nintendo-Chefproduzenten sehen zu können.
Miyamoto wollte zwar nichts preisgeben und die Aufmerksamkeit lieber auf die vielen Spiele lenken, die auf der Show präsentiert wurden. Was er dann aber erklärte, klang äußerst vage und machte deutlich, dass sich der Stand des Projekts seit seiner letzten Äußerung kaum geändert hatte: „‚Pikmin‘ ist ein Projekt, an dem wir arbeiten, und vielleicht nähern wir uns dem Punkt, an dem wir beginnen werden, die Größe des Entwicklerteams zu erhöhen.“ Daneben bestätigte Miyamoto, dass das Spiel für die Wii vorgesehen sei. Bis dahin war die Zielplattform noch völlig unbekannt gewesen.
Mit diesem Video leitete Nintendo 2012 die E3-Pressekonferenz und die Weltpremiere von „Pikmin 3“ ein.
2011–2013: Vom Wechsel auf die Wii U bis zur Veröffentlichung
2011 ging das Spielchen in die nächste Runde. Auf einer Gesprächsrunde während der E3 brachte Miyamoto wieder „Pikmin 3“ zu Wort und teilte mit, dass es für die frisch enthüllte Wii-U-Konsole erscheinen werde. Damals hatte Nintendo noch kein einziges Wii-U-Spiel offiziell angekündigt, es war Miyamoto aber ein Herzensanliegen, wenigstens „Pikmin 3“ zu bestätigen. Er hätte den Titel gern zum damals anstehenden zehnjährigen Jubiläum der Reihe veröffentlicht, doch mit dem Wechsel der Plattform war dies nicht mehr möglich. Dennoch gab er sich optimistisch: „Da wir seit einiger Zeit an ‚Pikmin‘ für Wii gearbeitet haben, wird es vielleicht nicht zu lange dauern, bis wir es auf der Wii U sehen.“
Ein Jahr später wurde „Pikmin 3“ dann endlich auf der E3 2012 offiziell präsentiert. Es war der erste im Rahmen der Nintendo-Pressekonferenz gezeigte Titel und wurde mit einem liebevollen Video eingeleitet, in dem die Pikmin den Backstage-Bereich unsicher machten. „Pikmin 3“ sollte im Launchfenster der Wii U erscheinen. Ende des Jahres wurde es auf das zweite Quartal 2013 verschoben, und im April 2013 ein weiteres Mal, diesmal auf Juli bzw. August 2013.
Zurück zum Ursprung
Nachdem wir das lange, lange Warten auf „Pikmin 3“ haben Revue passieren lassen, stellt sich die Frage, was in der ganzen Zeit hinter den Kulissen vor sich gegangen ist. Die Interviews mit Miyamoto geben in dieser Hinsicht leider nur wenig Auskunft. Über die Anfänge erzählte er, dass das Entwicklerteam bereits mit „Pikmin 2“ die Kritikpunkte der Spielerinnen und Spieler am ersten Teil berücksichtigen wollte. Doch habe man sich dabei stets folgende Frage gestellt: „Wenn man die Dinge verbessert, mit denen die Fans nicht zufrieden sind, ergibt das auch ein spaßiges Spiel?“ Aus dem Nachdenken darüber, welche Art von Spiel der erste Teil von Anfang an hätte sein sollen, sei es dann zur Entscheidung gekommen, einen dritten Teil zu entwickeln.
In einem Interview von Mitte 2012 äußerte Miyamoto, dass er „mit einem sehr, sehr kleinen Team“ seit etwa fünf Jahren an „Pikmin 3“ gearbeitet und „eine Vielzahl von Experimenten“ angestellt habe. Demnach begann die Entwicklung gegen Mitte 2007, und damit zu jener Zeit, in der der Produzent erstmals Hinweise auf einen möglichen dritten Teil gegeben hatte. In den frühen Phasen wurden intensive Diskussionen darüber geführt, welche Art Spiel der dritte Teil werden sollte. Miyamoto erläuterte, dass sich „Pikmin 1“ mehr auf Strategie, der zweite Teil hingegen mehr auf Erkundung konzentriert habe. Letztlich konnte sich der strategische Aspekt, den auch der Serienvater persönlich bevorzugte, für das Konzept des dritten Teils durchsetzen.
