Inside Nintendo 136: Der Wii-Bericht – Teil 2: Nintendo bringt Bewegung ins Spiel

Im ersten Teil unseres Wii-Reports haben wir uns mit der Theorie hinter Nintendos Konsole der siebten Generation beschäftigt. Die Japaner wollten – etwas überspitzt formuliert – nicht weniger, als die ganze Videospielindustrie vor dem Untergang bewahren. Eine neue Konsole musste her, die nicht die schnellste Rechenleistung bieten, sondern der ganzen Familie gefallen sollte. Wii sollte klein, unauffällig, energiesparend und leise sein. Doch mit dem Design der Konsole war nur der erste Schritt absolviert. Noch entscheidender war der neue Controller der Konsole, der alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen sollte.

Die Wii-Fernbedienung ist gewiss einer der ungewöhnlichsten Controller der Videospielgeschichte!

Ein innovativer Controller

Im Wesentlichen sind es drei Merkmale beziehungsweise Funktionen, die die Wii-Fernbedienung einzigartig machten: Sie hat die Form eines Stabes und wird daher anders als andere Spielecontroller in nur einer Hand gehalten; sie kann ihre Position relativ zum Fernseher ermitteln und so als Zeiger verwendet werden; und zuletzt kann der Controller durch Beschleunigungssensoren Bewegungen wahrnehmen. Mit Bewegungssteuerung hat Nintendo schon vor der Markteinführung des GameCube experimentiert – doch es sollten zahllose weitere Ideen ausprobiert werden, bis endlich das Konzept der Wii-Fernbedienung feststand.

Beginnen wir mit den Zielsetzungen für den Controller des GameCube-Nachfolgers. Da die nächste Konsole eine völlig neue Spielerfahrung bieten sollte, dürfte schnell festgestanden haben, dass dazu ein ebenso neuartiger Controller notwendig wäre. Immerhin ist das Gamepad ja das Medium, durch das der Spieler mit der Spielekonsole interagiert. Aber nicht Innovation um der Innovation willen war hier die treibende Kraft, vielmehr lag der ausschlaggebende Impuls darin, dass Nintendo mit dem GameCube-Controller, in den man so große Hoffnungen gesetzt hatte, im Nachhinein nicht zufrieden war.

Mehr als nur mehr

Nintendo hatte gedacht, durch das Hinzufügen möglichst vieler Tasten den perfekten Controller entwickelt zu haben. Freilich gilt der GameCube-Controller wegen seiner griffigen Haptik vielen Spielefans als favorisiertes Eingabegerät. Doch auf der Suche nach Faktoren, die Videospiele für ein größeres Publikum zunehmend uninteressant werden ließen, wurde Nintendo klar: Der Controller des Spielwürfels wirkte aufgrund der vielen Tasten auf viele Menschen abschreckend. Dabei hatte Nintendo bei allen vorherigen Konsolengenerationen den Controllern stets zusätzliche Tasten, Knöpfe und Sticks gegönnt.

Den GameCube-Controller nun noch weiter zu ergänzen, hätte aber in eine Sackgasse geführt. Nicht nur im Bereich der Leistungsfähigkeit musste sich Nintendo also vom „Immer mehr“-Leitsatz abwenden, auch für den Spielecontroller sah der Konzern die Bedeutung des Sprichworts „Weniger ist Mehr“ ein. Daher gingen die Ingenieure grundsätzlich anders an die Planung heran, wie Akio Ikeda, einer der leitenden Entwickler der Wii-Fernbedienung, zusammenfasste: „Beim Controller für die Wii-Konsole haben wir […] nicht nur addiert, sondern auch subtrahiert, und sogar multipliziert und dividiert.“

So übrigens sehen Wii-Fernbedienung und Nunchuk aus, wenn man sie auseinandernimmt. Dieses und weitere faszinierende Bilder zum Innenleben von Nintendo-Controllern findet ihr bei fictiv.com.

