Tokyoo Games hat bereits bewiesen, dass es gute Spiele entwickeln und packende Geschichten präsentieren kann. Mit Spieleperlen wie der „Danganronpa“-Reihe und der „Zero Escape“-Trilogie gab es viele WTF-Momente und Szenen, die in den Köpfen der Spieler hängen geblieben sind. Nun hat ein neuer Titel den Spielemarkt erreicht und geht einen anderen Weg. Statt einem Spiel bekommt man gleich fünf in einem – fünf verschiedene Spiele mit jeweils eigener Story. Klingt zumindest beim ersten Hören sehr verlockend. Wie das Studio Tokyoo Games es umgesetzt hat, siehst du in dieser Review zu „Shuten Order“.

Amnesie, ein Klassiker
Die Story beginnt mit einer Sequenz, in der Körperteile des Protagonisten vom Himmel fallen. Anschließend wacht man in einem Hotelzimmer ohne Erinnerungen an die eigene Existenz auf. Zwei Personen verschaffen sich Zutritt in das Zimmer und stellen sich als Engel und Beschützer vor, die dich mehr oder weniger durch das ganze Spiel begleiten. Sie erklären dir, dass du Gründer der Nation und Religion von Shuten seist und getötet wurdest. Um dich selbst wiederzubeleben und das Ende der Welt zu verhindern, hat Gott dir einen vorübergehenden Körper geschenkt, um God’s Trial zu absolvieren. Dort sollst du innerhalb von fünf Tagen deinen Mörder ausfindig machen, ihn oder sie gestehen lassen und anschließend töten. Im Prolog lernt man zudem alle wichtigen Minister kennen, die als mögliche Verdächtige infrage kommen. Mit der Macht Gottes wählt man anschließend einen Minister aus, erlebt dessen Geschichte und kommt so der Wahrheit näher.

Gameplay? Was ist das?
Wer Spiele wie „Danganronpa“ oder „Zero Escape“ kennt, weiß, dass man sehr viel lesen muss. Diese Titel werden aber durch Prozesse und Escape-Room-Elemente aufgelockert, die Abwechslung bieten. Bei „Shuten Order“ hängt es stark von der gewählten Story ab. Meist wird man zu 90 % mit Texten und Bildern bombardiert wie in einer klassischen Visual Novel. Manche Geschichten lockern kleine Spielmechaniken auf, die aber nicht wirklich nennenswert sind. Selbst wenn eine Spielsequenz kommt, ist sie nur Mittel zum Zweck und selten spannend oder herausfordernd. Entscheidungen sind kaum schwerwiegend, da in den meisten Fällen sofort eine Game-Over-Szene folgt. Der Druck und die Frage, ob man die richtige Wahl getroffen hat, verfliegen also schnell.
Wer auf Story steht ist hier genau richtig
Wer sich von Textboxen nicht abschrecken lässt und auf packende Stories steht, wird mit „Shuten Order“ dennoch zufrieden sein. Die fünf verschiedenen Geschichten können sich sehen lassen. Jede ist auf ihre eigene Art speziell und spannend. Die Charaktere sind cool, schräg und passend inszeniert. Außerdem fügen sie sich gut ins Universum ein, und jede Story enthüllt immer mehr Details über die Welt, in der man sich befindet.
Das erste der fünf Spiele ist als Mystery Adventure gekennzeichnet. Als Privatdetektiv Shimobe hilft man dem Minister of Justice, eine Reihe von Mordfällen in einer abgeschiedenen Familie auf einer Insel zu klären. Dabei sammelt man Beweise, spricht mit Zeugen und untersucht Bereiche, um diese später in einer Sitzung zu präsentieren und den Mordfall aufzulösen. Klingt leider besser, als es ist. Wer „Danganronpa“ gewohnt ist, wird das Sammeln von Beweisen und das lose Zuordnen von Antworten schnell als langweilig empfinden. Zumindest muss man hier ein bisschen nachdenken.

