Jeder kennt das Prinzip der meisten Rollenspiele: Eine Gruppe von Helden trifft sich, reist durch die Welt und besiegt den Bösewicht am Ende der Reise. Aus diesem Konzept bricht „Octopath Traveler“ deutlich heraus, denn hier werden acht Geschichten von acht Protagonisten erzählt, die alle einen unterschiedlichen Grund dafür haben, ihre Komfortzonen zu verlassen. Das funktioniert manchmal großartig, kommt jedoch nicht ohne einen großen Stolperstein aus. Was genau wir damit meinen, verrät unser Test.
Eine Reise, die das Leben verändert
Einen roten Faden, der alle Geschichten miteinander verbindet, gibt es in „Octopath Traveler“ nicht. Alle acht Charaktere treffen zwar aufeinander, in den Zwischensequenzen ihrer entsprechenden Kapitel kommt aber nie ein anderes Mitglied der Truppe vor, sondern ausschließlich die entsprechende Hauptperson. Deshalb lässt sich die Handlung auch nicht grob zusammenfassen, doch zumindest das Thema Reise ist bei allen gleich. H’aanit verlässt ihr Dorf im Wald, um ihren Meister zu suchen, Primrose will die Mörder ihres Vaters finden und Olberic möchte herausfinden, welche Gründe zum Tod des Königs geführt haben. Gleichzeitig gibt es auch simplere Motivationen: Tressa und Alfyn wollen nämlich nur deshalb ihre Dörfer verlassen, um mehr zu lernen. Dieser Mix aus verschiedenen Motivationen sorgt für eine stets unterschiedliche Aufbruchsstimmung, die in den ersten Stunden den Ton für das Abenteuer angibt. Als Spieler freut man sich zu sehen, wohin die Reise geht und vor allem, wo die Helden am Ende stehen.
Welt retten war gestern
Zu jedem Zeitpunkt während des Abenteuers gibt es acht Questmarker auf der Oberwelt, denn diese zeigen an, in welchen Dörfern die Handlungen fortgeführt werden. Die Geschichten überzeugen mit einer besonderen Qualität, denn die Dialoge und Ereignisse verfügen über einen Charme, der den Charakteren enorm viel Leben einhaucht. Viele unvorhersehbare Momente gibt es nicht, allerdings bleiben die Ereignisse selbst dann spannend, wenn man bereits lange vorher weiß, wie diverse Konflikte enden werden. Die Persönlichkeiten aller acht Reisenden sind unterschiedlich und reichen von kühn und kalkuliert bis hin zu chaotisch. Hier werden viele Stereotypen eingefangen, jedoch in kurzer Zeit so verpackt, dass einen das gar nicht stört.
Auch in Sachen Charakterentwicklung gibt es eine ganze Menge zu erleben, denn keiner der Helden beendet die Reise so, wie er sie begonnen hat. Leider bietet nicht jedes Finale einen beeindruckenden Paukenschlag. Trotz allem ist man am Ende der Reise traurig, dass es mit den Geschichten der Abenteurern vorbei ist. Es ist trotzdem erfrischend, dass nicht immer nur epische Gefahren lauern, sondern stille, persönliche Geschichten erzählt werden. Das unterscheidet „Octopath Traveler“ von vielen seiner Genre-Kollegen und hilft dabei, den Spieler in den Bann zu ziehen.
Die Reise der Einzelnen
So wunderbar die vielen, unterschiedlichen Geschichten auch sein können, das gigantische Problem, das einige nicht übersehen werden können, ist die Gruppe selbst. Ist der Anfangscharakter gewählt, kann die gesamte Welt erkundet werden, und die anderen sieben Mitglieder schließen sich der Truppe an. Leider gibt es überhaupt keine logische Begründung dafür, wieso sie einander helfen, im Falle von H’aanit und Therion ist es gar unlogisch, dass sie sich überhaupt die Zeit nehmen, mit anderen zusammenzuarbeiten und deren Problemen nachzugehen. Das wird auch in der späteren Handlung nicht besser und in keiner Zwischensequenz taucht ein anderer Held auf. Es handelt sich lediglich um acht einzelne Geschichten und die Charaktere treten ausschließlich deshalb aufeinander, weil das Gameplay selbst ansonsten nicht funktionieren würde. Theoretisch ist es sogar möglich, mit nur einem Charakter zu den Credits zu kommen, was die meisten Spieler vermeiden werden.