Nintendo schwimmt gegen den Strom

Die verantwortlichen Ingenieure gingen also ohne einen festen Plan an die Konzeption heran; sie wollten den Spielecontroller ganz neu definieren. Bald einigten sie sich auf einige Grundsätze: Das neuartige Eingabegerät sollte kabellos sein sowie eine einfache, intuitive und verständliche Bedienung ermöglichen. Nur so konnte es das Kriterium der „Mutterfreundlichkeit“ bestehen; nur so war es möglich, die Zielgruppe des Videospielmarktes zu erweitern. „Es sollte ein Controller werden, bei dem man unwillkürlich das Bedürfnis hat, ihn in die Hand zu nehmen“, sagte Ikeda.

Mit anderen Worten sollte der neue Controller die Interaktion zwischen Spieler und Konsole völlig neu überdenken. „Um es etwas drastisch auszudrücken“, sagte Nintendo-Mastermind Shigeru Miyamoto: „Ich habe mich mit den [Industriedesign-]Leuten zusammengetan, um einen Kampf gegen all die Leute zu führen, die den jetzigen Markt geschaffen haben, oder sie herauszufordern.“ Zu dieser Zeit erarbeitete Nintendo auch das Konzept des Nintendo DS, der ebenfalls neue Wege beschritt – ein Trend, den die neue Heimkonsole mit dem Projektnamen „Revolution“ fortführen sollte. Der große Erfolg des DS bestärkte Nintendo in diesem Vorhaben. „Wäre der DS gefloppt, hätten wir mit der Wii zurück ans Reißbrett gemusst“, so Miyamoto.

Projektphase „profundes Probieren“

Mitte 2004 waren die Arbeiten an dem neuen Controller in vollem Gange. Da sich Nintendo-Präsident Satoru Iwata persönlich besonders auf das DS-Projekt konzentrierte, hatte Miyamoto die Aufsicht über die Entstehung der Wii-Fernbedienung, während die eigentliche Leitung dem Konsolen-Chefentwickler Genyo Takeda oblag. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Hardware- und Software-Entwicklern prägte die Entstehung des Controllers der „Revolution“. Denn während Takedas Hardware-Leute neue Controller-Konzepte erarbeiteten, gaben Miyamotos Software-Entwickler Feedback zu den Prototypen ab und dachten sich dazu neue Spielmöglichkeiten aus.

So trafen sich die Ingenieure etwa zwei Mal im Monat mit einer Gruppe von etwa 40 Spieleentwicklern. Dieses Vorgehen war sehr produktiv: „Ich bin mir sicher, dass wir noch nie so viel Input hatten wie diesmal“, schätzte Hardwaredesigner Kenichiro Ashida und sprach von „wirklich unglaublich viele[n]“ Prototypen, die in dieser Zeit entstanden. Die Ingenieure ließen ihrer Kreativität freien Raum und zogen die unterschiedlichsten Steuerungsvarianten und Eingabemethoden in Erwägung, darunter sogar Touchscreen, Maus und Touchpad. „Miyamoto-san hat während unserer Sitzungen sein Mobiltelefon hervorgeholt und uns enthusiastisch gefragt: ‚Können wir nicht so etwas daraus machen?‘“, erinnerte sich Ikeda zurück, und Miyamoto fügte hinzu: „Ich habe sogar die Fernbedienung meines Navigationssystems mitgebracht!“

Dieses Bild wurde Ende 2006 in der japanischen Nikkei veröffentlicht und zeigt Prototypen zum Controller der Wii, deren Funktionsweisen jedoch nicht ganz klar sind. Das runde, orangefarbene Monstrum in der Mitte ist jedenfalls der „Cheddar“-Prototyp. Die anderen Entwürfe haben gewisse Ähnlichkeiten – von links nach rechts – mit der finalen Wii-Fernbedienung, mit dem SNES- und mit dem GameCube-Controller.