Winzige Wuselwesen auf Wohnungssuche
Für welche Plattform der dritte „Pikmin“-Teil entstehen sollte, war in den frühen Phasen noch völlig offen. Man experimentierte mit Prototypen für Game Boy Advance, DS, Wii und sogar 3DS. In den Testversionen für den DS drehte sich letztlich alles nur um die Verwaltung von Einheiten mittels des Touchpen. „Und egal was, es wirkte einfach nicht wie ‚Pikmin‘“, so Miyamoto.
Da einerseits sich die Vorstellungen des Teams auf den Handhelds nicht zufriedenstellend realisieren ließen, andererseits sich Bewegungssteuerung als ideal für die Steuerung der knuffigen Kerlchen erwies, setzte sich die Wii als Zielplattform durch. Als etwas später die überarbeitete Wii Motion Plus zur Verfügung stand, wurde die Steuerung noch intuitiver und präziser. Miyamoto bezeichnete den Übergang von der gewöhnlichen Wii-Fernbedienung mit Nunchuk zu Wii Motion Plus für das Projekt als „große Veränderung“.
Plattformwechsel und Projektneustart
Als die Entscheidung für die Wii als Zielplattform gefallen war, befand sich intern bereits die leistungsfähigere Nachfolgekonsole in Arbeit. Das Entwicklerteam sah in der Wii U mehrere große Vorteile für „Pikmin 3“: Erstens das GamePad, das als zweiter Bildschirm jederzeit eine übersichtliche Karte anzeigen konnte, zweitens die HD-Grafik, dank der die vielen kleinen Pikmin detailreicher dargestellt werden konnten, sowie drittens die erhöhte Prozessorleistung. Da die Wii U auch die Controller der alten Wii unterstützen sollte, sodass die für das Projekt maßgebliche Kombination aus Wii Motion Plus und Nunchuk beibehalten werden konnte, wird das Team nicht lange gezögert haben, die Zielplattform zu wechseln.
Noch auf der E3 2010 hatte Miyamoto gegenüber IGN seine Aussage getätigt, dass man sich „vielleicht dem Punkt“ nähere, an dem man das Entwicklerteam zu erweitern beginnen werde, und als Plattform erstmals die alte Wii genannt. Der Übergang des Projekts zur Wii U fand wenig später im Sommer oder Herbst statt. „Die Wii U war keine Hardware, die speziell für ‚Pikmin‘ entworfen wurde“, resümierte Miyamoto, „aber die Wii U war die am besten geeignete Hardware, um ‚Pikmin‘ zu entwickeln.“ Im Zuge des Plattformwechsels wurde das Spiel praktisch von Grund auf neuentwickelt. Dafür führte Miyamoto den großen Sprung in der Hardware hinsichtlich der Entwicklungsstruktur und der Technik an. Am eigentlichen Spielkonzept habe sich aber nur wenig geändert: „Im Grunde würde ich sagen, dass sich das Spiel nicht allzu sehr verändert hat.“
In der Zusammenschau ergibt sich somit folgendes Bild: „Pikmin 3“ war ab Mitte 2007 in der Mache, blieb über Jahre aber ein sehr kleines und experimentelles und damit niedrig priorisiertes Projekt. Erst gut drei Jahre später und in etwa parallel zur Entscheidung, das Spiel von der Wii auf die Wii U zu übertragen, nahmen die Arbeiten richtig Fahrt auf.
Vierter Held, weitere Pikmin und viele Gegner: Was es nicht ins Spiel schaffte
Eine große Gameplay-Erweiterung des dritten „Pikmin“-Teils besteht darin, dass es nun gleich drei Spielfiguren gibt, die die Pikmin anführen: Alph, Brittany und Charlie. Dem Entwicklerteam ging es weniger darum, Figuren mit eigenen Persönlichkeiten zu gestalten; vielmehr betrachtete man sie, so Miyamoto, einfach als „werfbare Werkzeuge“. Mitte 2012 waren sogar vier Helden vorgesehen. Da es aber aus Sicht des Teams zu kompliziert wurde, zwischen ihnen zu wechseln, reduzierte man die Anzahl auf drei und verwarf „D“, die vierte Figur.