Es gibt zwar die sogenannten Reisegeplänkel, diese verdeutlichen aber die inhaltlichen Probleme. Nach Zwischensequenzen unterhalten sich per Knopfdruck manchmal zwei Mitglieder der Gruppe miteinander, die aktuell in der Party sind. Die Gespräche sind relativ belanglos und verdeutlichen, wie unlogisch es ist, dass nicht mehrere Charaktere in den Zwischensequenzen vorkommen. Oft sprechen sie sogar direkt darüber wie merkwürdig es ist, dass zum Beispiel eine Händlerin und ein Dieb miteinander reisen, eine Begründung gibt es trotzdem nicht. Dieser Punkt zieht das Abenteuer immer wieder etwas herunter, denn obwohl alle Handlungen interessant sind und man sich darauf freut, die Reisen zu beenden, bleibt diese Divergenz von Gameplay und Geschichte omnipräsent. Obwohl sich viele nach einigen Stunden daran gewöhnen, bleibt das Gefühl zurück, dass mehr möglich gewesen wäre. Zugegeben, das ermöglicht spielerische Freiheiten, jedoch nicht ohne Opfer. Einige werden sich daran nicht stören, doch das kontroverse Thema bleibt . Macht man sich diesen Umstand vor dem Start klar und passt seine Erwartungen entsprechend an, kann der Frust zumindest erheblich abgesenkt werden.
Eine Welt voller Leben
Alles andere als innovativ, dafür gut geölt ist der Spielablauf. Dieser ist in nahezu jedem Kapitel identisch, denn ein Held erreicht ein Dorf oder eine Stadt, erfährt neue Informationen, muss seine Weg-Fähigkeit nutzen, durchforstet einen Dungeon und bekämpft einen Boss, bevor es weiter zum nächsten Abenteuer geht. Das liest sich zwar monoton, funktioniert aufgrund der interessanten Charaktere und Geschichten jedoch gut und fällt deshalb nicht negativ ins Gewicht. Vor allem die Weg-Fähigkeiten machen viele Aspekte der Erkundung innerhalb der Ortschaften spannend. Therion kann nämlich entsprechend gekennzeichnete NPCs bestehlen, während Ophelia diese verführen und sogar im Kampf rufen kann. Dabei gibt es immer ein Gegengewicht, denn anstatt zu stehlen kann der Spieler die Items auch mit Tressa im Team kaufen, was Geld kostet. Olberic kann die NPCs zum Kampf auffordern, muss dafür aber ein entsprechendes Level haben, um gegen sie bestehen zu können. H’aanit darf hingegen ihre mitunter mächtigen Monster in diesen Situationen nutzen, schlägt ihr Versuch jedoch fehl, verliert die Gruppe Ansehen in dem entsprechenden Dorf.
Sind zu viele Versuche der riskanten Fähigkeiten gescheitert, muss gegen eine nicht zu unterschätzende Summe der Ruf wiederhergestellt werden, bevor weitere Aktionen ausgeführt werden können. Dadurch muss man stets überlegen, ob einem dieses Risiko überhaupt wert ist. Die Qual der Wahl findet komplett abseits der Haupthandlung statt, da dort bestimmte Aktionen vorgeschrieben werden. Die Auslagerung in die Erkundung sowie Nebenaufgaben funktioniert jedoch gut und kann dem Spieler massive Vorteile in Form von Items und Waffen liefern.