Der Cheddar-Prototyp

Der wohl verrückteste Prototyp aus dieser Zeit war ein runder Controller, der in der Mitte eine große sternförmige Taste umgeben von drei kleineren Tasten hatte. Neigungssensoren nahmen die Bewegungen des Controllers wahr. Auch wenn hier der zuletzt ausschlaggebende Aspekt der Bewegungssteuerung schon vorhanden war, erwies sich dieser Controller als völlig ungeeignet für herkömmliche Spiele, mit denen die „Revolution“ ja bis zu einem gewissen Grad kompatibel sein sollte. Dieser Controller-Prototyp, den das Team aufgrund seiner ungewöhnlichen Form als „Cheddar-Käse“ bezeichnete, fiel daher durch. „Niemand mochte ihn“, erinnerte sich Miyamoto zurück.

Der „Cheddar“-Prototyp zeigt, dass die Ingenieure in alle Richtungen experimentierten, und auch wenn sich manche dieser Ideen als Sackgasse erwiesen, war dieser Experimentierprozess doch unentbehrlich. Miyamoto erklärte: „[S]o haben wir auch solche Ideen geprüft, die etwa vorsahen, dass man seine Hände gar nicht einsetzt, oder den Controller auf den Kopf setzt, um nur zwei Beispiele zu nennen.“ Zu abgehoben durften die Ideen letztlich aber auch nicht sein. „Wir wollten also ein mutiges, gewagtes Design, das sich dennoch im Rahmen des Vernünftigen bewegt.“

Die Revolution: ein einhändig zu bedienender Controller

Auch wenn das neue Eingabegerät durchaus auch mit klassischen Spielen kompatibel sein sollte, so stellte Nintendo allmählich eines der ungeschrieben Gesetze für Videospielcontroller in Frage. Es kam nämlich die Idee zu einem stabförmigen Controller auf, der wie ein Zeigegerät verwendet werden sollte. Eine frühe Umsetzung, die nach dem Fächer des Schiedsrichters im Sumo-Ringkampf als „Gunbai“ bezeichnet wurde, war ein länglicher Controller mit einem Zeigegerät in der Mitte. Der „Gunbai“-Prototyp wurde allerdings noch in beiden Händen, also seitlich gehalten.

„Aber irgendwie war das alles nicht ganz stimmig“, sagte Takeda. Daher wurde das Design bald umgeändert zu einem Stab, der nur mit einer Hand gehalten wird. Langsam vollzog sich also der Abschied von der Vorstellung, ein Controller müsse beidhändig bedient werden. Dies war der entscheidende Wendepunkt in der Entwicklung der Wii-Fernbedienung: „In diesem Moment hatte ich das Gefühl, dass wir es endlich geschafft haben“, sagte Miyamoto, und Iwata erinnerte sich an die erste Präsentation dieses Prototyps zurück: „Von dem Moment an, als ich ihn das erste Mal in der Hand hielt, fühlte er sich einfach richtig an.“

Zu solch revolutionären Überlegungen wäre Nintendo in den 1990er Jahren noch nicht fähig gewesen. Denn Miyamoto gestand ein: „Selbst damals gab es Leute, die die Spiele mit einer Hand steuern wollten. Wir hatten durchaus Verständnis dafür. Aber damals haben wir gesagt: ‚Leute, das könnt ihr vergessen!‘“ Takeda fügte hinzu: „Damals waren wir alle der Überzeugung, dass man den linken Daumen niemals vom Steuerkreuz nehmen sollte.“ Angesichts solcher Haltungen wird deutlich, was für eine videospielgeschichtliche Revolution die Wii tatsächlich war.

Besonders kreativ nutzt Nintendo die Infrarot-Technik übrigens im Japan-exklusiven „Television Friend Channel“. Hier dient die Wii-Fernbedienung als Fernseh-Fernbedienung – doch da der Controller selbst keine Infrarotsignale aussenden kann, musste Nintendo tief in die Trickkiste greifen: Die Sensorleiste erzeugt entsprechende Signale, die von der gegenüberliegenden Zimmerwand abprallen und so auf das Fernsehgerät treffen. Wenn das mal nicht „Lateral Thinking With Seasoned Technology“ ist!