Ebenfalls verworfen wurde ein Sumpfgebiet, das kurz im ersten Trailer zu „Pikmin 3“ zu sehen war. Darüber hinaus konnten Hacker in den Spieldaten weitere verworfene Materialien ausfindig machen. Darunter befindet sich eine ganze Reihe an ungenutzten Gegnern, manche davon aus den Vorgängern bekannt, manche ganz neu für den dritten Teil entworfen. Außerdem sollten die Pikpik-Karotten offenbar ursprünglich als eine eigenständige Pikmin-Art fungieren. Sie sind zwar grundsätzlich funktionstüchtig, können aber nicht geworfen werden, und sobald sie einen Gegner angreifen, stürzt das Spiel ab.
Die wahren Kommandantinnen und Kommandanten der Pikmin
So oft, wie der Name „Miyamoto“ schon gefallen ist, kann schnell der Eindruck entstehen, als hätte die Nintendo-Legende das Projekt selber geleitet. Laut Miyamotos Übersetzer Bill Trinen war „Pikmin 3“ zwar sein liebstes Spiel, an dem er gearbeitet hat. Doch wie auch schon bei den Vorgängern saß Miyamoto nicht höchstpersönlich im Regiestuhl, sondern fungierte als Produzent. Die eigentliche Projektleitung lag in den Händen von Shigefumi Hino, seines Zeichens einer der beiden Director der Vorgänger, und Yuji Kando, der bei den vorherigen Teilen als Programmierer involviert gewesen war. Parallel zu „Pikmin 3“ entstanden in der von Hiroyuki Kimura geleiteten vierten EAD-Unterabteilung übrigens die beiden „New Super Mario Bros.“-Spiele für 3DS und Wii U. Unterstützung leistete das „Xenoblade“-Studio Monolith Soft.
Die Musik, die wesentlich zur entspannten und niedlichen Atmosphäre des Spiels beiträgt, wurde geschrieben von Asuka Hayazaki, Atsuko Asahi und Hajime Wakai. Am bekanntesten von diesen Dreien ist Wakai, der nicht nur an den ersten zwei „Pikmin“-Teilen, sondern auch an zahlreichen weiteren bedeutenden Nintendo-Spielen wie „Star Fox 64“, „Zelda: The Wind Waker“, „New Super Mario Bros.“ oder „Mario Kart Wii“ als Komponist beteiligt war.
Das Ende der Durststrecke
Nach einer Entwicklungs- und Wartezeit von insgesamt sechs Jahren kam „Pikmin 3“ am 13. Juli 2013 in Japan auf den Markt. Am 26. Juli war es in Europa soweit, und in Nordamerika folgte das Spiel am 4. August. Nach den beiden Launchtiteln „Nintendo Land“ und „New Super Mario Bros. U“ sowie der Minispielsammlung „Game & Wario“ war es das erste größere hauseigene Spiel, das für die Wii U erschien. „Pikmin 3“ verlieh der Konsole einen dringend nötigen Schub, konnte ihre misslungene Markteinführung aber natürlich nicht mehr ungeschehen machen.
Der Flop der Wii U sorgte dafür, dass sich der von Fans und Spielepresse hoch gefeierte dritte Teil der Nischenreihe nicht sonderlich gut verkaufte. Offizielle Gesamtverkaufszahlen hat Nintendo nie bekanntgegeben. Da der Titel auf der Liste der zehn meistverkauften Wii-U-Spiele nicht auftaucht, muss er sich weniger als 2,27 Millionen Mal verkauft haben.
Ein Mauerblümchen blüht auf
Wie auch viele andere Wii-U-Spiele erhielt „Pikmin 3“ eine zweite Chance. Am 30. Oktober 2020 erschien nämlich „Pikmin 3 Deluxe“ für Nintendo Switch, entwickelt vom japanischen Studio Eighting. Neben einem neuen Prolog und Epilog mit Olimar und Louie, den Protagonisten der ersten beiden Teile, sind auch die DLC-Missionen enthalten. Bereits Ende März 2021 beliefen sich die Verkaufszahlen für diese erweiterte Portierung auf 2,04 Millionen Exemplare, sodass der Titel auf der Switch erfolgreicher war als in seiner ursprünglichen Wii-U-Fassung.