Kampfsystem der Perfektion
Neben der Geschichte ist natürlich das Kampfsystem der wichtigste Bestandteil von „Octopath Traveler“ und dieses kann komplett überzeugen. Die Helden tragen nämlich verschiedene Waffentypen mit sich, die die Schilde von Feinden zerstören können, sofern sie den Schwachpunkten entsprechen. Hinzu kommt auch noch Magie, es ist also wichtig, die Schwachpunkte der Gegner herauszufinden. Dann verlaufen die Kämpfe sehr strategisch, da die Reihenfolge der Aktionen geändert werden kann, Statuseffekte in Kraft treten und Feinde in Schach gehalten werden. Ist das Schild eines Gegners gebrochen, kann dieser sich nicht nur vorübergehend nicht bewegen, auch jeder zugefügte Schaden erhöht sich. Bei den Boss-Kämpfen, die bis zu einer halben Stunde lang andauern können, ist es besonders wichtig, entsprechende Strategien herauszuarbeiten, um gegen jeden Schlag gewappnet zu sein. Das bleibt auch nach 50 Stunden noch unterhaltsam und fordert stets aufs Neue, besonders wenn spezielle Angriffsarten der Feinde eingeführt werden. Selbst gegen Ende überraschen einige Bosse noch mit Manövern, die es zuvor nicht zu sehen gab.
Die zweite Mechanik sind die sogenannten BP, die in einer abgewandelten Form aus „Bravely Default“ herübergebracht wurden. Nach jeder Runde innerhalb eines Kampfes erhöht sich eine entsprechende Leiste und wer die Punkte einsetzt, kann entweder mehrfach hintereinander zuschlagen oder besonders viel Schaden austeilen. Angesichts der Schwachpunkte ist es zum Überleben wichtig, sich die Punkte einzuteilen, besonders da der Charakter, der sie einsetzt, für die kommende Runde keine erhält. Oft machen die BP den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage aus und in Kombination mit der Möglichkeit, die Kampfreihenfolge zu beeinflussen, wenn ein Held auf eine Aktion verzichtet, landen Strategen und Planer im Schlaraffenland. Dank der vielfältigen Feinde, insbesondere der Bosse, wird das Konzept nie eintönig und motiviert, selbst nach dem Ende der Geschichte die optionalen Dungeons anzugehen.
Der gewohnte, spaßige Ablauf
Die Oberwelt punktet durch viele Landschaften und kleine Abzweigungen, für deren Auffinden der Spieler belohnt wird. Insbesondere die versteckten Dungeons gehören zu den Highlights, denn diese bieten nicht nur mehr Inhalte, sondern mischen das Geschehen durch. Jeder der acht Helden verfügt über bestimmte Klassen, die die Waffenwahl sowie die Magie und Fähigkeiten bestimmen. Später lassen sich auch Schreine finden, wodurch die Helden die Fähigkeiten einer anderen Klasse erlernen können, was die Einschränkungen aufhebt und zahlreiche Optionen ermöglicht, die Gruppe zu gestalten. Das ist auch besonders wichtig, denn es ist ratsam, eine Truppe immer wieder auszutauschen, da nur vier Helden gleichzeitig losziehen können, von denen der Anführer bis zum Abschluss seiner Handlung nicht entfernt werden kann. Durch die zusätzlichen Klassen muss man glücklicherweise nicht mehr auf bestimmte Fähigkeiten verzichten. Die gefundenen Zweitklassen können immer nur von einem Helden gleichzeitig ausgerüstet werden. Ein Austausch untereinander ist jederzeit möglich. Sogar vier zusätzliche Klassen gibt es, die überhaupt kein Charakter von Natur aus beherrscht, diese können jedoch erst gegen Ende der Reise verwendet werden.
Die Dungeons sind ebenfalls unterhaltsam, ähneln sich aber stark. Es gibt einige Besonderheiten, leider sieht jedes Anwesen, jede Ruine und jeder Wald gleich aus. Das Ziel ist es auch immer nur, zum entsprechenden Questmarker zu gelangen, was nicht abwechslungsreich genug ist. Es macht trotzdem Spaß, die zahlreichen Verließe zu erforschen, da in fast jeder Sackgasse Items auf die Gruppe warten. Besonders viel Kreativität sollte keiner erwarten.