Neue Ideen mit alten Bauteilen

Ende 2004, etwa ein halbes Jahr nach Beginn der Controller-Konzeptfindung, entstand der Prototyp eines stabförmigen Controllers, den man in nur einer Hand hält und der als Zeigegerät fungiert. Doch wie funktioniert die Zeigefunktion im Detail? Die verbreitete Annahme ist, dass die Sensorleiste der Wii-Konsole Infrarot-Singale der Wii-Fernbedienung empfängt, doch tatsächlich ist es genau umgekehrt: Der Controller hat vorne einen Wärmebildsensor, der die für das menschliche Auge nicht sichtbaren Infrarot-Lichtsignale wahrnehmen kann, die an den beiden Enden der Sensorleiste erzeugt werden. Die Sensorleiste, genauer deren Infrarot-LEDs dienen als fixer Orientierungspunkt für die Zeigefunktion der Wii-Fernbedienung. Diese sendet die Positionen der zwei Infrarot-Lichtquellen an die Wii-Konsole, die aus diesen Daten die Position der Wii-Fernbedienung in Relation zur Sensorleiste errechnet.

Die Infrarot-Sensoren in der Wii-Fernbedienung nehmen deutlich über 60 Signale pro Sekunde wahr, was ein möglichst präzises Erfassen der Zeigebewegungen ermöglicht. Die verwendeten Technologien – Infrarotlicht und Wärmebildsensoren – sind zwar alles andere als bahnbrechende Neuheiten. Doch indem Nintendo diese bewährten Elemente kreativ neu zusammensetzte, kam ein innovatives Konzept dabei heraus. Dieses Vorgehen entsprach genau dem, was Game-Boy-Erfinder Gunpei Yokoi mit seinem Leitsatz „Lateral Thinking With Seasoned Technology“ – zu deutsch etwa „Querdenkerei mit bewährter Technik“ – gemeint hatte. Dies passt zu dem, was wir schon im ersten Bericht festgestellt haben: nämlich dass Nintendo sich mit der Wii tatsächlich wieder auf seine eigenen Wurzeln besann.

Die Entstehung der Sensorleiste

Was in der Theorie simpel klingt, bedeutete in der Praxis natürlich sehr viel Arbeit. Denn damit das System mit den Infrarot-LEDs in allen Umgebungen unabhängig von Raumgröße oder Lichtverhältnissen funktioniert, waren gut zwei Jahre Tüftelei nötig. Außerdem musste die für dieses System notwendige Sensorleiste natürlich erst einmal hergestellt werden – und dann trug sie nicht gerade zur Mutterfreundlichkeit der Konsole bei. „Wirklich, wenn es ohne die Sensorleiste irgendwie machbar gewesen wäre, wäre es besser gewesen. Das war allen klar“, meinte Miyamoto. „Aber Zuverlässigkeit ist das A und O bei dieser Technologie, und die konnten wir nur mit der Sensorleiste gewährleisten.“

Wenn schon eine zusätzliche Sensorleiste für den Betrieb der Konsole notwendig war, so sollte diese zumindest klein und unauffällig sein, um mit der Philosophie hinter der Wii konform zu gehen. Das wiederum bedeutete mehr Arbeit für die Hardwaredesigner, wie Kenichiro Ashida beklagte: „Ich weiß noch gut, wie wir Miyamoto-san unzählige Prototypen zeigten – und jeder einzelne abgelehnt wurde …“ Ursprünglich sollte die Sensorleiste batteriebetrieben sein, doch damit die Spieler nicht jederzeit auf den Batteriestand achten müssen, entschied sich Nintendo letztlich für eine Stromzufuhr per Kabel zur Konsole. Die Übertragung der Daten von der Wii-Fernbedienung erfolgt nicht über dieses Kabel, sondern über Bluetooth.