Wegen Miyamotos besonderer Bindung zur „Pikmin“-Marke dürfte den Verkaufszahlen aber ohnehin nur eine begrenzte Relevanz für die Zukunft der Reihe zukommen. Dass es mit „Hey! Pikmin“ (3DS, 2017; entwickelt von Arzest) sowie „Pikmin Bloom“ (Android/iOS, 2021; entwickelt von Niantic) zwei Spin-offs gab und nun der vierte Teil erscheint, sollte Beweis genug sein. Mit der bislang bekannten Geschichte hinter „Pikmin 4“, die verblüffende Parallelen zu der des dritten Teils aufweist, beschäftigen wir uns im verbleibenden Teil der Reportage.
2015: Pikmin 4 – „kurz vor der Fertigstellung“
Erstmals bestätigt wurde „Pikmin 4“ im September 2015, also etwas mehr als zwei Jahre nach Veröffentlichung von Teil 3. Wie schon bei diesem erfolgte die Ankündigung nicht offiziell durch Nintendo, sondern durch Miyamoto bei einem Pressetermin. In einem Interview mit Eurogamer, das bereits im Juli geführt worden war, gab die Videospiellegende die Entwicklung des Spiels bekannt. Das „Pikmin“-Team arbeite ständig an einem neuen Spiel, erklärte er, ließ es aber nicht mit dieser vagen Aussage bewenden: „Es steht eigentlich sehr kurz vor der Fertigstellung“.
Eine solche Spieleankündigung im Rahmen eines Interviews ist für Nintendo sehr ungewöhnlich. Da Eurogamer nicht das gesamte Gespräch veröffentlicht hat, ist nicht nachvollziehbar, wie genau Miyamoto auf „Pikmin 4“ zu sprechen gekommen ist bzw. in welchem Kontext er sich dazu äußerte. Auf Anfrage bestätigte Nintendo die Meldung aber gegenüber Eurogamer. Jenseits der puren Tatsache, dass „Pikmin 4“ in Entwicklung sei, wurden keine Details bekannt, und auch die Zielplattform blieb unerwähnt. All das erinnerte alte Nintendo-Hasen an 2007 und 2008, als Miyamoto die ersten Andeutungen zum dritten Teil gemacht hatte – mit dem großen Unterschied, dass „Pikmin 4“ diesmal als fast fertig bezeichnet wurde.
2016–2017: So nah – und doch so fern
Auf der E3 2016 fragte GameRant bei Miyamoto nach dem Status des Projekts nach. Er antwortete: „Wenn wir in der Entwicklung sind, müssen wir eine Prioritätenliste erstellen, und es war schwierig, das [‚Pikmin 4‘] in diese Liste unterzubekommen. Aber wir hoffen, dass wir jetzt anfangen, es auf der Liste zu sehen.“ Diese zweite Äußerung Miyamotos zu „Pikmin 4“ klang ganz anders als die Interviewaussage ein Jahr zuvor gegenüber Eurogamer. Weit davon entfernt, fast fertiggestellt zu sein, erweckte das Spiel nun den Eindruck, sich in einer ähnlichen Phase zu befinden wie einige Jahre zuvor auch der dritte Teil.
Mit anderen Worten: Die Entwicklung schien noch nicht richtig Fahrt aufgenommen zu haben, da dem Projekt intern eine niedrige Priorität zugemessen wurde. Damals befanden sich große Spiele für die kommende Nintendo Switch in der Mache, etwa „Zelda: Breath of the Wild“ oder „Super Mario Odyssey“. Daher kann man sich sehr gut vorstellen, wie „Pikmin 4“ den Kürzeren zog.
Eine dritte Äußerung von Miyamoto bezüglich „Pikmin 4“ erfolgte auf der E3 2017. Sie sollte für einige Jahre das letzte Lebenszeichen des Projekts bleiben. Im Rahmen eines Interviews von Eurogamer auf das Spiel angesprochen, antwortete Miyamoto damals mit einem Lachen: „Ich wurde von der PR-Abteilung angewiesen, nichts darüber mitzuteilen, aber ich kann Ihnen sagen, dass es Fortschritte macht.“
Mit diesem Trailer enthüllte Nintendo „Pikmin 4“ nach sieben Jahren Wartezeit am 13. September 2022. Viel verriet das kurze Video zwar nicht, doch die Fans waren verständlicherweise aus dem Häuschen vor Begeisterung!