Die zweite Story ist ein Multi-Perspective-Novel. Wer Spiele wie „428: Shibuya Scramble“ mag, wird sich hier wohlfühlen. Nachdem wir in die Forschungseinrichtung Ryugu eingedrungen sind, wird diese von Terroristen, den sogenannten Heretics, gestürmt. Nun muss man sich mit dem Minister für Forschung, Teko Ion, und weiteren Personen zusammentun, um die Heretics von dem „Ding“ fernzuhalten und so das Ende von Shuten zu verhindern. Dabei wechselt man ständig die Perspektive und entscheidet mit der jeweiligen Person, was anschließend zu einer Änderung der Geschichte führt. Zur Hauptstory lässt sich wenig sagen, die Nebenstränge sind jedoch viel zu kurz. Bis auf ein, zwei Ausnahmen erkennt man sofort, wann eine Entscheidung richtig oder falsch war, und wird gezwungen, einen anderen Weg einzuschlagen.
Das dritte Genre ist ein Stealth-Action-Horror-Titel. Zusammen mit Manji Fushijo, der Ministerin für Sicherheit, gerät man unfreiwillig in die Machenschaften eines Serienmörders. Diese Geschichte steckt den Spieler in verschiedene Bereiche, die man in Top-Down-Ansicht erkundet. Dort löst man Aufgaben, während der Protagonist vom Killer Nephilim verfolgt wird. Leider ist auch dieses Gameplay zu vereinfacht. Der Killer lässt sich zu leicht abschütteln, indem man sich in Schränken versteckt. Allgemein stellt er keine große Bedrohung dar. Solange man ihm nicht direkt in die Arme läuft, kann man ihn einfach umlaufen und die Abschnitte recht schnell abschließen.

Im Romance-Adventure-Part wird man von der Ministerin für Bildung vergiftet und zu einer Schulromanze gezwungen. In der Schule begegnet man drei verschiedenen Schwestern, die man daten und schließlich seine Liebe gestehen soll. Der Kniff hinter der Sache: Man hat nur 24 Stunden Zeit, um das Gegengift zu beschaffen, das nur die wahre Kokushikan besitzt. Hier steht eine bestimmte Anzahl an Runden zur Verfügung, in denen man die Bereiche der Schule absuchen kann. Mit ein wenig Kombinationsgabe findet man die richtigen Orte schnell, triggert Story-Sequenzen und steigert so die Liebesanzeige, bis man schließlich seine Gefühle gesteht.
Im letzten Teil werden der Protagonist und der Minister für Gesundheit, Yugen Ushitora, entführt und gezwungen, an einem Todesspiel teilzunehmen. Wer hier an „Zero Escape“ denkt, liegt nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig. Atmosphärisch und storytechnisch geht es in diese Richtung, doch viel mehr ist es dann auch nicht. Falsche Entscheidungen werden sofort aufgelöst, die Rätsel zum Ende hin sind zwar recht knifflig, aber nicht wirklich spannend. Die meiste Zeit läuft man durch ein großes Labyrinth mit leeren Gängen.
Technik, die begeistert
Von den technischen Aspekten her kann man nicht meckern, was bei einem Spiel dieser Art auch nicht schwer ist. Der Grafikstil ist besonders, die comichaften Charaktere passen sehr gut zu den handgemalten Hintergründen. Die Musik ist atmosphärisch und stimmig. Man erkennt sofort den Komponisten von „Danganronpa“ wieder und darf sich auf einen gelungenen OST freuen. Abgesehen von kleineren Rechtschreibfehlern und etwas zu ausschweifenden Texten gab es wenig zu bemängeln. Auf der Switch 1 lief das Spiel im Handheldmodus wie auch am TV flüssig. Für alle Japanisch-Gurus: Lesen ist nicht zwingend notwendig, da der Großteil des Spiels vertont ist.

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