Auf diesem Bild sind die Infrarot-LEDs der Sensorleiste, fünf auf jeder Seite, sichtbar gemacht. Die Sensorleiste, die ober- oder unterhalb des Fernsehers aufgestellt werden soll, dient einzig und allein als Orientierungspunkt für die Pointer-Funktion der Wii-Fernbedienung. Das gleiche Resultat lässt sich tatsächlich auch mit zwei Kerzen erzielen. (Bildquelle)

Viel Technik in einem kleinen Gerät

Auf das Tastenschema der Wii-Fernbedienung sind wir bislang noch gar nicht eingegangen. Gegenüber dem GameCube-Controller verzichtete Nintendo auf Schultertasten, X- und Y-Knöpfe sowie Control-Sticks. Dafür wurden mit Plus, Minus, Eins, Zwei und Home neue Tasten eingeführt, denen aber eher sekundäre Funktionen wie die Menüsteuerung zukommen. Der Controller ist kabellos und batteriebetrieben – einen internen Akku wie in einem Smartphone konnte Nintendo leider nicht einbauen. Dafür ist das Eingabegerät aufgrund der Stabform für Links- und Rechtshänder gleichermaßen geeignet.

Außerdem verfügt die Wii-Fernbedienung über eine Rumble-Funktion, einen Lautsprecher sowie einen internen Speicher, der etwa zum Übertragen von Mii-Charakteren genutzt wird. Zu den Eingabemethoden kommen natürlich die zwei grundlegenden innovativen Funktionen hinzu: Die Zeigefunktion sowie die eigentliche Bewegungssteuerung, die ein Schleudern oder Schütteln des Controllers erkennt. Es ist eher diese zweite Funktion, die überwiegend mit Wii assoziiert wird. Für die dahinter stehende Geschichte müssen wir jedoch etwas weiter ausholen; darum heben wir sie uns für das Ende des vorliegenden Berichts auf und beschäftigen uns vorher noch mit den Zusatzcontrollern.

Mehr als ein Controller: Nunchuk und Co.

Nintendo wollte trotz aller Bestrebungen zur Innovation die Kompatibilität zu herkömmlichen Videospielen nicht ganz aufgeben. Seitwärts in beiden Händen gehalten, ähnelt die Wii-Fernbedienung zwar dem rechteckigen NES-Controller, doch auch so lassen sich nicht alle Spielarten umsetzen. Daher erhielt die Wii-Fernbedienung einen Erweiterungsanschluss – ähnlich wie der N64-Controller, an dem Zubehör wie das Rumble Pak angeschlossen werden konnte. Der Erweiterungsanschluss der Wii-Fernbedienung hingegen ist für Zusatzcontroller gedacht, die die Steuerungsschemata herkömmlicher Videospiele ermöglichen. Einer von mehreren Zusatzcontrollern, die auf den Markt kamen, ist der für Retro-Spiele gedachte Classic Controller.

Der wichtigste dieser Nebencontroller aber ist der Nunchuk, der in zahlreichen Wii-Spielen zusammen mit der Wii-Fernbedienung eine klassische beidhändige Steuerung inklusive klassischem Analogstick erlaubt. Der Nunchuk ist erst relativ spät entstanden und sollte ursprünglich so wie der Hauptcontroller aussehen, also quasi eine zweite Wii-Fernbedienung sein. Schließlich setzte sich aber ein deutlich abgegrenztes Design durch. Dank Beschleunigungssensoren kann auch der Nunchuk Bewegungen wahrnehmen.