Was geschah hinter den Kulissen?
Bis zur offiziellen Enthüllung von „Pikmin 4“ innerhalb einer „Nintendo Direct“-Ausstrahlung am 13. September 2022 gab es keinerlei neue Informationen zu dem Projekt. In den dazwischenliegenden Jahren ist sehr viel spekuliert worden, was es mit dem Ausbleiben jenes Spiels, das doch 2015 schon „fast fertig“ gewesen sein soll, auf sich haben könne. Eine beliebte These lautete, dass Miyamoto sich damals eventuell auf das Spin-off „Hey! Pikmin“ bezogen hat. Allerdings erschien dieses erst 2017, war also 2015 durchaus nicht „fast fertig“. Außerdem war spätestens Mitte 2017 offenkundig, dass Miyamoto nicht dieses Spiel meinen konnte, zumal er an der Entstehung des Spin-offs kaum beteiligt war.
Zum Zeitpunkt, da wir diese Zeilen schreiben, sind noch keine Details zur Entstehung von „Pikmin 4“ bekanntgegeben worden, sodass wir das große Rätsel (noch?) nicht lüften können. Am plausibelsten scheint aber zu sein, dass sich das Szenario von „Pikmin 3“ wiederholt hat: Um 2015 begann ein kleines Team die Arbeiten an „Pikmin 4“, konnte wegen der niedrigen Priorität des Projekts aber nicht groß durchstarten. Als die Ablösung der Wii U durch die Switch bevorstand, dürfte das Projekt auf die neue Konsole übertragen worden sein, was eine weitere Verzögerung mit sich brachte.
Das Ende einer langen Reise
Völlig offen bleibt freilich, warum Miyamoto 2015 explizit äußerte, dass sich das Spiel der Fertigstellung nähere. Eventuell lag schlicht und ergreifend ein Missverständnis vor, da Interviews mit Miyamoto immer über einen Dolmetscher erfolgen, zumal der genaue Wortlaut und Kontext der Aussage nicht nachprüfbar sind. Möglich ist aber auch, dass das Projekt intern abgebrochen worden war und erst zu einem späteren Zeitpunkt neugestartet wurde.
In diese Richtung wiesen angebliche Insider, die im September 2021 behaupteten, dass die Entwicklung von „Pikmin 4“ 2019 neugestartet worden sei. Da Nintendos interne Abteilungen für gewöhnlich absolut wasserdicht sind, handelt es sich dabei eher um wenig verlässliche Spekulationen. Grundsätzlich ist dieses Szenario aber nicht unplausibel. Dafür könnte nämlich sprechen, dass Seriendirector Hino in den Jahren nach „Pikmin 3“ als Game Designer der „Super Mario Maker“-Spiele ausgelastet war, deren zweiter Teil 2019 auf den Markt kam.
Was auch immer sich hinter den Kulissen abgespielt haben mag: Nach einer Wartezeit von acht Jahren und ungefähr zehn Jahre nach „Pikmin 3“ steht nun die Veröffentlichung des vierten Teils kurz bevor. „Ein verschobenes Spiel ist letztendlich gut, aber ein übereiltes Spiel ist für immer schlecht“: Ob Miyamoto diesen Satz tatsächlich einmal geäußert hat oder nicht, es sieht alles danach aus, als würde er sich ein weiteres Mal bewahrheiten.
Die Quellen der einzelnen Interviewaussagen von Miyamoto sind an den entsprechenden Stellen des Textes verlinkt. Als Quellen für den Teil zur Entwicklung von „Pikmin 3“ fungierten folgende Miyamoto-Interviews: Adam B. Vary: „E3: Nintendo’s Shigeru Miyamoto talks bringing ‚The Legend of Zelda‘ to the Wii U“, PopWatch, 7. Juni 2012, archivierte Version im Internet-Archiv; Richard George: „The Origins of Pikmin 3“, IGN, 11. Juni 2012; Miyamoto-Interview mit 4Gamer vom 13. Juni 2013, Übersetzung bei kamedani.tumblr.com (Teil 1, Teil 2); Griffin McElroy: „Pikmin 3: Little Plants in the Shadows of Giants“, Polygon, 18. Juni 2013.
Das sagen unsere Leser