Die Reise der Anderen
Verfolgt man nicht gerade die acht Geschichten, stehen einem zahlreiche Nebenaufgaben zur Verfügung. Diese sind oft simpel aufgebaut und mit netten Geschichten verbunden. Fast immer muss der Spieler eine Weg-Fähigkeit einsetzen, um die Situationen zu meistern und hier darf man dann auch entscheiden, ob eher die sicheren oder die risikoreicheren Varianten verwendet werden sollen. Die Belohnungen sind nicht zu verachten, gerade aber die Geschichten sind schön, kurzweilig und motivierend. Da es sich nur in extrem seltenen Fällen darum handelt, Gegner zu besiegen, wird der Spieler dazu gezwungen, die Städte zu durchsuchen, sich mit NPCs zu unterhalten und herauszufinden, wie Probleme ohne konkrete Aufgabenstellung gelöst werden sollen. Auch Questmarker gibt es in diesen Situationen nicht, was das Gameplay ordentlich auflockert.
Besonders spannend sind die Geschichten, die in mehreren Etappen erzählt werden. Nicht nur die acht Helden, auch einige andere Charaktere haben nämlich Gründe dafür, in der Welt zu reisen. Da man sie immer wieder an verschiedenen Orten trifft, freut man sich, wenn nach vielen Stunden eine angebrochene Nebenhandlung fortgeführt wird. Auch hier geht es nicht um epische Momente sondern persönliche, mitunter ruhige Geschehnisse, die dem Spiel einen ganz eigenen Charakter verleihen. Wer lieber kämpfen will, darf das in den vielen optionalen Dungeons tun, die eigene Geheimnisse beherbergen.
Fürs Auge und die Ohren
Der grafische Stil, für den sich die Macher entschieden haben, ist gleichzeitig neuartig und hübsch. Die Welt wurde nämlich in einem Pixel-Stil gestaltet, und die Charaktere sehen noch grober aus. Das beißt sich mit dreidimensionalen Orten sowie modernen Effekten und Animationen in der Umwelt. Gerade diese Mischung wirkt durch ihre Kontraste atemberaubend. Besonders im Handheld-Modus entfaltet sich die Wirkung. Auf dem TV sind diese Effekte zwar noch grober, aber auch hier verliert sich der Eindruck des Stils nicht. Die Gegenden sind wunderschön anzusehen und die Fusion aus Altem und Neuem überzeugt. Ob es sich bei den mitunter leichten Slowdowns um Effekte oder Probleme in der Bildrate handelt, konnten wir nicht ermitteln.
Wahrlich beeindruckend ist der Soundtrack, der ausschließlich aus Meisterwerken besteht, die man auch nach dem Spiel noch in Dauerschleife hören möchte. Egal ob emotional oder kämpferisch, hier sind für alle Situationen passende Stücke dabei. Eines der Highlights an jedem neuen Gebiet ist es sogar, die Musikstücke zu hören. Eine bessere Arbeit wäre hier kaum möglich gewesen. Auch die Sprecher sind voller Überzeugung dabei, selbst wenn die japanische Synchronisation sehr viel leidenschaftlicher klingt als die gute englische Fassung. Glücklicherweise kann man im Optionsmenü zwischen beiden Versionen wechseln.
Bisher gibt es 15 Kommentare
Ich lese von Leuten die 54 Stunden für 2 Stories brauchen und dann lese ich von 30+ Stunden für alle.
Ergo: Wer nur mit einem Charakter spielen will, muss grinden gehen.
Wenn du mit H'aanit startest z.B. und dir drei Chars besorgst, bist du mit ihr ca. Level 15 und wenn du dann zu Chapter 2 läuft, wo Level 27 empfohlen wird, musst du grinden gehen. Wenn du mit allen ein bisschen machst, fällt das Grinden weg.
Nach ca. 15 Stunden hat man erst alle Charaktere eingesammelt.
Und nachdem die nächsten Kapitel meistens auch erst ab einem bestimmten Level der Spielfiguren angegangen werden kann, macht es Sinn auch mal die Welt zu erkunden und dabei zu leveln. Sonst muss man wohl grinden
Für eine Story oder für alle 8 ?