Alternative Entwürfe für Wii-Fernbedienung, Nunchuk und Classic Controller aus Patentunterlagen. Demnach experimentierte Nintendo unter anderem mit einem Analog-Stick und zwei zusätzlichen Tasten auf der Wii-Fernbedienung. Zu sehen ist außerdem ein Design des Nunchuk, das dem des Hauptcontrollers ähnelt. (Bildquelle)

Bewegungssteuerung für den GameCube

Die Bewegungssensoren im Controller – das wohl herausragendste Element der Wii – haben eine lange Vorgeschichte und waren ursprünglich bereits für den GameCube geplant gewesen. Genyo Takeda berichtete, Nintendo habe „vor einigen Jahren mehr als zehn Teams mit jeweils ungefähr drei Personen ins Leben gerufen, deren konkrete Aufgabe es war, sich Controller und anderes Zubehör auszudenken, die speziell für ein bestimmtes Nintendo GameCube-Spiel entwickelt und in Kombination mit diesem Spiel verkauft werden sollten.“ Neben den DK-Bongos für „Donkey Konga“ oder der Tanzmatte für „Dancing Stage Mario Mix“ ist daraus das Konzept eines Controllers mit Bewegungssteuerung entstanden.

Pläne zu einem GameCube-Controller mit Bewegungssteuerung hatte Nintendo offenbar schon sehr früh. Das Studio Factor 5 verriet nämlich, dass es während der Entwicklung des GameCube-Launchspiels „Star Wars: Rogue Leader“ den Prototyp eines GameCube-Controllers mit Bewegungssteuerung besessen habe. Ferner hatte bereits im April 2000 – anderthalb Jahre vor der Veröffentlichung des GameCube – Greg Thomas von Sega durchsickern lassen, dass Nintendo für den N64-Nachfolger an einem innovativen Sensorcontroller arbeite.

Prototyp der Wii-Fernbedienung bei Microsoft und Sony

Dass Nintendo mit Bewegungssteuerung experimentierte, zeigte sich deutlich am Game-Boy-Color-Spiel „Kirby Tilt 'n' Tumble“, das durch Neigen des Handheld gesteuert wird. Im September 2001 kündigten die Japaner schließlich eine Zusammenarbeit mit Gyration an, einem damals führenden Unternehmen in Sachen Bewegungssteuerung und Fernbedienungen. Nintendo erwarb sogar Anteile an Gyration, sodass sich die Frage stellte, woran die beiden Unternehmen wohl hinter verschlossenen Türen tüftelten.

Gyration arbeitete damals am GyroPod, einem prototypischen Controller, dessen rechte Hälfte abgenommen werden konnte. Das Besondere daran war, dass dieser einhändig zu bedienende Stab Bewegungen wahrnehmen konnte – ähnlich also wie die Wii-Fernbedienung. Wie Tom Quinn von Gyration 2012 erzählte, hatte das Unternehmen diesen Prototyp zunächst Sony und Microsoft vorgeführt, die jedoch wenig Interesse zeigten. Das Gespräch mit Microsoft sei „schrecklich“ verlaufen, während bei Sony PlayStation-Chef Ken Kutaragi fragte, ob die Technik für 50 Cent umsetzbar wäre – was sie natürlich überhaupt nicht war.

Erst infolge dieser Absagen wandte sich Gyration an Nintendo und stellte seine Erfindung einer Gruppe von neun Managern, Ingenieuren und Programmierern vor, darunter das einflussreiche Vorstandsmitglied Atsushi Asada. Während der Präsentation bat Asada darum, sich mit seinen Kollegen besprechen zu dürfen. „Sie fingen an zu sprechen“, erinnerte sich Quinn zurück, „und es entwickelte sich vor mir zu einer richtig hitzigen Diskussion. […] Mitten in dieser Debatte, die immer lauter wurde, bellte Asada schließlich etwas und es herrschte absolute Stille. […] Er entschied, unsere Patente für Bewegungssteuerung zu lizenzieren und Teile unseres Unternehmens zu kaufen.“

Hätten Microsoft und Sony den Prototyp des GyroPod nicht abgelehnt und hätte Atsushi Asada nicht eine enge Kooperation zwischen Nintendo und Gyration beschlossen, dann hätte es die Wii-Fernbedienung vielleicht nie gegeben. Diese Entwürfe zeigen Gyrations Prototyp des GyroPod mit abnehmbarer bewegungssensitiver Einheit. (Bildquelle)

Nintendo bringt den Würfel ins Rollen

Mit dieser Maßnahme im September 2001 stellte der ansonsten wenig bekannte Atsushi Asada eine wichtige Weiche für die spätere Wii, wenn er nicht sogar als deren wahrer Wegbereiter gelten muss. Über die weitere Geschichte des GyroPod-Prototypen ist aber wenig bekannt. Daher bleibt unklar, inwieweit Gyration tatsächlich mit der Technik hinter der Wii-Fernbedienung zusammenhängt. Jedenfalls hat Nintendo hinter den Kulissen an einem entsprechenden Controller für den GameCube gearbeitet, wie ein im Mai 2005 eingereichtes Patent beweist, das das Tennisspiel aus „Wii Sports“ für den GameCube zeigt. Und in einem Patent von März 2006 sehen wir sogar eine Wii-Fernbedienung, die über den WaveBird-Adapter mit dem GameCube verbunden wird.

Die Geschichte hinter der Bewegungssteuerung, die unabhängig von der Zeigerfunktion entstanden zu sein scheint, bleibt ziemlich nebulös. Wann und warum aus dem geplanten GameCube-Zubehör das zentrale Feature für die Konsole der nächsten Generation wurde, können wir nicht sagen. Doch an dieser Stelle können und möchten wir uns damit auch nicht weiter aufhalten.

Mit der Wii-Fernbedienung entstand einer der innovativsten Controller seit einigen Jahren, und doch ist sie nicht das einzige besondere Merkmal der Wii-Konsole. Nachdem wir im ersten Teil unserer Reportage mit der Entstehung und den Philosophien der eigentlichen Wii-Konsole die erste der drei Säulen des Revolution-Projekts behandelt haben, wird es in drei Wochen um die Software-Komponente der Wii gehen, die ebenfalls eine zentrale Position im Gesamtkonzept der Konsole einnimmt.

Quellen: Iwata fragt: Wii-Fernbedienung (2006); BusinessWeek: The Big Ideas Behind Nintendo's Wii, 16. November 2006, archivierte Version vom 1. Dezember 2006 im Internet-Archiv; Osamu Inoue: Nintendo Magic, New York 2010, S. 42–45, 122–128. Quellen zum Teil über die Bewegungssteuerung sind einzeln im Text verlinkt.

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Bisher gibt es sechs Kommentare

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  • Avatar von Garo
    Garo 07.03.2018, 09:27
    Zitat Zitat von Minato Beitrag anzeigen
    Wie immer top Qualität und informativ! Wieviele Teile wird der Wii-Bericht insgesamt umfassen?

    Alles darüber hinaus ist geheim.
  • Avatar von Minato
    Minato 07.03.2018, 07:23
    Wie immer top Qualität und informativ! Wieviele Teile wird der Wii-Bericht insgesamt umfassen?
  • Avatar von Garo
    Garo 05.03.2018, 09:32
    Zitat Zitat von persei8 Beitrag anzeigen
    Spitzenmäßiger Artikel, ganz toll, bitte mehr davon!!!
    Leider im Gegenteil. Bis vor kurzem gab's die ja noch jeden zweiten, mittlerweile nur noch jeden dritten Sonntag. Aber ist klar: Die fressen ja ordentlich Zeit.
  • Avatar von mithos630
    mithos630 04.03.2018, 11:12
    Super Artikel
  • Avatar von persei8
    persei8 04.03.2018, 09:59
    Spitzenmäßiger Artikel, ganz toll, bitte mehr davon!!!
  • Avatar von virus34
    virus34 04.03.2018, 08:58
    Super Bericht, vielen Dank dafür.